2. Die weiße Taube

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„Ich hätte wissen müssen, dass du wieder hier steckst." Marissa trat neben mich und schaute auf das Grab hinab, das neben dem großen Haselstrauch lag.

Seufzend erhob ich mich aus der Hocke und umarmte meine Freundin. „Was machst du denn um diese Uhrzeit noch hier?"

„Dich abholen für die Party, natürlich!"

„Sorry Ris, aber ich bin heute einfach fix und fertig."

„War es die Elster wieder?"

„Jap."

Wut blitzte in Marissas Augen auf. „Was hat sie diesmal getan."

„Sie hat Sissy und Stella zwei Stunden vorher nachhause geschickt. Danach war ich komplett alleine im Laden."

„Diese Kuh! Ich verstehe immer noch nicht, warum du nicht einfach kündigst?"

Verdrossen schaute ich sie an. „Weil sie dafür sorgen würde, dass Vater mir das Haus wegnimmt."

„Naja, um die Bruchbude wäre es nicht schade. Du könntest dir ein viel besseres Apartment leisten."

„Erstens, mit welchem Geld? Und Zweitens, was passiert mit Mutters Grab?"

„Ach Via, was soll denn nur aus dir werden?"

Ich zuckte abwehrend mit den Schultern und wand mich zum Gehen.

***

„Kommst du mit rein?" fragte ich Marissa kurz vor der Hintertür meines baufelligen Heims. Es war ein altes, kleines Fachwerkhaus, das dringend Renovierungsbedarf hatte. Ich hatte kein Geld dafür und meinem Vater war es, seit dem Tod meiner Mutter egal. Nach der Beerdigung hatte er keinen Schritt mehr auf dieses Grundstück gesetzt.

„Na klar." Sie strahlte mich an. „Ich muss dich ja noch von der Party heute Abend überzeugen."

Ich verdrehte die Augen und schloss die Tür auf. Die Wärme umfing uns, als wir eintraten und vertrieb die Kälte des nassen Novemberabends.

Nachdem wir uns unserer Schuhe und Mäntel entledigt hatten, gingen wir in die kleine, altmodische Küche. Ich setzte eine Kanne Wasser auf den Herd und zündete die Gasflamme an, danach ließ ich mich auf einen der Küchenstühle fallen. Marissa saß bereits auf dem anderen und schaute mich erwartungsvoll an.

„Sorry Ris, aber der Tag hat mich echt geschafft. Das nächste Mal vielleicht."

Wütend verschränkte Marissa die Arme vor der Brust. „Olivia Aylin Scholze, das nächste Mal gibt es nicht. Es heißt heute oder nie."

„Es gibt immer ein nächstes Mal!" erwiderte ich trotzig.

„Ne und das weißt du besser als ich."

Schmerzhaft getroffen zuckte ich zusammen. Erinnerungen an den Streit mit meiner Mutter kurz vor ihrem Tod flackerten vor meinem inneren Auge auf. Wir hatten ihn nie klären können. Schnell schob ich die Bilder beiseite, bevor mir wieder die Tränen kamen. „Das war eindeutig unter der Gürtellinie, Ris."

„Schuldige Via." Sie nahm meine Hand in ihre und drückte sie einmal fest. „Also kommst du jetzt mit?"

„Was genau ist das denn für ne Party und wo findet sie statt?"

„Es ist eine Motto-Party und das Thema ist ''Karneval in Venedig''." Motto-Party, das klang wirklich interessant.

„Und wo findet sie statt?" wiederholte ich den zweiten Teil meiner Frage.

„Naja..."

„Naja, was?" hakte ich nach.

Marissa zögerte immer noch.

„Sag es schon, oder muss ich dir jedes Wort aus der Nase ziehen?"

„Naja, sie ist hier in der Stadt."

Langsam verlor ich meine Geduld. Sonst war doch Marissa auch nicht so Wortkarg. „Und bei wem?"

„Bei Nelson Fauser"

Warte mal. Fauser sagt mir was." Nachdenklich legte ich den Kopf schräg."

Marissa fügte vorsichtig hinzu: „Nelson ist auch unter Nil bekannt."

„Nein, nicht der Nil Fauser?!"

„Der und kein anderer."

„Das heißeste männliche Model, dass es je gegeben hat, feiert hier in dieser Stadt eine Party?"

Marissa nickte nur und schaute mich besorgt an. Ihre Sorge war auch begründet. Ich fühlte mich so, als würde ich gleich Ohnmächtig werden. Diese Überraschung war zu viel gewesen. Zum Glück saß ich gerade. Ich legte meine Stirn auf die kühle Tischplatte und schloss die Augen. Nach ein paar Sekunden hatten sich das Gedankenchaos in meinem Kopf etwas beruhigt.

„Das erklärt wenigstens, warum Thomas, Lewi und Jakob im Laden gewesen waren."

„Hab ich gerade deinem Gemurmel richtig vernommen, dass Thomas und die Zwillinge in dem Laden der Elster gewesen waren?"

Ich hob den Kopf wieder hoch und schaute Marissa nur schweigend an.

Sie riss die Augen auf und quietschte laut los. „Ich fass es nicht. Du hast sie tatsächlich gesehen? Wie cool ist das denn?"

Das Pfeifen des Teekessels erlöste mich von einer Antwort.

altes, neues Märchen - AschenputtelWhere stories live. Discover now