Kapitel 4

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Kaum war die riesige Eichentür geschlossen, zog James sich den Schreibtischstuhl heran, beugte sich vor und nahm Jessies Hand in seine. Er zuckte kurz zusammen, als er merkte, wie kalt sie war. Kleine Tränen bildeten sich in seinen Augen, seine Hände zitterten leicht und sein Magen zog sich zusammen. Er malte sich das Schlimmste aus: Jessie würde nie wieder aufwachen, sein Vater würde ihn finden und dann... Soweit kommt's noch!, dachte er sich und wischte seine Tränen zur Seite. Dann lies er ihre Hand los und stand auf, nur um das Doppelbett aus Ebenholz zu umrunden und sich hinein zu legen. Sachte, darauf bedacht der Bewusstlosen nicht weh zu tun, zog der Blauhaarige Jessie an seine Brust. Schnell war er auch eingeschlafen und bekam so auch nicht mit, wie sich die Tür öffnete und ein älterer Herr mit einer jungen Frau herein trat und beide betrachteten. Leise wurden Sätze ausgetauscht, die kein Außenstehender verstehen konnte. Die junge Frau nickte noch einmal und verlies dann den Raum, während der Mann da blieb. Er fing an, böse zu lachen und grinste danach. Im langsam verschwindenden Abendrot, sah der Mann aus, wie der Teufel höchst selbst, der über sich seinen Höllengarten beugte und unschuldigen Seelen dabei zu sah, wie sie hilflos in der Lava untergingen. Der Alte setzte sich auf den Stuhl, auf dem James vor nicht all zu langer Zeit auch gesessen hatte. Das diabolische Grinsen wich schnell einer nachdenklichen Miene, als er daran dachte, was er vorhatte. So blieb er sitzen, darauf wartend, dass einer von ihnen die Augen wieder öffnen würde.

Am nächsten Morgen wachte James auf und fragte sich im ersten Moment, wo er war. Nach und nach fiel ihm in den nächsten Minuten wieder ein, was am Tag zuvor passiert war. Der Zusammensturz von Team Rocket, die Hilfskräfte,die Rückkehr in das Haus seiner Eltern, wie das Blut an Jessies Stirn. Um die schrecklichen Gedanken zu vertreiben, rieb er sich die Augen und starrte dann an die Decke. Zu viel war gestern passiert. Zu viel, als dass er in absehbarer Zeit auch nur begreifen würde, warum um alles in der Welt er sich nicht einfach ein Hotelzimmer gemietet hatte, sondern in sein Elternhaus zurück gekehrt war. Sein Kopf fing an zu brummen und er fasste sich an die Stirn. Es war ihm unbegreiflich, wie alles zu genau dem Moment hier führte, dass er mit Jessie, die sein Vater sicher niemals gut heißen würde, in einem Bett lag. James drehte den Kopf zur Seite, um nach ihr zu sehen und erschrak: Jessie lag nicht neben ihm. Dabei hatte sie doch genau hier gelegen. Wenn er sich recht erinnerte, dann doch sogar in seinen Armen. Der junge Mann richtete sich auf, stütze sich mit seinen Armen ab und durchsuchte, nach einem kurzen Moment der Orientierung, Raum mit seinen Augen. Es kamen Geräusche aus dem Bad. Das Rauschen des Wassers, dann ... Stille. War das Jessie? War sie aufgewacht? Wie würde sie reagieren, wenn er ihr sagen würde, wo sie waren? Ganz in Gedanken versunken, merkte er gar nicht, wie sich die Badezimmertür öffnete und eine junge Frau heraus trat. Diese fing an zu grinsen, als sie den sichtlich verwirrten und gedankenverlorenen James sah. "Ah Schatz du ist wach. Das bin ich aber froh!", sagte sie mit einem fiesen Grinsen. Diese quietschige Stimme, dachte James, diese grausame Stimme kenne ich! "Jessiebelle?!", fragte er wütend und sprang aus dem Bett. Jessiebelle trat näher zu ihm hin. "Ja, mein Liebster, ich bin hier!", strahlte sie und strich ihm über die Wange. "Was tust du hier? Wie hast du mich gefunden?", knurrte er und schüttelte ihre Hand ab. Einen kurzen Moment war sie aus der Fassung gebracht, dann strahlte sie ihn an und sagte: "Aber Liebster! Ich bin wegen dir hier. Unsere Hochzeit! Das, wovon wir seid Kindertagen geträumt haben!" Erschrocken ging James ein paar Schritte zurück. "Hochzeit? Wunsch? Ganz sicher nicht", murmelte er vor sich hin und warf einen Blick aus dem Fenster. Jessiebelle riss die Augen auf und ging mit einem fiesen, fast schon wahnsinnigen Blick auf ihn zu. "Ja, wir werden heiraten. Und ja, wir werden glücklich. Und nein, du wirst diese billige Kopie von mir nie wieder sehen!", schrie sie und drängte ihn immer weiter nach hinten, bis er wortwörtlich mit dem Rücken an der Wand stand. "Sie ist keine billige Kopie! Wenn hier einer eine Kopie ist, dann du!", knurrte er und funkelte sie wütend an. "Aber aber, Liebster so beruhige dich doch!" Sie trat immer näher an ihn heran. Langsam stieg Panik in seinem Hals hoch. Wo war Jessie? Wie ging es ihr? Plötzlich fühlte er etwas auf seinem Mund: Jessiebelle hatte ihre Lippen auf seine gedrückt. Angewidert stieß er sie von sich und rannte aus dem Raum, während sie ihm hinterher schrie, er solle bleiben. James knallte die schwere Holztür zu und lehnte sich dagegen, damit die Wahnsinnige ihm nicht folgen konnte. Er atmete tief durch. "Willkommen zu Hause mein Sohn.", sagte der alte Herr, der am Abend zuvor in den Raum gegangen war. "V..Vater?", wisperte James und hob den Blick. Dort stand sein Vater. Ein älterer, grauer und vor allem verbitterter alter Mann. "Ja, mein Sohn, ich bin es.", sagte er und trat einen Schritt auf ihn zu."Wo ist sie?", fragte James und funkelte ihn wütend an. "Wo ist wer?", gab er hämisch grinsend zurück. "Wo ist Jessie?", knirschte James, der immer wütender wurde. "Da, wo diese Straßengöre hingehört.", lachte sein Vater spottend. James erschrak und rannte los. Weg von seinem Vater, weg von Jessiebelle, weg von den dunklen, grauenhaften Gemälden. Die Decke fiel ihm zum zweiten Mal in einer Woche auf dem Kopf und er bekam keine Luft. Er musste raus.

Bis zu Abend suchte er, doch fand nicht die kleinste Spur von ihr. Erschöpft lies er sich unter einer Trauerweide nieder, atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen. Trauer durchflutete seinen Körper. Jessie schien verloren und er würde wohl oder übel Jessiebelle heiraten müssen. Er öffnete wieder die Augen. Die Sonne schien auf eine Stelle am Rand des angrenzenden Walds und etwas pinkes leuchtete auf. Was war das? Mit neuem Elan sprang James auf und lief in die Richtung, in der er es gesehen hatte. Auf dem etwas feuchten Boden, es musste wohl geregnet haben, sah er Fußabdrücke. Verwundert blieb er stehen und verfolgte sie mit seinen Augen. Sie führten zu einem Dornenbusch, hinter dem etwas zu liegen schien. Angsterfüllt trat James näher, doch was er sah raubte ihm den Atem und ließ ihn auf die Knie fallen.

What happened?! (Rocketshipping)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt