Kapitel 3

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"Heute Morgen ereignete sich ein tragischer Unfall: Bei den Arbeiten an der geplanten Untergrundstrecke zwischen Kanto und Hoenn platzte eine Gasleitung, die sich in direkter Nähe zum Hauptquartier von Team Rocket befand. Die Sicherheitsleute haben das Gebäude noch nicht zur Suche nach den Opfern freigegeben. Jedoch gibt es den Experten zu Folge, keine hohe Überlebenschance. Weiteres dazu berichten wir Ihnen heute Abend in den Nachrichten um 21 Uhr hier bei Kanto Central TV"

Er hustete. Der Staub, der in seiner Lunge steckte, erschwerte das Atmen ungemein. Wieder hustete er. An Sprechen war überhaupt nicht zu denken. Vorsichtig öffnete er seine Augen und blickte sich um. Alles war zerstört worden und überall lagen die Trümmerteile herum. Bei dem Versuch, sich auf zu setzten, bemerkte er, dass über ihm eine Öffnung war, durch die Licht und vor allem Luft kam. Mit Mühe stand er auf und verschaffte sich so einen groben Überblick. Die Decke war ihm buchstäblich auf den Kopf gefallen und er konnte nur gerade so gebückt stehen. Von dem vorher dunklen, fensterlosen Raum war nichts mehr übrig und James musste gedanklich zugeben, dass er so sogar freundlicher wirkte als vorher. Irgendwie. Plötzlich fiel ihm seine Partnerin ein und verzweifelt sah er nach ihr um. Er wollte nach ihr rufen, doch seine Stimme versagte noch vor dem ersten Ton. Seine Augen wanderten über jedes Trümmerteil des ehemaligen Schlafzimmers auf der Suche nach einem Lebenszeichen oder einer Spur der Pinkhaarigen. Nicht weit neben sich, erblickte James eine Hand und darüber ein paar pinke Strähnen. Er riss die Augen auf und stolperte zu ihr hin. Ein Holzbalken und mehrere Steinbrocken lagen quer über der jungen Frau unter deren Kopf sich eine kleinere Blutlache gebildet hatte. Der rote Bindfaden auf ihrer Stirn war mittlerweile getrocknet und sah eher braun als rot aus. Schnell lies er sich auf die Knie fallen und drehte ihren Kopf vorsichtig zu sich. Ihre Augen waren geschlossen und auf ihrer Stirn prangte eine große Platzwunde, die ziemlich fies aussah und schon anfing zu verkrusten. Mit seiner vor Angst zitternden Händen strich er ihre Haare zur Seite und tastete ihren blassen Hals nach einem Puls ab. James durchströmte eine Welle des Glücks, als er einen minimalen Puls fühlte. Dann stand er auf und hob den Balken an. Auf ein Mal floss ein Adrenalinschub durch seine Adern und er hievte den Balken hoch und trug ihn ein Stück das gangartige Loch entland in dem sie beide mehr oder weniger gefangen waren. Als nächstes drehte er Jessie vorsichtig auf den Rücken und griff ihr um die Hüfte und in die Kniekehlen, um sie hoch zu heben. Nachdenklich schaute er in die Höhe, mitten in die Öffnung hinein. Auf ein Mal hörte er Stimmen, die eindeutig von oben kamen. Es klang nach Hilfskräften oder anderen Team Rocket Mitgliedern, die den Kollaps des Gebäudes überlebt hatten. Als die Stimmen immer näher kamen versuchte er wieder seine Stimme zu heben. "Hier unten! Hilfe!", krächzte er immer und immer wieder. Seine Stimme kam zwar langsam zurück, doch durch den ganzen Staub und die ganzen kleines Steinchen, die in seinen Hals gelangt waren tat ihm jedes Wort höllisch weh. Mit einem kurzen Blick auf die bewusstlose Jessie nahm er all seine stimmliche Kraft zusammen und schrie ein letztes Mal nach Hilfe. Oben wurde es still. Dann waren Schritte zu hören und zwei Gesichter erschienen am Rand der Öffnung.

Einige Stunden später stand er vor einem sehr vornehmen Haus, welches schon als Villa oder kleineres Schloss durch gehen könnte. Zwar hatten die Hilfskräfte und Sanitäter sich geweigert, ihn und vor allem Jessie so ohne weiteres gehen zu lassen, doch nachdem James seine wahre Identität preisgab, knickte auch der letzte Widerstand ein und er bekam sogar ein kostenloses Taxi zu seinem Elternhaus. Im langsam beginnenden Sonnenuntergang sah das Haus fast noch gespenstischer und gleichzeitig majestätischer aus, als er es je in Erinnerung gehabt hatte. James erhoffte sich nicht viel davon, ausgerechnet in zerschlissener Team Rocket Uniform mit einem bewusstlosen Mädchen in den Armen, jetzt bei seinen Eltern aufzutauchen, doch wusste er einfach nicht mehr, wo er sonst hin sollte. Auch wenn sein Vater ihn verstoßen hatte, seine Mutter würde doch hoffentlich zu ihm halten, oder?  Also klopfte er und es dauerte nicht lange, bis der Butler die schwere Holztür öffnete. "Oh Master James! Welch eine Freude euch zu sehen!", sprach er. James blickte den gräulichen Mann lange an, bis er verstand, dass es Theodor war. Der selbe Theodor, der ihm und seinem Fukano damals die Flucht von hier und vor allem vor ihr ermöglicht hatte. "Theodor! Was eine Erleichterung Sie hier zu sehen.", antwortete James höflich. Der Butler lächelte und sah dann auf Jessie hinab. "Wer ist denn die reizende Lady in euren Armen, Master James? Ist das eure Frau?", fragte er mit einem freundlichen Unterton. "Das ist Jessie, meine beste Freundin. Wir sind in einen Unfall geraten und brauchen nun eine Unterkunft und medizinische Hilfe.", antwortete James und machte Anstalten, das Haus zu betreten, als er eine ihm sehr bekannte Stimme hörte: "James, Junge, bist du das?" Sofort hob er den Blick und sah seine Mutter in einem dunkelblauen Kleid die Holztreppe in der Lobby hinabsteigen. "Mutter!", hauchte er und starrte sie ungläubig an. Sie sah um einiges älter aus, als er sie in Erinnerung gehabt hatte. 

Ehe er es sich versah, stand seine Mutter vor ihm und hatte Tränen in den Augen. "Ich hab so lang auf diesen Tag gewartet. Wo warst du nur, ich hab mir solche Sorgen gemacht?", sagte sie mit tränenerstickter Stimme. Betreten sah James zur Seite, wissend, dass seine Mutter nicht erfreut sein würde, wenn sie wüsste, dass er ein Team Rocket Agent war. Oder gewesen war? Er wusste ja schließlich nicht, was mit Giovanni und den anderen passiert war. "Ich bin viel gereist, Mutter. Da hab ich auch Jessie hier kennen gelernt." Er verstummte kurz und sah in Jessies leicht verzerrtes Gesicht hinab. Dann blickte er seiner Mutter in die Augen und sagte: "Mutter ich brauch deine Hilfe. Sie ist schwer verletzt, aber ich will sie nicht in ein Krankenhaus bringen. Sie hasst Krankenhäuser. Bitte Mutter, hilf mir!" Sie sah ihn einige Zeit stumm an, nickte dann und bat ihn, ihr zu folgen. James folgte seiner Mutter durch mehrere Gänge, an deren Wänden Gemälde von seinen alten Verwandten und Vorfahren hingen. Schon als Kind hatte er diese dunklen Bilder gruselig, gar schauderhaft gefunden und war nur durch diese Gänge gegangen, wenn er musste. Jetzt fühlte er sich, als würden all diese Personen ihn strafend ansehen, wie er mit dreckigen, kaputten Klamotten und einem bewusstlosen Mädchen in viel zu kurzem Rock durch die Gänge wandelte. Er konnte schon fast den Kommentar seines Großvaters hören, als er an seinem Portrait vorbei ging: "Junge wie kannst du dich nur mit Gesindel wie der da abgeben? Du brauchst sie nicht. Du weißt, wer auf dich wartet und wer dich am Ende bekommt." Ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er daran dachte, was passieren würde, wenn sein Vater ihn hier finden würde.

 Kurz darauf befanden sie sich in einem Raum, der etwas entlegener war. Darin stand ein Bett, ein Sessel und ein Schreibtisch mit dazugehörigem Stuhl. Die Wand wurde durch ein halbhohes Bücherregal in einem dunklen Braunton geziert und das große Fenster war durch rote Samtvorhänge leicht verschlossen. Kaum war die Tür geschlossen, steuerte James auf das Bett zu, um die noch immer bewusstlose Jessie darauf zu legen. Seine Mutter trat an ihn heran, setzte sich neben ihn und fing an zu fragen: "Du hast sie sehr gern, oder?" Zustimmendes Nicken. " Was hast du jetzt vor? Du weißt, dass ich dich nicht ewig hier verstecken kann." "Ich will einfach nur, dass Jess wieder gesund wird." "Ich verstehe. Ich werde Theodor zum Arzt schicken. Ich setze auf seine Verschwiegenheit und hoffe wirklich, dass keiner davon erfährt." Ist gut, Mutter. Ich weiß nicht, wie ich das wieder gut machen kann." "Ruh dich aus. Ich komme wieder, wenn der Arzt hier ist." Damit machte sie sich auf den Weg zur Tür, drehte sich kurz um und sagte mit einem Lächeln auf den Lippen: "Schön, dass du wieder da bist, mein Junge."

What happened?! (Rocketshipping)Where stories live. Discover now