Kapitel 1: Nur ein Kunde

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Kirishimas PoV

Meine Sicht verschwamm ein wenig, als mir die Tränen, die ich so krampfhaft zu unterdrücken versuchte, in die Augen stiegen. Ich blinzelte und starrte auf die weißen Knöchel meiner Hände, die den Rand des Waschbeckens fest umschlossen hatten. Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und versuchte die Panik zu unterdrücken. Es war nur ein weiterer Kunde gewesen. Nur ein Kunde.

Es gab Tage, an denen ich mit meinem Schicksal leben konnte. An denen ich akzeptierte, dass die Welt nun einmal so war, wie sie war. Aber an Tagen wie diesen, an denen mich ein besonders grober Kunde benutzt hatte, spürte ich nur die Verzweiflung und die Hilflosigkeit. Es war kein Ende in Sicht. Es existierte kein Ausweg aus diesem Dilemma.

Ich fuhr mir über meine Unterarme. Das Metall fühlte sich kühl unter meinen Fingern an. Mein Leben wäre anders verlaufen, wäre nur dieser Unfall nicht geschehen. Zwar würde ich dann noch immer auf der Straße schlafen, wäre arm und mittellos, aber ich wäre frei gewesen.

An jenem Tag des Unfalls jedoch beschloss das grausame Schicksal mein Leben nicht nur schwer, sondern zur Hölle zu machen. Das Ereignis war inzwischen schon über zwei Jahre her. Damals war ich sechzehn Jahre alt gewesen und war wie jeden Morgen in meinem kleinen Versteck zwischen zwei zusammenlaufenden Dächern aufgewacht. Der warme Schornstein, an dem ich meine Decken drapiert hatte, hatte mich auch in dieser kalten Nacht gewärmt.

Das altbekannte Hungergefühl nagte an mir und ich war wie jeden Tag aufgestanden, auf den Dachschindeln zum Rand balanciert und die Regenrinne heruntergeklettert, um auf Nahrungssuche zu gehen. Manchmal gab mir der alte Bäcker Temaro ein wenig Arbeit, ließ mich neue Lieferungen in das Lager einsortieren und gab mir ein wenig Geld oder etwas von dem frisch gebackenen Brot. Aber ich wusste, dass dies heute nicht der Fall sein würde. Neue Lieferungen kamen montags und es war Sonntag.

Sonntags aber war auf dem großen Platz der Markt, weshalb ich beschloss mein Glück dort zu versuchen. Zwar hatte ich nicht genug Geld um etwas zu kaufen, aber wenn man eine Weile auf der Straße lebt, dann eignet man sich den einen oder anderen Trick an. Abgesehen von einigen ungeschickten Versuchen, als ich die ersten Male gestohlen hatte, wurde ich nie wieder erwischt. Meine Finger waren flink und ich war mir sicher, dass es mir auch heute wieder gelingen würde etwas Brot oder ein wenig frisches Obst zu stibitzen.

Schon von weitem hörte ich den Menschenlärm des Marktes. Verschiedene Gerüche stiegen mir entgegen. Die guten Düfte von geräuchertem Fisch, frischen Obst und Schnittblumen vermengten sich zu einem unangenehmen Gemisch, das mich den Atem anhalten ließ. Mit gesenktem Kopf ging ich durch die Menge und ließ mir meine langen roten Haare in die Stirn fallen.

Beiläufig schlenderte ich an den Ständen vorbei und analysierte nebenbei was ich heute unauffällig in meiner Hosentasche verschwinden lassen würde. Auch wenn ich wusste, dass stehlen moralisch verwerflich war, war es an manchen Tagen für mich die einzige Chance etwas zwischen die Zähne zu bekommen. Dennoch versuchte ich nicht immer von den gleichen Leuten zu stehlen. Nicht nur, um so wenig wie möglich aufzufallen, sondern auch weil ich mit meinen Taten niemandem schaden wollte.

Und so ging ich ein wenig widerwillig an dem Stand mit dem Fisch vorbei. Ich hatte dort in letzter Zeit öfter etwas mitgehen lassen und auch wenn mein Magen sich nach etwas Reichhaltigem und Herzhaftem sehnte, wollte ich dem alten Mann das Geschäft nicht ruinieren, da ich wusste, dass er es ohnehin schon schwer hatte.

Mein Blick wanderte zu dem Obststand. Es wäre ein Leichtes einen der saftigen Pfirsiche mitzunehmen, aber einer würde nicht reichen und ich hatte Hunger. Wirklich Hunger.

Ein neuer Duft zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Gegrilltes Fleisch. Mit Kopf fuhr hoch und ich suchte nach der Quelle des Geruches. Eine Reihe weiter war der Stand. Fleisch war derzeit rar und daher war es selten, dass der Metzger einen Stand auf dem Markt belegte. Doch heute schien einer dieser seltenen Tage zu sein. Zusätzlich zu dem rohen Fleisch, dass sorgfältig gekühlt ausgelegt war, bot er Würstchen und halbe Hähnchen an. Solche Köstlichkeiten hatte ich hier schon seit langem nicht gesehen und mir lief schon allein durch den Geruch das Wasser im Mund zusammen.

HUMAN HEARTS (Kirishima x Bakugou)Where stories live. Discover now