Schnell schrieb ich Michael, dass er mit dem Essen nicht auf mich warten sollte, weil es später werden würde. Viel später. Michael war Architekt und hörte täglich Punkt fünf Uhr auf. Da sein Büro nur zwei Straßen von unserer Wohnung entfernt lag, war er immer vor mir zuhause und begann oftmals schon mit dem Kochen. Meine Mutter warf mir das so manches Mal vor, aber was sollte ich denn tun? Es war ein Teufelskreis aus dem ich nicht ausbrechen konnte. Michael schickte mir tausend Küsse. Er verlor nie ein Wort darüber, war nie böse deshalb, aber er setzte sich auch nie ein für mich. Eigentlich nahm er alles so wie es kam und irgendwie liebte ich ihn auch genau deshalb. Bei ihm war ich mir sicher, dass er mich selbst mit einem dritten Auge noch genauso nehmen würde. Seine Art auf widrige Umstände zu reagieren, beruhigte mich. Nichts an ihm war außergewöhnlich, was ich aber nicht als Nachteil sah. Michael war kein muskulöser Charmeur, dem alle Frauen nachliefen. Mit seiner tiefsitzenden Brille und den krausen Haaren wirkte er souverän und bodenständig. Er hatte es nicht nötig sich mit dummen Sprüchen oder gutem Aussehen zu etablieren. Was Michael ausmachte, war sein Intellekt und seine Wortgewandtheit. Um doch in den richtigen Momenten still zu sein. Als ich gegen zweiundzwanzig Uhr die stille Wohnung betrat, schlief er bereits. Ich schlich auf Zehenspitzen durch den kleinen, engen Flur, auf dem nicht einmal all unsere Schuhe Platz fanden und das wo ich wirklich keine Frau mit Schuhtick war. Doch der fensterlose Flur war das einzige Manko unserer Wohnung im dritten Stock. Allein die Aussicht über die meisten Dächer der Umgebung direkt auf den wunderschönen Horizont war den Preis wert. Der Balkon war groß genug um Freunde einzuladen, auch das große Esszimmer bot Platz für Partys, wenn wir welche geben würden. Im Wohnzimmer könnte man die Fläche sogar zum Tanzen nutzen, aber wir breiteten darauf lieber unsere Gesellschaftsspiele aus. Ich zog die Ruhe und Gemütlichkeit einer Spielrunde schon immer den Wirbel einer Party vor. Michael sah kurz hoch, während ich mich an ihn kuschelte. Er legte seinen Arm um mich, küsste mich auf die Stirn und war wieder weggetreten, bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war er bereits aufgestanden und hatte uns Frühstück gemacht.

„Guten Morgen, Schatz.", tönte er. Michael war jeden Morgen gutgelaunt. Ich hingegen war ein echter Morgenmuffel.

„Ich muss gleich los. Fange heute früher an. Heute stelle ich mein Projekt vor. Wünsch mir Glück."

Kaum hatte ich meine Wünsche ausgesprochen war er auch schon zur Tür hinaus. Da saß ich nun allein in der weißen Hochglanzküche und bemerkte Fingerabdrücke auf der Kühlschranktür. Egal wie sehr man sich bemühte, bei so einer empfindlichen Küche, kam man kaum mit dem Putzfetzen hinter her. Ich unterbrach mein Frühstück und wischte alle Laden und Türen, bis mein Kaffee kalt war. Augenrollend machte ich mich fertig. Wenn ich alleine war, machte ich das gerne. Da konnte mich niemand sehen und aufmüpfig nennen. Nach einer schnellen Dusche schlüpfte ich in meine karierte Bluse und einem schwarzen Stiftrock und besah mich ein letztes Mal im Spiegel. Eine Frau ohne Bluse ist keine Frau, hatte meine Mutter mir oft eingetrichtert. Noch so ein Glaubenssatz, den ich von ihr übernommen hatte. Nur beim Sport trug ich etwas anderes und fühlte mich dabei seltsam fremd.

In der Redaktion angekommen, ging ich schnell in Ments Büro um ihn den Artikel der Kunsthochschule zu überreichen. Zu meiner Verärgerung teilte er mir mit, dass sich etwas geändert hatte. Mein Beitrag würde erst in der nächsten Ausgabe erscheinen. In mir brodelte es gewaltig, doch ich war nicht mutig genug, etwas zu sagen. Tränen stiegen in meine Augen und ich wollte schon zurück zu meinem Platz gehen, da hielt Ment mich auf.

„Neuer Auftrag Lea!"

Ich atmete einige Male tief durch, bis ich es schaffte mich umzudrehen.

„Vicky ist leider krank. Sie hätte ein wichtiges Interview. Das musst du übernehmen!"

Rock it, DornröschenWhere stories live. Discover now