Kapitel 1

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Vicky war einer dieser hoffnungslosen Fälle. Mit ihren siebenundzwanzig Jahren benahm sie sich oft wie ein hormongesteuerter Teenager. Sie arbeitete in der gleichen Redaktion wie ich. Wir schrieben Artikel für eine Zeitschrift namens „Famouse". Mit dem Unterschied, dass ich über wertvolle Dinge wie Kunst und Kultur berichtete. Vicky begnügte sich mit Klatsch und Tratsch, Promis und Skandale. Ich konnte mir nicht vorstellen, was daran so erfüllend sein sollte. Doch sie brannte regelrecht dafür. Sie wusste über alles und jeden Bescheid, so lange es zum „Mainstream" der Leserschaft passte. Egal ob es um die Queen ging, oder um einen Z-Promi der im Dschungelcamp zu sehen war.

Vicky hatte keine Ahnung wer Beethoven war, welcher Winzer den Preis für den besten Wein gewonnen hatte, oder wieviel ein „Van Gogh" im Durchschnitt wert war.

„Von dieser Band werden wir noch einiges hören!", schwärmte Vicky. „Und hoffentlich auch sehen."

Auf ihrem Bildschirm öffnete sich ein Video und ohrenbetäubende Musik drang durch die Büros. Ich konnte kaum verstehen was sie da sangen. Es war einfach nur laut und der Bass dröhnte in meiner Brust. Selbstverliebt rockten die Jungs die lichtdurchflutete Bühne. Bei diesem Anblick kam mir beinahe das Frühstück wieder hoch.

„Das sind doch noch kleine Jungs. Die hüpfen nur rum und singen vermutlich nicht einmal selbst. Das meiste kommt eh nur aus dem Computer. Was soll daran schon gut sein?"

Vicky starrte mich an, als wäre ich verrückt geworden.

„Das werden die Newcomer des Jahres, glaube mir. Aber du hast ja keine Ahnung von guter Musik. Übrigens sind sie älter als du. Nur weil du dich verhältst wie Oma Schmidt, müssen nicht alle die noch ein wenig Spaß haben im Leben, gleich kindisch sein!"

Sie wand sich wieder ihrem Computer zu und ließ mich seufzend zurück. Es hatte keinen Sinn sich mit Vicky zu streiten. Sie war mir verbal immer überlegen. Allerdings war das ihre einzige Stärke.

„Ich habe auch Spaß!", protestierte ich kleinlaut, doch sie beachtete mich nicht mehr weiter.

Mein Schreibtisch stand nur wenige Meter von ihrem entfernt und so war ich gezwungen jedes einzelne Video mit anzuhören. Irgendwann begann mein Kopf zu dröhnen und ich schnappte mir meinen Block um auf der Terrasse weiter zu schreiben. Ich musste einen Artikel über das diesjährige Weinfest schreiben und war noch nicht sehr weit gekommen. Meine Gedanken drifteten immer wieder zu meinen Freund Michael. Er hatte mir am Vorabend so etwas wie einen Heiratsantrag gemacht. Wenn man die fehlende Romantik außer Acht ließ, war es doch ganz süß. Bei unserem abendlichen Scrabble-Duell hat er das Wort „willstdu" gelegt. Es hat eine Weile gedauert, bis ich kapiert hatte, was er mir damit sagen wollte. Meine Mutter hätte vor Rührung einen Kreischanfall bekommen und mein Vater hätte Michael glatt auf die Schulter geklopft und ihn trocken willkommen geheißen, wenn sie davon erfahren hätten. Sie liebten Michael, nahmen ihn manchmal mehr ein, als mir lieb war. Aber war das nicht genau das, was sich jede Frau wünschte? Meine Reaktion auf seinen Antrag war ein wenig angespannt. Ich hatte versucht aus meinen verblieben Steinen ein „Ja" zu bilden. Das einzige, das ich noch hätte legen können wäre ein „Nein" gewesen. Die abergläubische Seite in mir, hat sofort an das böse Schicksal gedacht, dass mir die Chance auf eine Ehe mit Michael verwehren wollte.

„Was ist nun?", fragte er ein wenig ungehalten.

Ich bekam so etwas wie Torschlusspanik und wand mein Alter als Ausrede an. Michael war neunundzwanzig und somit all den anderen Männern weit voraus. Als wir uns vor zwei Jahren kennenlernten, hatte er seine wilde Zeit bereits hinter sich und war froh jemand so bodenständiges wie mich zu finden. Er war eine gute Partie. Zumindest sagte das meine Mutter ständig.

Ich liebte Michael, keine Frage. Seine Familie akzeptierte unseren Altersunterschied, sie fanden sogar, dass ich eine angemessene Frau für ihren einzigen, verwöhnten Sohn wäre. Also warum war ich nicht aufgesprungen, ihm selig in die Arme gesprungen und dabei lauthals „Ja, ja, ja" gerufen?

Rock it, DornröschenWhere stories live. Discover now