Tomatenmassaker

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Die beiden kommen endlich bei Marie an. Wann ist endlich? Endlich ist eines blauen Abends, nachdem sie auf einer Parkbank saßen und einen Sonnenuntergang beobachtet haben, der von einem Haus verdeckt wurde. Ja. Diesen Abends, und auch endlich, denn: Manchmal merkt man erst wie kalt man ist, wenn man an einen wärmeren Ort kommt.

Die Zwei sagen Hallo, ziehen ihre Jacken aus und stehen einige Sekunden awkard im Flur rum. Marie mustert Fin kurz und geht wieder in die Küche. Dann kramt er seinen Hoodie aus seinem Rucksack und zieht ihn.. über seine Strickjacke. Okay. Wenns übereinander passt, warum nicht.

Wilma (Und ja, sie heisst Wilma. Hab jetzt eingesehen dass es ohne Namen nicht funktioniert) beobachtet ihn kurz dabei, bis er innehält und sie zwischen angezogenen Ärmeln und Pullover den über den Kopf haltend, sie so fragend anschaut. "Ich zieh auch meinen Hoodie an", sagt sie als hätte sie gerade einen großen Entschluss gefasst, und tut es ihm gleich.

"Leute übertreibt es mal nicht, so kalt ist es doch hier nicht.", sagt Marie und rührt nebenbei in der tiefen Pfanne mit der Soße für die Nudeln. Als Wilma das sieht schlägt sie sich die Hand vor die Stirn. "Ahh ich hatte eine Aufgabe!" verkündet sie und dreht sich zu Fin um, der noch mit seinem Hoodie kämpft.

"Hm?", macht er, als sein Kopf unter der Kaputze erscheint. "Ich wollte passierte Tomaten mitbringen!", erklärt Wilma ihm. "Hm.", antwortet er. Sie lächelt.

"Wolleen... wir nochmal einkaufen gehen?", fragt sie und er sagt "Okay."

Sie freut sich. Irgendwie hat das so etwas Verantwortungsvolles, Schönes an sich, zusammen einkaufen zu gehen. Und der Discounter ist auch nicht weit weg.

Sie poltern das Treppenhaus wieder nach unten, diesmal immerhin mit einem Hoodie mehr, und treten wieder in die Nachtluft. Draußen ist es schon viel dunkelblauer geworden während den wenigen Minuten bei Marie in der Wohnung.

Sie laufen relativ schnell, denn es ist kalt und sie haben eine Aufgabe, und sind irgendwie voller Tatendrang. Wilma sieht man das zumindest an. Die Auffahrt zum Discounter herunter rennt sie sogar kurz, und Fin stolpert ihr lächelnd hinterher während er versucht zu verstehen was sie gerade nebenbei begeistert gestikulierend erklärt.
Eine Sekunde will die Glasschiebetür sich nicht und die beiden bleiben kurz irritiert stehen. Dann schmunzeln sie sich an, ehe sie durchgehen.

Als Wilma, vorangeeilt, eine Dose mit Tomaten in Stücken in den Händen hält und überlegt, ob das jetzt besser wäre als passierte Tomaten, stellt sich Fin neben sie und fragt: "Ist da nicht ein Unterschied zwischen Tomaten in Stücken und passierten Tomaten?" Wilma lacht "Genau das habe ich auch gerade gedacht."
Also nimmt sie eine Packung Passierte.

"Passierte Tomaten. Das ist schon ein komischer Name", sagt er.
"Hmhm.", sie nickt. Sie mag es wie er immer einfach sagt, was sie gerade denkt.

Sie gehen zur Kasse und bezahlen 36 Cent.

Und machen dann noch in der dreckigen Scheibe vom Supermarkt ein Spiegelselfie und präsentieren dabei die passierten Tomaten mit ernsten Gesichtern vor sich, wie eine große Errungenschaft.

"Ich trag die.", sagt Fin.
"Nö ich trag die.", meint Wilma.
Kurz überlegen sie, warum sie das beide denken. Schließlich wagt Wilma einen psychologischen Ansatz: "Irgendwie ist diese Packung Tomaten wie..." unser Kind, denkt sie. Doch das sagt sie nicht. "wie ...etwas auf das wir aufpassen müssen.", sagt sie stattdessen.

Fin nickt grinsend, sodass ihm die Haare vor die zugekniffenen Augen fallen.

Irgendwie artet das "Aufpassen" dann auf dem Heimweg aber dahingehend aus, dass Wilma und Fin sich die Packung passierte Tomaten gegenseitig zuwerfen. Irgendwo musste das wohl mit einer leichten Provokation wie "Jaa ich trag das... -upsjetztwäreesmirjafastruntergefallen." begonnen haben.

Gerade hält Fin die Packung hinter seinem Kopf als würde er einen legendären Basketballtreffer machen wollen, und Wilma hält schon halb ängstlich die Hände schützend vor ihr Gesicht, als da plötzlich der Baum ist. Gegen den sie dann seitlich knallt, als sie mit einem Hechtsprung den Druckpass der Packung fängt.

"Ohjeh.". Fin flucht im Schockfall immer erstmal auf Kindergartenniveau. "Oh fuck, scheisse, sorry!", meint er dann aber, als er es realisiert. Wilma hat es noch nicht ganz erfasst und steht etwas wackelig und irritiert da, die Passierten Tomaten sicher in den Händen und einen Abdruck von der Baumrinde am Kopf. "Aua.", meint sie schließlich, und "Mann, scheiss Baum!", setzt sie hinzu, aber nur weil sie sich schämt.

Doch als Fin sie so anschaut und ihr irgendwie ohne Worte klarmacht, dass er stolz auf sie ist, weil sie trotzdem gefangen hat, geht es wieder. Sie streicht sich über den Kopf, meint dass es wehtut, fragt zweifelnd ob es bescheuert aussieht, und lässt sich von Fin einfach trösten und versichern, dass es nicht bescheuert aussieht, sondern mutig.
Also wenn das immer genau so wie jetzt wäre, wäre es gar nicht so schlimm, sich etwas öfter aus Dummheit wehzutun, denkt sie.

Marie sagt nicht Hallo als sie die Türe aufmacht, sondern "Was ist passiert?" und Wilma brummt nur: "Tomaten." und Fin lacht plötzlich los, ein halb unterdrücktes, aber sehr glückserfülltes Lachen.

Marie schaut ihn schockiert an, aber da lacht Wilma schon mit ihm.

"Aus eurer Dummheit werd ich nicht schlau.", sagt Marie, muss lächeln, und nimmt Fin die passierten Tomaten aus der Hand. Und dabei schaut sie ihn an als würde sie sagen: Aufnahmetest bestanden.

Sudepi. (H.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt