Apokalypsepizza

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"Heute machen wir nur das auf Pizza, was wir noch nie auf Pizza gemacht haben. Okay?"

"Okay?", er verstand erst nicht so ganz, was sie damit meinte. Aber als sie dann vor dem Dosenregal vom Discounter standen, und Wilma Gläser mit Erbsen, Bohnen, rote Beete und saure Gurke in den Einkaufswagen verfrachtete, wurde es ihm so langsam klar. "Nee, oder? Wilma.. bitte.", sagte er. "Ja, Fin, Danke!" grinste sie zurück, und bei dem Wort 'Danke' nickte sie einmal hefig, sodass ihr einige Haarsträhnen ins Gesicht fielen. Er verdrehte die Augen, musste aber ein bisschen lächeln. So wenig, dass andere es vielleicht gar nicht bemerkt hätten.

Zuhause schnipselte Fin dann Radieschen und Möhren und Kohlrabi und anderes unmögliches Zeug, was nicht auf eine Pizza gehört. "Die Pizza wird durch die Unmengen an Gemüse wieder sowas von durchgeweicht sein, das wird ne richtige Schwimmpizza. Wie immer mit dir!", sagte er ruhig aber genervt und ohne vom Brett hochzusehen. "Schwimmpizza klingt doch toll!", Wilma kniff konzentriert die Augen zusammen, während sie mit der Gabel klimpernd nach den letzten Senfkörnern aus dem saure-Gurken-Glas fischte. 

Und dann schaute sie ihn kurz von der Seite an. Wie er dastand, im schummrigen Licht an der Arbeitsplatte, mit dem großen Messer in der Hand, und diese Ruhe ausstrahlte. 'Er ist so schön in meiner Küche.', dachte sie. Und irgendwie war sie unglaublich stolz auf ihn. Nicht weil er das so gut machte oder weil er ihr überhaupt half, sondern einfach so. Wie er da einfach nur in der Küche stand, und wie er er war, und alles so eine schöne Stimmung ergab.

Dann standen sie kurz vor der Pizzakreation. "Das mache ich definitiv nicht alles drauf.", er verschränkte die Arme. "Okay", gab Wilma, die Hände in den Hosentaschen und die Pizzabelagauswahl nun doch auch leicht anzweifelnd, zu. "Vielleicht ist es doch etwas zu viel." "Und zu eklig.", ergänzte Fin. Sie einigten sich darauf, dass jeder nur das nahm was er noch am ehesten verschmerzen konnte, sie aber beide zusammen jede Zutat mindestens einmal verwenden mussten. 

"Und du musst deine Cocktailkrabben auf jeden Fall nehmen, sonst sind die umsonst gestorben!", mahnte Wilma. "Jaja.", sagte Fin und setzte behutsam ein kleines rosa Exemplar in ein Nest Sauerkraut. Kurz schaute er es an, wie es da aufrecht drinsaß, wie ein Vogel. Dann überlegte er, ob er wohl den Spargel wie einen Baum danebenstecken sollte. Aber der würde beim Backen weich werden und umfallen. Und nicht in den Ofen passen. Und man musste es ja nicht übertreiben mit der Kreativität.

Es war irgendwie total interessant, wie Fins Hälfte der Pizza aussah wie eine kleine Welt, und kaum etwas übereinander lag oder mehrmals vorkam. Wie ein genialer Plan, eine Komposition. Wilmas Seite hingegen erinnerte eher an gleichmäßig versteiltes Herbstlaub. Oder als hätte man einmal den Biomüll umgerührt und dann ausgebreitet.

Dann saßen sie in bisschen gelangweilt in der Küche herum und irgendwann mit ihrer Pizza am offenen Küchenfenster, damit der Dampf vom Backen abziehen konnte. "So, drei.. zwei... eins." Bevor sie den ersten Bissen nahmen, schauten sie sich nochmal ernst in die Augen, so nach dem Motto: Aha, so siehst du also aus, wenn es dir noch gut geht. 

Wilma schloss ironisch genießend die Augen und kaute langsamer als ein Schaf in Zeitlupe. Fin hingegen betrachtete vor jedem Abbeißen nochmal kritisch sein Pizzastück. Doch in all seinem Zweifeln sah er nicht komplett abgeneigt aus, eher so, als würde er mittlerweile schon sein Zweifeln anzweifeln.

"Und?", fragte Wilma schließlich. Fin nickte, immernoch seine Pizza betrachtend. Sie liebte es, wie er sich manchmal in seiner Konzentration auf Kleinigkeiten so sehr darin verlieren konnte. Selbst wenn das dann bedeutete, dass er sie ignorierte, fand sie es liebenswert an ihm. Er liebte eben auch die Welt und Momente und andere Menschen. Und das war gut so. Das hatte Wilma gelernt.

Jetzt schaute er aber sie an "Also, so schlecht ist es gar nicht. Und vor allem wird mir auch nicht schlecht. Und bei dir?", fragte er. "Also ich finds auch ganz okay.", sagte sie.

"Ich finde die Pizza ist irgendwie ein bisschen so, als wäre Apokalypse, und man würde einfach das letzte Essen was man so findet alles zusammenwerfen. So.. 'yoloo'.", bei dem letzten Wort versuchte er sich halbherzig an einer Rappergeste. Doch Wilma fand es garnicht mal so lustig, eher tiefsinnig.

"Also wenn ich wüsste dass morgen alles vorbei ist, würde ich das auch so machen.", sagte sie nachdenklich. Was sie nicht sagte: dass ihr dabei aber am Wichtigsten war, dass er dabei war. Oft sagte sie so etwas nicht, ohne so wirklich zu wissen, wieso. Doch auf einmal sagte Fin:

"Und dann schauen wir entspannt auf den Weltuntergang und essen dabei Apokalypsepizza."

Und er sagte das, ohne viel nachdenken, dieses wir, es war einfach da, ganz selbstverständlich.

Weltuntergang-Apokalypse-Ende mit Fin. Und Pizza. Fast wünschte sich Wilma, es wäre so. Aber wie der Dampf jetzt aus dem Küchenfenster in den eh schon viel zu warmen Frühlingsnachthimmel hinauszog, und sie nur so da saßen, war es trotzdem auch sehr sehr schön, dachte sie. Da könnte das Ende der Welt auch noch ein bisschen warten.

Sudepi. (H.)Where stories live. Discover now