Telefonierthemen

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Wilma und Fin telefonierten nun schon seit zwei Stunden. Und weil sie mittlerweile nichtmehr wussten worüber sie reden sollten, stellten sie sich ans Fenster und beschrieben einfach nur, was da draußen so passierte. Doch es wurde langsam dunkel und weniger Leute kamen vorbei, also machte auch das dann irgendwann keinen Spass mehr. Doch sie wollten nicht auflegen.

"Ich liebe es, auf Fensterbrettern zu sitzen. Es hat irgendwie so etwas Besonderes an sich.", sagte Wilma. Fin nickte. Sie wusste dass er nickte.

"Und wie bist du an deinem Fenster?", fragte sie dann. "Ach, ich steh hier nur so und spiel mit dem Strick vom Rollo, wahrscheinlich weil ich kein Telefonkabel habe.", man hörte sein Lächeln.

Wilma liebte es, all das herauszuhören oder einfach zu wissen. Oder zumindest zu glauben, das zu tun. Sie wickelte unterbewusst ihr Handyladekabel um ihren Finger und musste auch lächeln.

"Und um mich abzulenken, weil ich dich nicht habe.", sagte er zuende, das Lächeln klang jetzt etwas trauriger. Wilmas Lächeln stimmte ein. 

"Ich vermiss dich Fin.", sagte sie. Kurz schien er zu überlegen. "Ich dich doch auch.", gab er dann fast etwas trotzig zurück. Kurz schwiegen sie beide, und es ist komisch wie man sich vermissen und sogar irgendwie darüber freuen kann.

Plötzlich hörte Fin einen lauten Aufprall. Dann Stille. Er erstarrte kurz. Doch dann erklang auch schon ein anderes dumpfes Geräusch, wie als ob Wilma nach ihrem Handy tastete. Und so etwas wie "Aua.".

"Bist du vom Fensterbrett gefallen?", fragte er belustigt, als er glaubte sie wieder am Handy zu haben.

"Ja.", sagte Wilma nur.

Wieder erstarrte er. "Ach du scheisse. Wie kannst du denn da noch reden!??"

Wilma wohnte im 3. Stock einer Altbauwohnung. 

"Naja ich bin nicht aus dem Haus raus sondern ins Haus rein gefallen, naja, verstehst du?"

"Hahaha, ja, ach du." Fin musste lachen, "Ja, versteh ich." setzte er hinzu. Ins Haus rein gefallen, vom Fensterbrett. Ach sowas schaffte wirklich nur Wilma. "Was hast du denn gemacht?"

"Nur so mein Ladekabel um meinen Finger gewickelt, das hat mich gerade so fasziniert. Ein bisschen zu sehr vielleicht. Dann wollte ich mich zur Steckdose lehnen und es rausziehen weil der Akku voll war und.. ja."

Fin musste schmunzeln. Doch trotzdem machte er sich auch etwas Sorgen. Auf der anderen Seite durfte Wilma jedenfalls nicht rausfallen. "Hast du dir wehgetan?" fragte er.

Sie schüttelte den Kopf, weil sie wusste, dass er es wusste, dass sie den Kopf schüttelte.

Eine Weile zufriedenes Schweigen.

"Weisst du, morgen geh ich mit dir am Telefon spazieren.", beschloss Wilma spontan. "Klingt gut", sagte Fin.

"Und wenn uns mal nichts mehr einfällt, können wir uns gegenseitig irgendwas vorlesen." "Auch das klingt gut." "Danke!"

"Bitte. Und es ist irgendwie cool, weisst du, wir telefonieren heute schon so lange, dass schon die Sonne untergeht.", sagte Fin. "Und es ist so dunkel, es ist niemand mehr draußen." Langsam wurde er müde, aber er wollte das nicht sagen, sie nicht abwimmeln. Sie sollte erst müde sein, dann würde er ruhig auflegen können. Aber er hoffte mit dieser Aussage vielleicht aus ihr herauszuholen, dass sie sagte: Okay, ja, es ist spät.

Aber stattdessen meinte sie: "Wir beschreiben einfach, was wir am Himmel sehen."

"Das ist ein bisschen wie die gleiche Serie gucken und dabei telefonieren.", sagte er

"Oder wie Schachspielen mit dem Telefon."

"Hä wieso?"

"Okay, nee, wir können die Sterne ja nicht verrücken."

"Okay?" Er lachte nur leise, seine Gedanken waren müde und ihre augenscheinlich auch.

"Stell dir vor, jeder hätte einen Stern, den er mit seinem Gedanken am Himmel steuern könnte.", sagte Wilma da aber, denn jetzt wurden ihre Gedanken erst richtig wach. Und weckten seine auch wieder auf.

"Dann könnte man gemeinsam Sternenbilder erschaffen, und wenn man so richtig gedanklich verbunden ist, sie sich sogar bewegen lassen. Und alle könnten es sehen."

"Es wäre wie ein riesiges Fernsehen. Oder zumindest ein riesiges Kunstwerk."

"Hm.", meinte Fin glücklich.

"Hmhm.", fand auch Wilma. Sie fragte sich nur, wie man seinen Stern denn immer wieder finden sollte, und was er wohl tagsüber machen würde. Und was passieren würde, wenn sie stirbt. Vielleicht steht er dann ja für immer still. Vielleicht sind alle Sterne, die wir sehen, stillstehende Sterne von Menschen, die noch die Sterne lenken konnten. Aber diese Menschen sind alle schon vor tausenden von Jahren gestorben. Heute leben andere Menschen, die höchstens Flugzeuge oder Raketen lenken, die man für ein paar Sekunden mit Sternen verwechseln kann. 

Fin gähnte, und räusperte sich kurz "Ich glaub, ich würde meinen Stern einfach neben deinem platzieren, dann wäre ich schon zufrieden.". Wilma musste erstmal aus ihren Gedanken zurück ins Gespräch, doch bevor sie etwas erwidern konnte, sagte er noch "Hab dich lieb." und damit legte er auf. Er mochte keine Abschiede. Komischerweise mochte er auch keine Begrüßungen. Er mochte einfach immer nur da sein. 

Wilma suchte noch eine Weile nach zwei Sternen, die nebeneinander waren und ihr und Fin vielleicht ähnlich sahen, und als sie glaubte sie gefunden zu haben, ging sie zufrieden ins Bett.



Sudepi. (H.)Where stories live. Discover now