𝐕

130 31 10
                                    

Stumm formten sich die Lippen des alten Mannes zu einem sanften Lächeln, wodurch sich ebenfalls die unzähligen Falten, die sich über die Jahre tief in seine Haut gegraben hatten, leicht verzogen.

Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel, hell und strahlend reichten ihre wärmenden Strahlen bis in den letzten Winkel des grünen Paradieses.

Eifrig streckten die bunten Tulpen ihre schweren Köpfe dem leuchtenden Himmelskörper entgegen, die wild am Teichufer wuchsen.

Alles um Yoongi herum blühte. In warmen, ausgeglichenen Sommern wie diesem wuchsen allerlei verschiedene Blumen und Kräuter auf der weitläufigen Grünfläche.

Von den tiefblauen, absolut symmetrisch angeordneten, rundlichen Hüllblättern der anmutigen Dahlien, über die zart violetten Vergissmeinnicht, dessen glockenförmige Kelchblätter sich sanft der lauen Frühlingsbrise beugten, bis hin zu den zierlichen Bergenien mit ihrer purpurrötlichen Färbung, dessen unzählige, überhängende Blütenstände mit einer feinen Wachsschicht überzogen waren, und deshalb schwach schimmerten; Allumfassend drang der wärmende Sonnenglanz zaghaft durch sämtliche der knittrigen Blütenkelche und ließ die Blumenfelder in einem vibrierenden Meer aus kräftigen Farben, harmonisch ineinandergreifend, erstrahlen und gleichzeitig jedem noch so missgelaunten Zeitgenossen ein Lächeln aufs Gesicht zaubern zu vermochte.

Trotz des atemberaubendem Gesamtbildes waren es stets die Bergenien, die den alten Mann fesselten, wenn er hier so saß und die Schönheit des Augenblicks genoss.

Sie erinnerten ihn immer an Jimin.

Die filigranen, weichledrigen Blüten sowie die sanfte Färbung, die bei einer solchen Lichteinstrahlung weniger purpurn, sondern mehr bläulich wirkte, ließen unmittelbar Bilder des wunderschönen Mannes in Yoongis Kopf auftauchen und das nicht nur, weil genau dieses Blau, exakt diese Farbnuance Jimins Lieblingsfarbe war, sondern vor allem, da dieses zarte, pure Pflänzchen in so vielen weiteren Eigenschaften den Charakterzügen des Jüngeren glich.

Der alte Mann stieß einen tiefen Seufzer aus. Das Glück, welches er damals im Krankenhaus empfunden hatte, schien ihn jedes Mal aufs Neue zu durchströmen, sobald er die zierlichen Pflanzen betrachtete.

Yoongi war sich fast sicher gewesen, dass der Jüngere ihn vergessen hatte.

Fest hatte er damit gerechnet, Jimin würde, würde er je erwachen, ihn lediglich mit seinen großen wunderschönen Augen mustern und danach höflich erneut nach seinem Namen fragen.

Doch dem war nicht ansatzweise so gewesen.

Zwar hatte sich der junge Mann nur noch bruchstückhaft an den schicksalshaften Tag des Unfalls erinnern können, sehr wohl jedoch hatte sich die raue tiefe Stimme des Älteren in sein Gedächtnis gebrannt, so wie all die sachten Berührungen, all die Gespräche, die Yoongi in der Hoffnung, er würde zu Jimin in seinem komatösen Zustand irgendwie durchdringen können, mit dem schlafenden Mann geführt hatte.

Der Blondhaarige konnte es nicht richtig erklären, er hatte es damals als schwammige Membran beschrieben, als wäre er in seichtem Wasser getrieben und man hätte ihm vom Ufer aus all diese Dinge stetig zugerufen und ihn so am Leben gehalten.

Die Anfangszeit war nicht einfach gewesen.

Trotz der innigen Verbindung, die die beiden Männer miteinander zu teilen schienen, dauerte es seine Zeit, bis sie sich ihre Gefühle tatsächlich hatten eingestehen können.

Obwohl Homosexualität in Südkorea nicht mehr per se unter Strafe stand, konnten Männer, bei deren derartige Tendenzen erkennbar waren, während ihres Militärdienstes vor dem Staatsgericht zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt werden.

Generell war der Umbruch in dem südlichen Teil der koreanischen Halbinsel, obwohl dieser zu der Zeit beinahe wie ein Buschfeuer durch die westlichen Provinzen und Länder gefegt war, noch nicht wirklich angelangt.

Beinahe ein weiteres Jahr dauerte es, bis Jimin dem Älteren seine Liebe gestand.

Vollkommen aufgelöst hatte er mitten in der Nacht vor Yoongis Tür gestanden, den Gehstock zur Unterstützung seines verletzten Beines hart hinunter auf die Straße gepfeffert und war in seinen Armen zusammengebrochen. »Was soll ich nur tun als Tänzer, der nicht länger tanzen kann?«, hatte er verzweifelt geschluchzt. »Ich bin der nutzloseste Mensch auf der ganzen Welt.«

Behutsam hatte der Ältere ihn in den Arm genommen, beruhigend war er ihm durch seine verwuschelten Haare und über seinen erhitzen Rücken gefahren, bis die Schluchzer, die seinen Körper eine lange Zeit geschüttelt hatten, allmählich abgeebbt und er erschöpft in den Armen des Schwarzhaarigen eingeschlafen war.

Mit allergrößter Vorsicht hatte Yoongi ihn daraufhin in sein Bett getragen, den Gehstock schnell aus dem schmutzigen Straßengraben gefischt, ehe er sich unschlüssig zu dem Jüngeren gelegt hatte, seine starken Arme beschützend um seinen zierlichen Körper geschlungen, einfach nur dem ruhigen Atem, der gleichmäßig von Jimins Brust ausging, lauschend und sich vorgestellt hatte, wie einfach es sein könnte.

Sobald der Jüngere nach einem langen erholsamen Schlaf, eingekuschelt in die Arme des Mannes, dessen Augen er seit dem Tag seines Unfalls nicht hatte vergessen können, dessen Berührungen jedes Mal ein knisterndes Kribbeln durch seinen Körper geschickt hatten, und dessen gutmütige, ruhige Seele dem Blondhaarigen vorgekommen war, als hätte er schon hunderte Leben gelebt, erwacht war, da wusste er es; er hatte es die ganze Zeit bereits gewusst, leise hatte eine Stimme in den hintersten Windungen seines Hirns immer wieder seinen Namen geflüstert und doch hatte ihn die Erkenntnis, während er den noch schlafenden Mann neben sich betrachtete, wie ein Blitz getroffen; er liebte Yoongi. Und Yoongi liebte ihn.

Jimins Rehabilitation war jedoch, auch, nachdem die Beiden sich gefunden hatten, nicht unbedingt einfacher gewesen.

Am Boden zerstört war der Tänzer, als der Arzt ihnen mit ernster Miene seine endgültigen Vermutungen zu dem weiteren Genesungsprozess seines zerschmetterten Oberschenkelhalses mitgeteilt hatte.

Die Diagnose: der junge Mann, der für sein Leben gern tanzte und schon von Kindesbeinen an eifrig dem Takt, welcher von seinen Gliedern Besitz zu ergreifen schien, wenn sobald die Musik einsetzte, gefolgt war, würde nie wieder auf dem glänzenden Parkett stehen können.

Aus der Traum vom berühmten Ballett- oder Modern Arts- Tänzer, der quer durchs Land reiste, um in den imposantesten Opern die aufwendigsten Choreographien roh und echt dem Publikum näher zu bringen und sie, wenn auch nur für einen kurzen Moment, die Realität vergessen zu lassen.

Doch trotz der desaströsen Prophezeiung Dr. Kims hatte Jimin seinen Traum nie vollständig aufgegeben.

»Aber das Tanzen-«, hatte er nur geflüstert, nachdem der Arzt seinen Mund wieder geschlossen hatte, die Diagnose still und erdrückend zwischen allen anwesenden Parteien in dem winzigen Behandlungsraum stehend, »das Tanzen ist doch mein Leben.«

IMMER NUR DUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt