Kapitel 1

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In meinem Stammcafé war es sehr ruhig. Ab und zu hörte man ein Glöckchen klingeln, welches die Ankunft eines neuen Kundens verriet. Aus den Lautsprechern der Musikanlage gab Michael Bublé sein Bestes und sang leidenschaftlich Georgia on my mind. Ich saß, wie immer, in einer kleinen Nische des Cafés, von wo aus ich den gesamten Raum überblicken konnte und nippte hin und wieder an meiner Tasse. Der Früchtetee hinterließ einen süßlichen Nachgeschmack auf meiner Zunge und wärmte mich etwas auf. Durch eines der kleinen Fenster an den Wänden blies ein kalter Windhauch. Ich fröstelte und drückte mich näher an die Heizung, welche sich neben mir an der Wand befand. Während sich der Laden allmählich leerte, saß ich noch an meinem Tisch und beugte mich über meine Lektüre.

„Junge Dame, ähm, verzeihen Sie die Störung.", unterbrach mich eine leise Stimme, „Wir schließen gleich, das heißt, sie müssen uns jetzt verlassen."

Ich blickte auf und sah in das Gesicht der neuen Bedienung. Ein kleines, unscheinbares Mädchen mit haselnussbraunen Augen und schulterlangen, braunen Haaren. Mein forschender Blick schien ihr sichtlich zu missfallen, denn sie tippelte nervös von einem zum anderen Bein.

Ich nickte nur und öffnete meine Geldbörse, um mein Getränk zu bezahlen. Die Kellnerin nahm das Kleingeld entgegen und verließ mich hastig wieder. Genervt verdrehte ich die Augen. So kritisch war sie jetzt auch wieder nicht gemustert worden. Ich zuckte mit den Schultern, steckte langsam mein Buch in meine Tasche und ging aus der Tür des unscheinbaren Cafés. Draußen war es bereits dunkel und der Wind pfiff mir um die Ohren. Ich kuschelte mich in meinen dünnen Parka, in der Hoffnung, er würde die Kälte davon abhalten, mich auszukühlen.

Die Straßen waren verlassen. Eine Zeitung flatterte über die Straße, sonst herrschte Totenstille. Nicht unüblich für diese Stadt, dass sich nachts niemand auf den Straßen aufhielt.

Meine Schritte hallten in den Gassen wieder, bis sie von einem kläglichen Jaulen übertönt wurden. Ich ließ den Blick über die Straße schweifen und entdeckte einen großen, verschlossenen Karton auf dem gegenüberliegenden Weg. Schnell sah ich mich nach beiden Seiten um, ob ein Auto kam. Ich musste schmunzeln, als ich mir dessen bewusst wurde, wie unwahrscheinlich das hier wäre, da ich meine Kindheit in einer Großstadt verbracht hatte, wo Kriminalität und nächtlicher Verkehr auf der Tagesordnung standen. Hier jedoch war das nicht der Fall. Man konnte ab und zu mal ein Motorrad vorbeirauschen hören und hier und da war eine Gruppe betrunkener Jugendlicher unterwegs, welche bis spät in der Nacht in einem der wenigen Untergrundclubs feiern gewesen waren. Abgesehen davon war dies eine sehr friedliche Stadt – was wahrscheinlich auch an der Abgelegenheit unseres Orts lag.

Auf der anderen Seite angekommen, lief ich direkt auf den Karton zu. Erneut ertönte ein jämmerliches Jaulen. Ich kramte in meiner Umhängetasche herum, bis ich meinen Hausschlüssel fand. Damit sägte ich an dem Paketband, das den Karton umschloss, bis es schließlich riss. Ich packte meinen Schlüssel wieder weg und atmete tief durch. Meine Hände zitterten etwas, ich konnte nicht sagen, ob es wegen der Kälte war oder weil ich eine Heidenangst vor dem Zustands des Wesens in dem Pappkarton hatte. Ich griff nach den Deckeln und öffnete die Box.

Ein hellblaues Paar Augen sah mich hoffnungsvoll an. Der kleine Huskywelpe stellte sich auf die Hinterbeine und sog gierig die frische Nachtluft ein.

Armes Tier, dachte ich bedrückt. Wer tut so etwas einem Lebewesen an? Er wäre wahrscheinlich erstickt, hätte ich ihn nicht gefunden.

Ich streckte meine Hand nach seinem kleinen Köpfchen aus. Der Hund wich zurück und drückte sich ängstlich in die hintere Ecke des Kartons.

„Keine Angst. Ich werde dir helfen, Kleiner.", flüsterte ich leise.

Agor - Der AnfangWhere stories live. Discover now