spring cleaning

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Der Staubwedel tänzelte schwerelos über die Regale voller Bücher, die Bilderrahmen und die große Leinwand an der Wand im Wohnzimmer und über die Anrichte, auf der der Fernseher stand.
Er wurde leise vom Radio aus der offenen Küche begleitet und die Sonnenstrahlen, die durch die deckenhohen Fenster alles in warmes, helles Licht tauchten, beleuchteten auch das ausladende, cremefarbene Sofa und den schneeweißen Teppich auf dem schlichten Parkett, über das der Staubsaugroboter nahezu lautlos hinwegsummte.
Im kleinen Garten, in dem ein leeres Gemüsebeet und eine voll behangene Wäscheleine waren, blühte ein kleiner Kirschbaum, der kaum zwei Meter in die Höhe ragte. Darin saßen Vögel und verkündeten die neue Jahreszeit, die für den Neubeginn und die Veränderung stand. Alles schien wie neu geboren und völlig verwandelt. Das Radio war auch im Badezimmer noch zu hören, wo der himmelblaue Lappen über den Rand des Waschbeckens fuhr und im Anschluss den mit lavendelfarbenen Vorhängen behangenen Fenstern neuen Glanz verschaffte. Frisch gewaschen war der ebenso violette Duschvorleger noch weicher als vorher und er duftete nach einer Mischung aus Vanille und Honig.
Der Geruch war fast so intensiv, wie der des Honigs, der tatsächlich in der Küche neben dem kleinen Kugelkaktus unter der Messerleiste stand.
Und genau dort stoppte der Lappen, wie der Staubwedel eine gute halbe Stunde zuvor, und selbst der Saugroboter schien still zu stehen, obwohl ihn niemand ausgeschaltet hatte.
Die Vögel hörten auf zu singen, das Radio verstummte schlagartig. Aber vielleicht stoppte auch nur die Hand, die den himmelblauen Lappen führte, vielleicht wurde der kleine runde Staubsauger nur nicht mehr vom Verstand, der Person, die den himmelblauen Lappen in der Hand umklammert hielt, realisiert, vielleicht, ganz vielleicht, erstarben weder Vogelgezwitscher noch Musik, vielleicht wurden die Ohren, des Verstandes, der den Roboter nicht mehr wahrnahm, taub für beide, weil die Gedanken der Person, zu der sie gehörten, zu laut wurden und vielleicht hatte das einen ganz simplen, kleinen, grünen Grund.
Vielleicht schossen dem jungen Mann, der Staubwedel und Lappen verwendet, der den Staubsauger eingeschaltet, der die Wäscheleine behangen, die Fenster geputzt, den Vorleger gewaschen und die Küchenanrichte geputzt hatte, Tränen in die Augen, als er auf diesen simplen, kleinen, grünen Kaktus und das daneben stehende Honigglas blickte. Vielleicht wurde das Stechen in seiner Brust und der Krampf in seinen Fingern schlimmer, je länger er beide ansah, aber vielleicht konnte und wollte er nicht wegsehen. Denn, egal, wie sehr der Anblick schmerzte, vielleicht wollte er die Erinnerung aufleben lassen, obwohl er wusste, wie weh sie tat. Er wollte nicht wegsehen, obwohl er wusste, dass er endlich damit hatte abschließen wollen, denn es war doch die Jahreszeit von Neubeginn und Veränderung. Aber vielleicht war er die ganze Sache von vornherein falsch angegangen. Vielleicht war der Staubwedel, mit dem er die Bücherregale und Bilderrahmen abgestaubt hatte, senfgelb. Vielleicht waren die Bücherregale immer noch voller Fotoalben und alter Bücher. Vielleicht waren alle Bilderrahmen seit zwei Jahren der Wand zugedreht. Vielleicht war das Gemälde auf der Leinwand an der Wand kein Kauf in irgendeinem Laden oder Onlineshop gewesen. Vielleicht mochte er die Musik, die aus dem nun scheinbar stummen Radio tönte, gar nicht wirklich. Vielleicht war das cremefarbene Sofa und der schneeweiße Teppich nicht seine Kaufentscheidung gewesen. Vielleicht hätte er allein den scheinbar still stehenden Saugroboter nie gekauft. Vielleicht hatte er das Gemüsebeet weder selbst angelegt, noch jemals selbst gebraucht. Vielleicht hatte er die vollbehangene Wäscheleine nicht selbst gebaut oder gar bespannt. Vielleicht hatte er den Kirschbaum nicht allein oder für sich gepflanzt. Vielleicht erinnerten ihn die Vögel und ihr Gesang an eine graue Katze. Vielleicht hasste er den lavendelfarbenen Vorhang und den dazu passenden Duschvorleger. Vielleicht mochte er Honig nicht und aß ihn trotzdem seit zwei Jahren jeden Morgen. Vielleicht wäre er niemals von selbst auch nur auf die Idee gekommen, einen himmelblauen Lappen zu verwenden. Vielleicht hatte dieser simple, kleine, grüne Kaktus ihr gehört. Ihr; dem Mädchen und im Lauf der Zeit der Frau, in der er seine bessere zweite Hälfte gefunden hatte. Ihr; dem Mädchen und im Laufe der Zeit der Frau, mit der er den Rest seines Lebens hatte verbringen wollen. Ihr; dem Mädchen und im Laufe der Zeit der Frau, die die Zeit ihm genommen hatte. Und vielleicht war senfgelb ihre Lieblingsfarbe gewesen. Vielleicht waren die Fotoalben voller Bilder von und mit ihr. Vielleicht waren die übrigen Bücher im Regal selbstgeschriebene Werke von ihr und ihre Lieblingsbücher, vielleicht war auch das Gemälde von ihr gemalt worden, weil sie sowohl Lesen als auch Schreiben über alles geliebt hatte. Vielleicht war die Musik, die nun wieder aus dem Radio klang, eine Abfolge aller ihrer Lieblingslieder. Vielleicht hatte sie sich damals in einem Möbelkaufhaus in das cremefarbene Sofa und den schneeweißen Teppich schockverliebt. Vielleicht hatte sie sich den Roboter zum Geburtstag gewünscht, um sich die Hausarbeit zu erleichtern. Vielleicht hatte sie Gemüsebeet und Wäscheleine errichtet, weil sie fast nichts lieber getan hatte, als zu kochen und weil sie die handwerklichen Fähigkeiten, im Gegensatz zu ihm, der ihr immer hatte helfen wollen, es aber nie wirklich konnte, zu Genüge gehabt hatte. Vielleicht hatten sie den Kirschbaum zusammen gepflanzt, um ihre Initialen hinein zu schnitzen. Vielleicht erinnerten ihn die Vögel an ihre graue Katze, die sie immer von den deckenhohen Fenstern des Wohnzimmers beobachtet und hatte fangen wollen, es aber nicht konnte, da sie nie raus gedurft hatte. Vielleicht hatte sie ihn Ewigkeiten betteln müssen, bis er sich auf den lavendelfarbenen Vorhang und den violetten Vorleger eingelassen hatte. Vielleicht hatte ihr Lächeln noch mehr als die Strahlen der Frühlingssonne geleuchtet, wenn er sie "honey" genannt hatte, weil sie so unbeschreiblich süß war und vielleicht aß er ihn deshalb jeden Morgen, obwohl er ihn vielleicht nicht mochte. Vielleicht benutzte er den himmelblauen Lappen, weil sie genau so einen stets benutzt hatte. Vielleicht, weil sie sich einen kleinen Jungen, einen Sohn mit ihm, gewünscht hatte. Vielleicht waren Kakteen immer schon ihre Lieblingspflanzen gewesen. Aber vielleicht sah sie auf jedem Bild, egal, ob im Fotoalbum oder Rahmen, unendlich müde und kaputt aus. Vielleicht war das Gemälde ein einsamer Grashalm an einem vernebelten, eiskalten See. Vielleicht hatte jedes ihrer Bücher, egal, ob selbstgeschrieben oder nicht, eine tiefere, teils deprimierende Bedeutung. Vielleicht durfte man bei keinem ihrer Lieblingslieder auf den Text achten, weil man sonst merkte, wie traurig sie eigentlich waren. Vielleicht hatte sie das Kochen zwar geliebt, aber das, was sie gekocht hatte, selbst fast nie gegessen, egal, wie gut es geschmeckt hatte und vielleicht hatte sie die Messer der Messerleiste nicht nur einmal nicht ausschließlich zum Schneiden ihres Gemüses verwendet. Vielleicht hatte ihre graue Katze nie nach draußen gedurft, weil sie zu viel Angst um sie gehabt hatte; weil sie sie so sehr geliebt hatte, wie ihn. Vielleicht war ihr Lächeln viel zu selten vorhanden gewesen. Vielleicht waren Kakteen ihre Lieblingspflanzen gewesen, weil auch sie für sie eine tiefere Bedeutung gehabt hatten. Denn vielleicht, ganz vielleicht, hatte sie sich selbst in ihnen gesehen. Er hätte es darauf zurückgeführt, dass sie wunderschön sind, wenn sie blühten, aber sie selbst hätte sich selbst nie als wunderschön bezeichnet. Sie zog vollkommen andere Parallelen. Vor allem die, dass Kakteen so weich und zart waren, jedoch unzählige Stacheln zum Schutz vor denen, die ihnen etwas antun könnten, trugen und vielleicht war das der Sinn darin gewesen, dass sie immer nur ihn wirklich an sich heran gelassen hatte; zum Schutz vor denen, die ihr etwas hätten antun können. Nur vielleicht hatte das alles nicht genützt, um sie vor sich selbst zu schützen. Obwohl vielleicht, gerade das so wichtig gewesen wäre. Vielleicht wäre sie geblieben. Aber sie war nicht mehr da, denn irgendwann war sie noch müder und kaputter gewesen, als es irgendein Bild jemals hätte festhalten können. Vielleicht war dort gegen Ende ein Punkt erreicht, an dem sie noch dünner und gebrechlicher schien, als dieser einsame Grashalm an diesem vernebelten, eiskalten See. Vielleicht hatte sie einmal zu oft von den Messern der Messerleiste Gebrauch gemacht. Vielleicht war sie ein wunderschöner Kaktus gewesen. Doch sie - sie war verblüht.

honey cactusWhere stories live. Discover now