Mein aufgeregter Redeschwall lies ihn etwas schmunzeln. Dass er in solch einer Lage noch die Frechheit besaß frech die Mundwinkel zu heben, ließ mich fast Explodieren vor Wut. „Was ist?", fragte ich ihn zornig.

Er blickte kurz zur Seite. Es gehörte verboten diesen Mann attraktiv zu finden, denn er hatte es nicht verdient, so schön auszusehen, bei jeder Bewegung, die er tat.

„Du bist etwas anders, als ich dachte"

„Wie dachtest du über mich?"

„Wie dachtest denn du über mich, Milana?"

„Dass du ein arroganter, eingebildeter, überheblicher, kaltherziger und aggressiver Mann bist"

„Und bin ich es tatsächlich?"

„Ja" Er lachte nur leicht, dennoch steckte es mich an. Dieses Lachen, dass so selten kam, dass man sich fragte, ob Nael jemals richtig glücklich war, zauberte mir auch ein Schmunzeln ins Gesicht.

Doch dann stoppte er und blickte auf sein Bein, wo die Wunde mittlerweile aufgehört hatte zu bluten. Gott sei Dank, denn länger hätte ich mir das nicht anschauen können.

„Tut es noch weh?", fragte ich dann leise und tatsächlich hörte man einen bemitleidenden Unterton heraus. Ich musste definitiv aufhören irgendwelche Emotionen ihm gegenüber auszudrücken, denn so würde er mich immer besser kennenlernen und das wollte ich am Liebsten vermeiden.

Er schüttelte bloß den Kopf. Für ihn war die Unterhaltung wohl beendet, deshalb ließ ich mich auf dem dunklen und staubigen Sessel ihm gegenüber nieder. Vor mir stand ein Glastisch, auf dem eine Zigarettenschachtel und ein Aschenbecher lagen.

In diesem Raum war es sehr staubig und chaotisch. An den Wänden hingen keine Bilder oder Gemälde, die dem Raum etwas Farbe gegeben hätten. „Es ist nicht so bequem, wie dein zu Hause, nicht wahr?"

Ich schloss langsam meine Augen und presste meine Lippen aufeinander. „Mit jedem Satz vermiest du mir die Laune", antwortete ich und versuchte die aufkommende Trauer mit einer festen Stimme zu übertönen.

Wie es wohl meiner Familie gerade ging? Hatten sie etwas zu essen? Ob sie wohl nach mir suchten? Wenn nicht, wann wäre ich mit Sicherheit enttäuscht. Ich meine, irgendwie musste ich ihnen doch wohl fehlen. Denn sie flehten mir. Sehr. Ich war nicht länger als einen Tag von ihnen weg und schon hatte ich einen Mann erschossen. Ich konnte es nicht glauben, verdrängte den Gedanken da dran.

„Du bist zu sensibel" Er setzte sich aufrecht hin und somit wusste ich, dass es zu einer Diskussion kommen sollte, also wand ich mich ihm zu.

„Nael, ich habe einem Mann das Leben genommen" Meine Augen brannten. "Für dich mag das normal sein. Das allein sagt schon viel über dich aus. Aber ich" Ich drückte mit dem Zeigefinger auf meinen Brustkorb. "Ich bin das nicht. Ich bin nicht, wie du"

Schweratmend suchte ich eine Regung in seinem eisernen Gesicht. "Bedeutet seine Familie zu vermissen vielleicht direkt auch, dass ich zu sensibel bin?", fragte ich ihn und blickte ihm direkt in die vor Wut blitzenden Augen.

„Schließ damit ab. Es gibt schlimmeres im Leben" Ich lachte daraufhin nur auf. Unglaublich war dieser Mann. Er machte mich jedesmal sprachlos. Ich war in keinster Weise in der Form so einen Schwachsinn zu Verstehen, geschweige denn zu Akzeptieren.

„Was ist schlimmer, als so weit von seiner Familie entfernt zu sein?", fragte ich ihn laut. Er antwortete nicht und blickte mir mittlerweile auch nicht mehr in die Augen. Doch ich wollte, dass er sich mir gegenüber stellt und mir seine komplette Aufmerksamkeit schenkte.

„Sag schon, was ist schlimmer?" Meine Stimme hallte im Raum. Ich erhob mich schnell und lief zu ihm. „Ich weiß nicht, wann ich sie nochmal sehen kann! Was ist schlimmer, als dieses schreckliche Gefühl?" Naels Mund blieb verschlossen. Seine Hand war zur Faust geballt und er mahlte seinen Kiefer. „Antworte mir doch!"

„Sei still", zischte er entzürnt. Er wollte aufstehen, doch er war zu hektisch, deshalb zuckte er vor Schmerz zusammen. Eilig fasste ich ihm hinter den Arm und hielt ihn fest. Diese dunklen Augen blickten zu mir hoch. Stärke, Kraft und Stolz strahlte er aus, doch gleichzeitig war in ihm diese Leere, die niemand füllen konnte. Er war einsam und hatte keine Familie, die ihn stützen und stärken konnte, doch trotzdem war er niveauvoll über jeder anderen Person in der Bande.

„Langsam", flüsterte ich und beugte mich vorsichtig nach unten, so dass er sich wieder auf die Couch setzen konnte. Dann ließ ich mich leben ihm nieder. Die pechschwarzen Haare ließen ihn gefährlicher aussehen und kombiniert mit diesen angsteinjagenden Augen konnte ich nachvollziehen, wieso jeder Respekt vor ihm hatte.

Doch alles was er brauchte, waren die Menschen, die er liebte und ehrte und ohne diese würde er ewig so kaltherzig und erbarmungslos sein. „Du schaffst es mich zu reizen", sprach er nach einer gewissen Weile voller Stille. Sein Blick war starr auf den Glastisch gerichtet.

„Sollte ich mich geehrt fühlen?", fragte ich leiser, als zuvor. Er blickte mich an und war mir mit einem Mal so nah, dass ich nicht anders konnte, als die Narbe an seiner Wange zu betrachten.

„Wie kam es dazu?", flüsterte ich und bereute dir Frage im selben Moment gleich wieder. Vielleicht mischte ich mich zu sehr in seine Vergangenheit ein. Still blickten wir einander an. Ich fragte um Erlaubnis. Plötzlich hob ich meine Hand und Zentimeter über der Narbe zögerte ich. Er schaute mich emotionslos an. Ließ es ihn kalt?

Sanft legte ich meine Hand an seine Wange. Sein Blick änderte sich in Sekunden und bewies, dass es ihn definitiv nicht kalt ließ. Seit wir uns das erste Mal gesehen haben, hielt uns eine Distanz voneinander entfernt und eine Kälte seinerseits beeinflusste die Verbindung, die wir mittlerweile aufgebaut hatten.

Seit dem ersten Mal hatte ich unendlich viele Fragen, Gedanken und Zweifel, die ich äußern wollte, doch mir fehlten die richtigen Worte.

Doch in dem Moment, in dem kalten Raum, nach der Schießerei und seinem Wutausbruch, als er mich mit einer Emotion anblickte, die ich nicht deuten konnte, während meine Hand leicht an seiner Wange mit der Narbe lag, genau in dem Moment, war es für eine kurze Zeit still in meinem Kopf.

Ich hatte keine Fragen, die ich ihm stellen wollte, oder Vorwürfe, die ich ihm gegen den Kopf werfen wollte. Alles was ich wollte, war den Frieden in dem Moment zu wahren und ihn diesen Moment als einen schönen in Erinnerung zu behalten.

Doch war es Naels Leben, wenn alles friedlich verlaufen würde?

Ich kannte diesen Mann noch nicht lange, doch ich wusste die Antwort. Nein.

GANGSTER OF THE STREETSWhere stories live. Discover now