Verwirrung

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Am nächsten Tag das Konzert. Es ist ein Riesenerfolg. Die halbe Stadt Hamburg stürmt die Straße, in der die Jungs singen. Ich mache einige LiveMitschnitte für Instagram. Dadurch, dass die Jungs die Versammlung nicht angemeldet haben, rückt irgendwann die Polizei an und löst alles weitgehend friedlich auf. Aber die Medien berichten schon darüber, und das ist alles, was zählt. Ganz Hamburg spricht von der 187 Straßenbande, und sogar ältere Menschen höre ich stolz sagen, dass Hamburg da echte Stars hervorgebracht hat. Ich spüre, dass Bonez Idee gut war.

Während des ganzen Konzerts, danach und davor halte ich Abstand zu Gzuz. Ich bin meistens bei LX, wir reden über die Oper und unsere Outfits. Er hat mir extra ein Kleid mitgebracht, das schick genug ist, in die Oper zu gehen. Er hat es gestern Abend noch bestellt.
Ich bemerke, dass Gzuz nicht wirklich begreift, was passiert ist. Gestern Abend wollte er mich nicht sprechen, aber heute ist er verwirrt, als ich nicht darauf eingehe, wenn er mich anspricht. Er macht mir ein Kompliment für meine Haare, ich lächle nett, sage Danke und wende mich ab. Dabei zerreißt es mich innerlich, aber ich spüre Bonez Blick auf mir. Es gibt keine andere Wahl.
Ich spüre Gzuz zunehmende Gereiztheit deswegen. Er scheint es nicht gewohnt, dass man so mit ihm umgeht, nachdem man mit ihm geschlafen hat. Wahrscheinlich hätte er erwartet, dass ich mich ihm direkt an den Hals werfe. Oder ihn wenigstens anspreche, aber nichts dergleichen. Ich weiche seinem Blick aus, seiner Präsenz. Ich bin gottfroh, als ich endlich nach Hause kann.
Zuhause probiere ich sofort das Kleid an, das LX mir gegeben hat. Es ist wunderschön. Der Rücken ist frei, vorne ist es über und über mit Perlen bestickt, und es hat einen langen, leichten Rock. Ich habe es an, stelle mich vor den Spiegel und fühle mich schön. Ich wünschte, Gzuz würde mich jetzt sehen. Ich wünschte, ich könnte ihm alles erklären. Aber ich kann nicht. Ich muss diese letzte Woche noch aushalten.

Ich mache mich gerade zurecht, als es klingelt. Seufzend blicke ich auf die Uhr. LX ist wieder zehn Minuten zu früh. Der Typ...
Hastig eile ich zur Tür - und stehe Gzuz gegenüber. Er starrt mich an. Ich starre zurück.
"Hi", bringe ich schließlich hervor. Gzuz starrt nur mein Kleid an. Ich weiß nicht, was das ganze für einen Eindruck auf ihn macht. Ich sehe aus, als wäre ich eben aus dem Märchen gekommen. Er steht da in seiner Jogginghose.
"Was zur Hölle machst du?", fragt er schließlich, als er den Blick von meinen Hüften losreißen kann.
"Ich, äh", sage ich und schweige. Mir fällt absolut nichts ein, das ich dazu sagen könnte. Schließlich zucke ich nur die Achseln. "Halt..bisschen hübsch machen."
"Wofür?", will er wissen. Ich seufze. Ach, was solls. Es ist eh vorbei, warum sollte ich da noch Rücksicht nehmen. "Ich gehe in die Oper."
"Was? Mit wem?"Engeisterung.
"Mit LX", murmele ich. "Er... er braucht eine Begleitung." Ich sage nichts von der Frau. LX hat mich gebeten, es niemandem zu erzählen.
"Aha." Gzuz Gesichtsausdruck macht mir klar, was er davon hält. Er scheint unschlüssig, was er sagen soll. Schließlich platzt es aus ihm heraus: "Bist schon dem nächsten hinterher, oder wie?"

Ich habe die Worte erwartet, und doch tun sie mehr weh, als sie sollten. Ich schließe die Augen und dränge meine Tränen zurück. "Klar", sage ich tonlos. "Du kennst mich doch. Ich bin erst glücklich, wenn ich mit der ganzen Straßenbande geschlafen habe."
Gzuz schüttelt den Kopf. "Nein, ich kenn dich nicht", sagt er und weicht zurück. "Ich dachte es. Ich dachte, es wäre ganz cool, dich kennenzulernen. Aber ich seh schon, das war falsch gedacht. Du bist überhaupt nichts anders. Du bist wie alle anderen. Vielleicht sogar noch schlimmer. Du zeigst es nur nicht offen. Du bist eine richtige Schlampe."
Ich weiß nicht, was er erwartet. Ich stehe da, vor ihm, und blicke ihn bloß an. In meinem Herz schreit alles, ihm zu antworten, ihm alles zu erklären. Aber ich kann nicht. Ich sehe Bonez Gesicht vor mir. Wenn ich ihn mag, würde er jetzt sagen, dann muss ich das aushalten.
"Es wäre doch eh nie was geworden", sage ich schließlich leise. Dann drehe ich mich um, gehe ins Haus und schließe die Tür. Und dann beginne ich zu weinen. Heftig, zu weinen. Mein komplettes Make-Up verrutscht, aber es ist mir egal. Ich wünschte so sehr, ich könnte die Tür wieder aufmachen, mich entschuldigen, und ihn in die Arme nehmen. Ihn küssen. Aber es geht nicht. Nach einer Weile höre ich ihn zum Auto gehen. Er schlägt die Tür zu und braust davon.

Ich rapple mich wieder auf. Ich denke an LX. Er darf nicht... ich bin es ihm schuldig, heute mein bestes zu geben. Er hatte gestern so viel Geduld mit mir! Ich springe auf und renne ins Bad, schminke mich nochmal neu und bringe die Haare wieder in Ordnung. Einen Moment später klingelt es.

"Scharf", sagt LX beeindruckt, als er mich sieht. "Zeig mal von hinten." Ich drehe mich um und zeige meinen Rücken. Er pfeift. "Ich glaube, wir finden dir heute Abend einen hübschen. Falls du es willst", fügt er schnell hinzu, als er meinen Blick sieht. Ich lächle traurig. "Kümmern wir uns erst mal um dich."

Die Frau, die LX meint, ist mir auf Anhieb sympathisch. Sie ist klein, sehr zart, und sehr sehr sanft. Sie hat treue Augen, in denen man sofort sieht, dass sie ein liebes Wesen hat. Ich freue mich, dass LX so eine Frau anziehend findet. Anfangs unterstütze ich die beiden noch beim Gespräch, dann haue ich ab. Ich trinke einige Gläser Sekt und schaue mich um, als mich jemand auf die Schulter tippt.
"Hallo, Süße", sagt Schmidt. Um Gottes willen. "Danke nochmal, dass du meinen Ruf zerstört hast. Du und deine Rapperbande. Ihr werdet dafür bezahlen, das kannst du mir glauben." Ich sehe hinter ihm seine Tochter, die verquollene Augen hat, als habe sie tagelang geweint. Sie drängt sich nach vorn. "Hast du Maxwell auf mich angesetzt? Wie kannst du sowas tun?"
"Ähh..", sage ich. Ich bin wie versteinert. Die Szene macht mir Angst. "Sie haben doch damit angefangen. Sie haben Gzuz in den Knast bringen lassen, was erwarten Sie da? Das wir fair spielen?" Schmidt schnaubt nur. "Seht euch vor", zischt er dann. "Keiner von euch wird einen Wahlerfolg haben." Dann stampft er davon. Ich halte seine Tochter am Arm fest. "Bitte", sage ich verzweifelt. "Ich habe Bonez doch extra ausgeredet, das Video zu veröffentlichen."
"Meine Freunde wissen es trotzdem", flüstert sie. "Maxwell hat es einer Freundin von mir geschickt. Ich...ich will einfach nur, dass er dafür bezahlt."

Ich starre ihr nach. Ich spüre, dass etwas schlimmes passieren wird. Was soll ich nur tun?

Zufall? Schicksal?Where stories live. Discover now