Pause

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Irgendwann wache ich auf.  Scheinbar bin ich eingeschlafen. Einen Moment lang geht es mir gut, bis mir alles wieder einfällt und mir sofort wieder einen Stich versetzt. Ich schlucke meine Tränen hinunter. Es reicht langsam mit Weinen.
Ich werfe einen Blick auf mein Handy. 4:34 Uhr. LX hat mir geschrieben.

Bist du schon nach Hause?
Ich hole dich morgen früh ab. 10 Uhr

Ich schreibe ein Okay, dann gehe ich duschen. Alles in mir fühlt sich taub an. Ich kriege die Bilder nicht aus meinem Kopf, wie er hier mit mir stand und wir gevögelt haben. Als ich ins Bett gehe, sehe ich ihn dort liegen. Ich ertrage es nicht. Ich nehme meine Decke, dann rolle ich meine Isomatte in der Küche aus und lege mich dorthin. WIeso tut es so weh? Es war doch etwas einmaliges, oder? Aber es fühlt sich so an, als hätte Bonez es mir geklaut. Ich kann nicht begreifen, dieser Schmerz, wie brutal er ist. Mir kommt mein LIeblingslied von den Ärzten in den Sinn: Nichts in der Welt. Es ist vorbei, und der Himmel ist schwarz, weil die Sonne hier nie wieder scheint. Ich fange wieder an zu weinen. Wie schwach ich doch bin, wegen einem Kerl zu heulen! Und dabei liebe ich ihn nicht mal! Vielleicht bin ich ein bisschen verknallt, na und? Kein Grund hier zu weinen! Und doch fühle ich mich elend. Kacke, wie soll ich es überstehen, ihn noch eine Woche lang zu sehen, ohne ihm nahekommen zu dürfen?

Ich stehe am Meer. Alles ist schwarz. Ich spüre einen Stich...jemand hat mir ein Messer in die Rippen gerammt. Ich drehe mich um. Mein Atem stockt. Bonez steht hinter mir. "Sorry, für die Familie", sagt er. Hinter ihm knutscht Gzuz die Olle ab. Ich rufe seinen Namen...dann falle ich ins Meer...es klingelt...es klingelt...

Ich fahre aus dem Schlaf hoch. Es klingelt. Jemand hämmert gegen die Tür. "TASCHA!!", brüllt jemand. "Bist du da??? Bitte, mach auf! HEY!" Ich springe auf. LX. Verdammt, ich habe total verpennt. Es ist schon nach zehn. Ich renne zur Tür und reiße sie auf. LX steht mir gegenüber. Er sieht mein verheultes Gesicht, meine zerstrubbelten Haare. Wortlos nimmt er mich in den Arm.
"Ist schon gut", murmelt er leise. Ich muss wieder weinen. Verdammt, was soll das?
"Geh lieber", sage ich müde. "Ich kann nicht...ich brauche Pause." Aber LX schüttelt nur den Kopf. Er ruft Bonez an und sagt knapp, dass wir später kommen. Dann folgt er mir in die Küche. Als er mein Schlaflager sieht, scheint ihm erst das Ausmaß des Dilemmas zu dämmern.
Er setzt mich auf einen Stuhl, dann setzt er heißes Wasser auf, dreht einen Joint und steckt ihn mir in den Mund. "Das hilft immer", sagt er knapp. Als der Tee fertig ist, gießt er mir eine Tasse ein. "Rede", bittet er mich. Ich schüttle nur den Kopf. "Ich will nicht reden", murmele ich. "Ist schon okay. Ich will einfach... ich will nur...warten." LX setzt sich zu mir und wartet. Irgendwann bricht alles aus mir raus. Ich erzähle ihm von Bonez Worten. LX seufzt.
"Ja, dachte mir schon, dass sowas kommt", sagt er mitleidig. "Bonez ist...ziemlich irre, was das angeht. Aber, Tascha, er will immer nur das Beste für Gzuz. Und bis jetzt hat er sich noch nie geirrt. Wenn er das für das beste hält, musst du das wohl akzeptieren."
Ich vergrabe das Gesicht in den Händen. "Ich weiß gar nicht, was ich habe", flüstere ich dann. "Ich..es ist nur, ich mochte ihn wirklich, verstehst du?" LX nickt.
"Glaube ich sofort."

Irgendwann schaffen wir es doch noch, das Haus zu verlassen. LX Begleitung tut mir gut. Er ist anders als der Rest der Bande. Er versteht mehr. Und er ist rücksichtsvoll. Wir fahren durch Hamburg, ziellos durch die Gegend, zu McDonalds Eis essen, an den Hafen, durch die Vorstadt, und reden über alles. Irgendwann sage ich, dass wir zu Bonez können. Ich fühle mich gewappnet.
Es ist wieder ein warmer, sonniger Nachmittag, also sitzen alle im Garten. Bonez hat anscheinend einen Großeinkauf gemacht. Irgendjemand hat ein Caprisonnenbuffet aufgebaut. Maxwell ext gerade eine halbe Flasche Vodka, als wir dazustoßen. Ich kann Gzuz nirgends sehen und bin sehr erleichtert.
Bonez bemerkt uns. Er mustert mich eindringlich, aber ich halte seinem Blick stand. LX schiebt mich zu den Liegestühlen und wir setzen uns, wie immer etwas abseits der anderen. Er holt uns ein paar Caprisonnen und Eiscreme. Dann erzählt er weiter von seiner Zeit im Knast. Er scheint erleichtert, mal darüber reden zu können. "Es hat mir gezeigt, dass es sich manchmal lohnt, ruhig zu bleiben", sagt er. "Ausflippen bringt nichts, wenn du danach in Bau kommst. Dafür büßt du so lang."
Bonez setzt sich zu uns. Ich merke LX an, dass er ihn lieber nicht hier hätte gerade. Wir reden über die letzte Whalkampfwoche. Bonez schlägt vor, ein Konzert zu geben, in der Innenstadt. Unangemeldet. Ich finde die Idee gut, wenn sie zwischen den Songs noch ein bisschen über ihre Wahlkampfsachen reden. Wir einigen uns darauf, die Aktion direkt morgen zu bringen.

Plötzlich Gekreische vom Haus her. Ich höre Gzuz Lachen, einige Mädels lachen. Es versetzt mir direkt wieder einen Stich. LX räuspert sich und ich schaue zu ihm. Er lächelt leicht. Irgendwie macht es das besser.
Bonez steht auf und geht wieder zu den anderen hinüber. Gzuz kommt heran, drei Mädels im Schlepptau. Sie kichern affektiert. LX reicht mir eine neue Caprisonne. Ich habe die alte so fest gedrückt, dass alles über dem Rasen ausgelaufen ist. LX  ruscht seine Liege etwas näher an meine und zeigt mir etwas auf seinem Handy. "Warst du schonmal in der Oper?", fragt er mich. Ich nicke. "Klar, wieso?" Aus den Augenwinkeln beobachte ich, wie Gzuz von den drei angetatscht wird. LX lächelt. "Da ist so eine Frau. Sie ist der Hammer. Sie arbeitet in der Oper. Ich würde sie gern kennenlernen, aber ich will nicht wie der letzte Idiot wirken. Im Moment führen die da gerade die Zauberflöte auf. Kennst du das Stück?"

Ich reiße meinen Blick von Gzuz los und konzentriere mich auf LX. "Klar", sage ich. "Also, pass auf..." und ich erkläre ihm das Stück. Irgendwie schafft LX es wirklich, mich abzulenken. Er stellt so viele Nachfragen, dass es mich selbst richtig fesselt, was ich ihm da erzähle. Ich erzähle gerade von der krassen Arie der Königin der Nacht, als sich jemand vor mich stellt.
Es ist die Olle von Gzuz. Dieser ist gerade wieder ins Haus verschwunden. Sie lächelt mich süßlich falsch an. "Na, hast du aufgegeben?"
Irritiert halte ich inne. "Was aufgegeben?"
"Gzuz", flötet sie und kichert. "Hast du eingesehen, dass du keine Chance hast? Naja, für einen Fick hats ja gereicht. Nur anscheinend war er nicht gut genug."
LX will etwas sagen, aber ich komme ihm zuvor. Ich brauche niemanden, der diesen Kampf für mich kämpft. "Stimmt. Ich habe überhaupt keine Chance. Deswegen überlasse ich ihn dir. Du allein scheinst ihm ja völlig zu reichen." Ich schaue mich auffällig um. "Oder ist er gerade wieder mit deinen Freundinnen ficken gegangen? Ups."
Sie schnaubt nur. "Eifersucht steht dir nicht", zischt sie.
Ich zucke die Achseln und wende mich wieder LX zu. Kurz steht sie noch unschlüssig da, bis LX sagt: "Janine, verpiss dich einfach. Kein Mensch braucht dich." Dann haut sie ab. LX schüttelt angewidert den Kopf. Aber ich schaue zu Bonez. Er hat uns beobachtet, das weiß ich. Ich erwische seinen Blick, aber er hält ihn aufrecht, wie um mir zu bestätigen, dass er Bescheid weiß. Ich schaue emotionslos zurück. Ich weiß nicht, was ich für ihn empfinde. Wahrscheinlich hasse ich ihn.

Auch eine Stunde später ist LX noch nicht wirklich schlauer über die Oper. Er schläft schließlich vor, dass ich ihn morgen Abend einfach dorthin begleite. Dann würde er mich irgendwann zurücklassen und sich an die Frau ranmachen. Aber ich stimme zu, ich habe das Gefühl, dass er das braucht. Und ich noch mehr.


Zufall? Schicksal?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt