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Ich sitze mit Lisa im Büro und höre mir seit einer halben Stunde ihre Schimpftiraden an. Währenddessen google ich die Mitglieder der 187 Straßenbande, um meine Zeit nicht ganz zu verschwenden. Nach unserem Friedensschluss sind die fünf abgedampft. Lisa hat sich nicht mehr blicken lassen. Jetzt erst läuft sie aufgebracht im Büro herum und beklagt sich über alles, ohne ihre eigene Schuld in Betracht zu ziehen.

"Weißt du, was das Problem ist? Diese Typen hatten nie Respekt vor Frauen, und sie werden ihn auch nie haben. Die können nicht damit klarkommen, dass-" Mein Handy klingelt. Ich gehe demonstrativ ran. "Hallo?"

"Kleine", sagt zu meiner Überrraschung LX. Ich hatte mit den Jungs Nummern ausgetauscht, um in Kontakt zu bleiben, hatte jedoch nicht mit einem so schnellen Anruf gerechnet. "Was machst du nachher?" "Ich muss meine Umzugkartons noch auspacken. Was gibts?" "Folgendes, ich habe meine Jacke bei euch hängen lassen. Bin ziemlicher Idiot, hab sie draußen aufgehängt und dann einfach da gelassen. Hab jetzt aber kein Bock wieder zu euch zu fahren. Kannst du sie mitnehmen und ich fahre nachher schnell bei dir vorbei und hol sie? Brauche sie heute noch."

Ich nicke, bis mir einfällt, dass er das wohl nicht sehen kann. "Klar. Adresse..." Ich gebe ihm meine Straße durch und verabschiede mich. Das nehme ich als Auswand, um nach Hause gehen zu können. Ich verspreche Lisa, weiter Informationen zu sammeln, und mache mich aus dem Staub.

4 Stunden später. Ich sitze in einem riesigen Berg von Klamotten, Geschirr, Büchern, Papieren, Schokolade. Besser gesagt, ich liege auf ihm und habe es aufgegeben, auszupacken.  Ich höre Tupac, weil seine Stimme mich beruhigt, und Beruhigung habe ich nötig. Ich hasse Umzüge! Wie soll ich mit all dem fertig werden? Und mit Bett aufbauen habe ich noch gar nicht angefangen. Geschweige denn das Regal von Ikea...

Plötzlich klingelt es. Und wieder, sehr häufig ungeduldig hintereinander. Seufzend stehe ich auf. Mir fällt jetzt auf, dass ich schon meinen Kimono anhabe, aber in dieser Wohnung ist es auch abartig warm. Irgendetwas mit der Heizung stimmt nicht! Egal, denke ich. Ist ja nur LX. Ich gehe zur Tür und öffne. Tatsächlich stehen LX, Gzuz und Maxwell davor und starren mich an. Jetzt ist es mir doch etwas unangenehm, in Seidenkimono vor ihnen zu stehen. Aber zum Glück ist er lang genug, alles sicher zu verdecken. Ich sehe ihre Blicke trotzdem über meinen Körper wandern, den sie vorhin unter dem Jogginganzug nur hatten erahnen können. Dann bricht Maxwell plötzlich in Gelächter aus. Er deutet auf das Schlamassel hinter mich. "Geile Butze", stellt er fest. "Wohnst du auf Hamburgs neuem Schrottplatz?" Jetzt lachen auch die anderen beiden. Ich muss grinsen. "Umziehen ist anstrengend, Mann", sage ich und reiche LX seine Jacke. Er schüttelt gespielt verzweifelt den Kopf. "Dass du die da drin überhaupt noch gefunden hast..." LX ist mir wirklich sympathisch. Ich lache. "Null Problemo, das Chaos hat System." Dann trete ich einen Schritt zurück und lächle sie freundlich an. "Viel Spaß euch dann noch." Ich will die Tür schon schließen, als LX eine Hand auf den Türrahmen legt. "Hör mal, Kleine, wir haben noch ein bisschen Zeit, bis wir  losgehen. Können wir helfen?"

"Ach", wehre ich ab. Es wäre mir unangenehm, wenn sie in meinen Sachen rumwühlen würden. "Danke, ich schaffe das schon." "Glaube ich nicht", meint LX. Er drückt Maxwell seine Jacke in die Hand. "Geh mal Essen holen. Gasi und ich bleiben noch bisschen hier und helfen." Maxwell zuckt die Achseln und wendet sich zum Auto. Währenddessen spazieren Gzuz und LX an mir vorbei in die Wohnung. "Äh...", sage ich, etwas überfordert. "Alles gut. Danke. Vielleicht könnt ihr Bett und Regal aufbauen?" "Klar", sagt Gzuz, als wäre die Frage etwas dummes. Er nimmt mit seiner Riesenpranke den Karton, in dem die Bestandteile des Betts verstaut sind, und macht sich daran, auszupacken. LX setzt sich zu ihm und beginnt erstmal, einen Joint zu bauen. Ich sortiere währenddessen weiter meine Wäsche.

"Hörst du da Tupac?", fragt LX. Er klingt angenehm überrascht. "Ja, gegen die Aggression", sage ich. LX lacht. "Du hörst Rap gegen die Aggression? Rap IST Aggression." "Ich weiß, aber die Aggression von anderen. Wenn ich höre, dass die ihre Aggression ausleben, muss ich das nicht tun", erkläre ich mich. LX mustert mich nachdenklich. Gzuz beginnt, zwei Bretter aneinander zu schrauben. Die Stille ist mir unangenehm. Ich überlege, worüber ich reden könnte. "Was macht ihr nachher noch?", frage ich schließlich. "Paar Gruppies vernaschen", sagt LX und zwinkert mir zu. "Wahrscheinlich Club. Erstmal zu Bonez aber. Dann schauen wir weiter." Ich nicke. Mir fällt nichts ein, was ich dazu sagen könnte. LX bietet mir wieder einen Zug am Joint an. Dann fragt er: "Hast du eigentlich studiert?" "Ja, Jura", sage ich seufzend. Gzuz bricht in schallendes Gelächter aus. Er dreht sich zu mir um. Sein Gesichtsausdruck ist halb belustigt, halb ungläubig. "Und warum hängst du dann mit uns rum? Wurdest du von der Staatsanwaltschaft bezahlt, mal paar von unseren Delikten mitzuschreiben?" Ich schüttle den Kopf. "Ich bin nicht wirklich glücklich gewesen über mein Studium. Ich hab es halt fertiggemacht, und dann hatte ich das unglaubliche Glück, Sonneborn kennenzulernen. Ich arbeite bei ihm im Büro und mache alles, was so ansteht, Jura kann ich dabei zum Glück umgehen." Gzuz mustert mich weiter. "Ich hasse diese ganzen Wixer, die das Zeug studieren, von dem sie keine Ahnung haben. Und dann werden sie Richter, und tun so, als verstehen sie, warum du das gemacht hast. Sie geben dir Regeln, die du nicht halten kannst, weil du die Asche dazu nicht hast, und wenn du sie brichst, sperren sie dich ein. Zum Kotzen." "Stimmt", sage ich höflich. "Aber manchmal auch nicht schlecht, dass nicht alle Mörder frei rumlaufen." "Die mit genug Asche schon", mischt LX sich ein. "Die Leute, die  mit ihrer Firma in Afrika die Leute umbringen, die müssen nicht bestraft werden, oder?"

Ich seufze. "Wie gesagt, ich finde das ja auch kacke. Aber das deutsche Recht ist halt so. Vielleicht wird es sich ja ändern, wenn Sonneborn Kanzler ist. Das ist meine Hoffnung." Wir arbeiten schweigend weiter. Irgendwann fängt Gzuz an zu fluchen und schmeißt das Brett wütend von sich. "Die Scheiße!! Irgendwas falsch mit diesem hurensohn Bett!!!" LX beginnt zu lachen. Er liegt auf meinem Kleiderstapel und schaut sich meine Sachen an. Gzuz verschränkt die Arme. Ich muss lachen. Da wäre ich allein fleißiger gewesen als mit den beiden. Ich rutsche zu Gzuz und studiere die Anleitung. Dann schaue ich sein Werk an. "Also das Brett muss darüber", sage ich und weise auf die andere Seite. "Sonst ist es glaub richtig." "Ein Weib macht das besser als du, Gasi", spottet LX. Gzuz wirft ihm nur ein Brett auf den Bauch. Dann wirft er mir einen belustigten Blick zu. "Irres Mädel. Kannst gern mal in deinem Kimono vorbeikommen und bei mir was aufbauen." Er grinst dreckig. Ich spüre, wie mir noch heißer wird als ohnehin schon. "Geiles Teil", sagt LX plötzlich anerkennend hinter mir. Er hält einen Tanga in die Höhe und zwinkert mir zu. "Zieh doch mal an, dass wir sehen, wie es aussieht." Ich reiße es ihm aus der Hand und stopfe es wieder unter den Kleiderstapel. Ich spüre, dass ich rot werde. "Nein, danke", sage ich. Gott sei Dank klingelt es dann. Maxwell bringt Essen. Danach essen wir zusammen, Gzuz bringt mit Maxwell das Bett tatsächlich zu Ende und LX schläft ein bisschen mit dem Kopf auf meinem Bein. Danach düsen die drei ab, nicht ohne dass Gzuz nciht plötzlich noch ein Bild von mir macht. "Muss ich Bonez zeigen. Er hat sich schon gefragt, wie du unter deinem Jogginganzug gebaut bist", sagt er frech und zieht die Tür hinter sich zu. Ich seufze. Aber irgendwie....irgendwie bin ich geschmeichelt. 

Zufall? Schicksal?Where stories live. Discover now