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„Oh ja, natürlich kümmere ich mich nie um etwas, V, es ist ja auch nicht so, dass ich tausende Kilometer entfernt in NEW YORK lebe und außerdem kann ich doch nichts dafür, dass du dich jetzt damit rumschlagen musst, das Haus zu verkaufen, weil Grembold aus gewissen Gründen tot ist", Mum funkelte V wütend an, ich sah augenverdrehend zu Carol rüber, die das ganze mit ihrem üblichen neutralen Gesichtsausdruck beobachtete, als würde sie eine Soap im Fernsehen gucken.
„Wenn du mit all dem nichts zu tun haben willst, WIE IMMER, kannst du ja auch wieder gehen", konterte V, woraufhin Tanner beschwichtigend aufstand: „Hey, das hier ist ein Weihnachtsessen - also jedenfalls fast - also beeft euch nicht die ganze Zeit so an. Wir können uns doch einfach alle vertragen, oder?"
Er und Castle verstanden sich immer bestens.
V und Mum fanden diese Einmischung nicht gerade genial, und Vs Augen verengten sich zu Schlitzen. „Sag du mir nicht, wie ich mich zu benehmen habe!"
Tjiara knabberte unmotiviert an einem Weihnachtskeks herum, den sie gebacken hatte. Das ganze ging nun schon seit gefühlten Stunden so. Ich hatte keine Lust mehr.
„Yo, willst du vielleicht mitkommen, das Haus erkunden, solange wir noch Gelegenheit dazu haben, bevor es von irgendeiner Washington Bonzen Familie gekauft wird?", fragte ich meine ‚Cousine'.
Ihr Gesichtsausdruck erhellte sich: „Klar, ist ja immerhin nicht so, als dass man hier viel verpassen würde."
„Kommt auf den Blickwinkel an", meine Zwillingsschwester hätte am liebsten einen Eimer Popcorn gehabt, hatte ich das Gefühl.

„Viel Spaß", flüsterte Castle und zwinkerte uns verschwörerisch zu, nachdem ich ihm von unserem Plan erzählt hatte.
Mum und V waren zu sehr mit ihrer Diskussion beschäftigt, als dass sie mitbekamen, wie Tjiara und ich uns weg schlichen.
Das Haus war riesig und ich kannte bis jetzt erst einen winzigen Teil davon.
„Mum hat mir erzählt, dass es hier auch irgendwo einen Innenpool gibt, lass uns den mal suchen gehen", schlug ich vor, und Tjiara nickte enthusiastisch. Wir hatten natürlich keine Schwimmsachen dabei, aber trotzdem wollte ich das Schwimmbad mal sehen.
„Wo meinst du müssen wir dann lang?", fragte Tanners Nichte, als wir in der großen Schachfliesen Eingangshalle auskamen.
Sie war wirklich beeindruckend, aber irgendwie auch kalt. Ich konnte mir nur sehr schwer vorstellen, dass Mum in diesem Haus aufgewachsen war, denn nichts, absolut nichts darin passte zu dem Menschen, der sie eigentlich war.
„Ich würde schätzen, wir blieben im Erdgeschoss. Mal sehen, was hinter dieser Tür hier ist."
Ich entschied mich für eine weiße Flügeltür auf der rechten Seite der Eingangshalle, die senkrecht zur Küchentür abging.
Statt eines Zimmers war dahinter ein ganzer Gang. „Ich komm immer noch nicht damit klar, wie groß dieses Haus eigentlich ist."
„Irgendwie ist es wie das Pentagon. Du denkst zwar schon, dass es groß ist, aber wenn du es dann siehst ist es noch größer als du gedacht hast." Tjiara war schon öfter hier gewesen als ich, aber trotzdem kannte sie sich nicht so viel besser aus:
„Soweit ich mich erinnere ist hier irgendwo eine Tür, die zum Pool führt. Scarlett hat mir das mal gezeigt."
Scarlett war nicht zu dem Abendessen heute gekommen, weil sie ausnahmsweise mal im Urlaub war mit Judd, da er seinen 70. Geburtstag feierte. Scar hatte ihm zu diesem Anlass eine Reise nach Portugal geschenkt.
Ich wäre ja auch lieber in Portugal gewesen als eine neue Folge von ‚keeping up with the Sterlings' live zu sehen, aber mich fragte ja keiner.
„Dann probieren wir einfach mal die verschiedenen Türen aus, würde ich sagen" Ich probierte die erste Klinke und trat in den Raum ein, was allerdings ziemlich langweilig war: ein elegantes Bad, wahrscheinlich für Gäste. Das schien schon länger keiner mehr betreten zu haben, denn eine Vase mit mumifizierten Rosen stand auf dem Waschbeckenrand und auf der Seife war meterdick Staub.
„Okay, nächste Tür", abenteuerlustig drückte Tjiara die goldene Klinke der gegenüberliegenden Türe herunter.
Das Zimmer dahinter sah aus wie ein Hotelzimmer; ein Bett stand darin und ein Schrank und ein Tischchen mit Stühlen, aber es gab keine persönlichen Sachen. Klarer Fall: Gästezimmer.
„Also ich wäre ja nicht unbedingt gerne zu Gast in diesem Haus", kommentierte ich, „Obwohl das Bett schon gemütlich aussieht." ich ließ mich auf die weiße Baumwollbettdecke fallen und stellte fest, dass es tatsächlich so gemütlich war, wie erwartet.
Man könnte jetzt auch einfach hier liegen bleiben....
Aber mein Entdecker Instinkt war größer.
„Okay, weiter geht's. Nächste Tür. Das ist ein bisschen wie ein Adventskalender, findest du nicht?" Tjiara zog eine Augenbraue hoch, ein richtiges V-Face. Das hatte sie sich wohl von meiner Tante abgeguckt. „Wenn man davon absieht, dass statt Schokolade langweilige Räume hinter den Türen sind, dann ja, klar, das selbe in grün."
„Ein bisschen mehr Optimismus bitte, wir haben erst zwei Türen aufgemacht, die können doch nicht alle langweilig sein. Die hier zum Beispiel... ist verschlossen?"
Ich nahm nicht an, dass die Tür zum Schwimmbad abgeschlossen wurde, aber was auch immer hier hinter lag war vielleicht noch interessanter.

„Hast du vielleicht ne Haarnadel oder so?" Tjiara hatte im Gegensatz zu mir eine schöne Frisur gemacht und ihre Haare hochgesteckt, also war die Wahrscheinlichkeit hoch. Ohne sie wäre ich allerdings aufgeschmissen, ich benutzte nie Haarnadeln, und selbst wenn ich das täte würde ich sie in meinen großen, unordentlichen Locken vermutlich sowieso nicht wiederfinden.
„Du willst das Schloss knacken?", fragte sie ungläubig.
„Na klar, stört doch keinen. Ich bräuchte zwei Haar Pins."
Tjiara reichte sie mir und in weniger als dreißig Sekunden war die Tür offen. Vielleicht war die CIA Zeit ja doch zu irgendwas gut gewesen.
„Allez, allez dann, treten wir ein."
Vor uns lag statt eines Zimmers eine kleine Wendeltreppe.
„Das ist ja noch besser hier als bei Gideon Zuhause", lachte ich und begann, die Stufen hochzugehen. Das Geländer war mittlerweile zu einer Spinnweben Metropole geworden, also konnte man davon ausgehen, dass hier seit Ewigkeiten keiner mehr drin gewesen war.
Und als wir oben ankamen, wurde uns auch klar, warum.

An der Wand hingen alte Familienfotos, sehr alte, ich erkannte nur Mum wieder, die ein Teenager war, aber dass das kleine Mädchen V sein sollte, konnte man sich nur aus dem Kontext erschließen. Die beiden waren zusammen mit Grembold und Johanna fotografiert, wobei ich Grembold ebenfalls niemals erkannt hätte, denn er hatte tatsächlich nicht immer alt und böse ausgesehen?
„Wo sind wir hier gelandet, meinst du?", fragte Tjiara, obwohl wir es beide bereits erahnen konnten. Es gab drei Türen, die von dem kleinen Flur abgingen, in dem wir uns befanden. „Das ist ja wie bei diesem mathematischen Ziegenproblem hier mit den drei Türen. Welche wollen wir nehmen?"
Tjiara öffnete die linke. Wieder ein Schlafzimmer, aber es sah völlig anders aus als das Gästezimmer unten.
„Oh", flüsterte ich überrascht. Das Zimmer sah aus, wie aus der Zeit gefallen. Es schien eine Art Arbeitszimmer zu sein, mit einem großen hölzernen Schreibtisch darin, worauf eine dieser eleganten grünen Lampen stand. Außerdem gab es ein altmodisches Sofa und einen Drehstuhl aus dunkelblauem Leder. Unter normalen Umständen hätte ich vermutlich direkt ein paar Runden durchs Zimmer gedreht, oder meine Füße auf den Schreibtisch gelegt und so getan, als sei es meiner, aber etwas hielt mich davon ab: die beiden eingerahmten Fotos auf dem Tisch, die endgültig festlegten, wessen Arbeitszimmer das hier einmal war.
Denn eins davon war ein Hochzeitsfoto und das andere ein Bild von zwei Mädchen, eins ein Teenager, das andere erst 4 oder 5. Das Hochzeitsfoto war den Farben nach zu urteilen aus den 70er Jahren, die Frau hatte ein wunderschönes langes weißes Kleid an und ihre Haare trug sie in langen braunen Locken (das lag seit Generationen in der Familie, nur V hatte glattere Haare), der Mann trug einen eleganten Anzug und lächelte glücklich. Er sah tatsächlich gut aus.
„Sind das...?" ließ Tjiara die Frage im Raum hängen und ich murmelte die Antwort: „Johanna und Grembold." Und die Kinder auf dem anderen Foto waren natürlich V und Kate.
Ich nahm es vorsichtig in die Hand und wischte den Staub vom Glas. Diese Fotos, sie sahen so glücklich und unbeschwert aus und ich dachte darüber nach, wie anders alles gekommen wäre, wenn Johanna überlebt hätte.
Irgendwie fühlte es sich falsch an, hier in ihrem alten Arbeitszimmer zu stehen, aber trotzdem war ich neugierig.
„Wollen wir den Schreibtisch öffnen?", flüsterte ich und wollte mich bereits ans Schloss machen, um zu sehen, was für wichtige andere Dinge wir vielleicht noch finden sollten, bevor Mum und V dieses Haus verkauften, aber bevor es dazu kommen konnte, hörte ich Castles fröhliche Stimme von unten:
„Claire, Tjiara, Essen ist fertig, wollt ihr runter kommen? Wo in diesem Labyrinth seid ihr überhaupt? Ein Weihnachtswunder ist passiert, V und Kate vertragen sich tatsächlich!"
Ich sah meine Cousine an, einen Moment unschlüssig.
„Dann gehen wir besser wieder runter", erklärte sie, und damit hatte sie wohl recht. Vielleicht würde ich irgendwann vor dem Verkauf nochmal dazu kommen, die Geheimnisse dieser Zimmer zu erkunden, vielleicht war es auch besser, sie für immer ruhen zu lassen.
Aber so oder so befand sich, als wir wieder am Tisch saßen, das alte Foto von V und Mum in der Tasche meiner Lederjacke.
Die Erinnerungen aus diesem riesigen, kalten Haus waren eben nicht nur schlechte.

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