Vertrauensbruch

2.3K 165 20
                                    

   Leon war eigentlich fast immer zuhause. Er arbeitete schließlich dort. Einkaufen ging er auch nicht, er gehörte zu den wenigen Menschen die tatsächlich diese neumodische Art  von Schränken besaßen, die an ein Computer-System weitergaben sobald etwas zur Neige ging. Er bekam also zwei Mal pro Woche seine üblichen Lebensmittel direkt vor die Haustüre geliefert. Natürlich konnte er auch Extrawünsche angeben. Vom Einkaufen hielt er einfach nichts, er meinte es wäre Zeitverschwendung. Und eine Haushälterin wollte er partout nicht in sein Haus lassen, dafür hatte er zu wenig Vertrauen in die Menschen. Er versteckte ja schließlich auch manchmal ziemlich wichtige und wertvolle Gegenstände in seinem Haus. Wie den Schlüssel, den ich mir nun zu Eigen machen würde.

   Denn auch wenn Leon fast nie sein Haus verlassen musste, so hatte er dennoch eine unsagbare Schwäche für Sport und insbesondere fürs Fitnessstudio. Leon war da sehr strikt in seiner Zeitplanung, deshalb ging er vier Mal die Woche immer an den selben Tagen und zur gleichen Zeit ins Studio. Im Laufe der Jahre hatte ich diese Zeiten auswendig gelernt um zu wissen, wann ich vor Leons Türe erscheinen konnte und wann es keinen Sinn hatte.

   Heute war einer dieser Tage. Es war Montag und er verließ immer um Punkt 10:00 sein Haus, was er um ziemlich genau 12:30 wieder betrat. Ich würde also ein Zeitfenster von zwei ein halb Stunden haben. Mein einziges „Problem“ war, dass ich mir eine Entschuldigung von meiner Mutter für die Schule schreiben lassen musste.

   Pünktlich um halb 7 schlurfte ich in die Küche, in der meine Mutter bereits stand und Pfannkuchen machte. Ich freute mich bei dem Anblick. Pfannkuchen gab es morgens nicht allzu oft und es gab nichts was mich morgens glücklicher machte als ein paar gut gebackene Pfannkuchen. Fröhlich setzte ich mich an den Tisch und sah meine Mutter dann mit meinem Best möglichen Dackelblick an.

   Als sie sich zu mir umdrehte fielen ihr ihre blonden Locken sanft um die Schulter. Mit einem warmen Blick sah sie zu mir rüber und als sie meinen Dackelblick sah verzog sich ihr Mund zu einem herzlichen Lächeln. Ich fragte mich wie es möglich war, dass ich, mit solch einer düsteren angsteinflößenden Ausstrahlung, die Tochter solch einer engelsgleichen Frau sein konnte. Doch das spielte nun keine Rolle, ich musste mich konzentrieren.

   „Was willst du, Liebling?“, fragte meine Mutter lachend.

„Könntest du mir bitte für heute eine Entschuldigung schreiben? Ich muss dringend etwas erledigen.“ Aus dem warmen Lächeln meiner Mutter wurde eine unzufriedene Miene.

„Kalißa, das kann ich nicht tun. Auch wenn du dein anderes Leben als äußerst wichtig erachtest, so ist die Schule  ebenfalls wichtig.“

   Verärgert stand ich auf. Ich war die Sache völlig falsch angegangen und nun hatte ich ein Problem. Ich würde auch unentschuldigte Fehlstunden akzeptieren nur um an diesen Schlüssel zu kommen doch mir war lieber wenn ich das vermeiden könnte.

   „Mama bitte! Du weißt ja nicht wo ich da drin stecke. Es ist wirklich wichtig für mich.“

Doch meine Mutter blieb hart. „Ich bin sicher du bist einfach nur wieder zu ungeduldig und das kann noch bis zum Wochenende warten.“

Das war der kleine Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Wieso behandelten mich in letzter Zeit alle wie ein dummes und unreifes Kind? Leon, Ben, und meine Mutter konnte es sich offenbar auch nicht nehmen lassen. Das kleine bisschen Verständnis, das ich eben noch für meine Mutter und ihre Entscheidung hatte war nun verflogen. Stattdessen verspürte ich nur noch Wut. Mein Adrenalin-Pegel stieg enorm an und meine Hände begannen zu zittern. Meine Mutter hatte unbewusst einen empfindlichen Nerv getroffen.

   Ich sah ihr mit zornigem Blick tief in ihre Augen und sprach ganz langsam und so ruhig wie es mir möglich war. „Du schreibst mir jetzt sofort diese Entschuldigung. Du hast keine Ahnung von meinem Leben, also halte dich gefälligst zurück mit deiner Kritik.“

Die JägerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt