6. words

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CHARLIE

Gespräche die man eigentlich nicht mithören darf sind, ... ich weiß nicht wie ich sie beschreiben soll. Zum einem ist es ziemlich aufregend, wenn man etwas hört, dass man eigentlich nicht erfahren sollte. Zum anderen sind sie geheimnisvoll. Vor allem wenn derjenige, in diesem Fall Paul, telefoniert und man nicht weiß wer auf der anderen Leitung ist. Und ein Teil von mir findet es schlecht, zu lauschen. Vielleicht bekommt man etwas mit, was man eigentlich gar nicht wissen will, weil es dann alles zerstört was man sich mühsam aufgebaut hat. Ich weiß wie es ist, wenn einzelne Wörter dein Leben kaputt machen. Und wie man zusieht, wenn alles zerbricht, zerfällt. Davon kann ich ein Lied singen. Glaubt mir. Wörter sind mächtig und sie können heilen oder verletzen.

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Ich wachte auf. Und ich dachte an meinen Traum. Er war nicht spektakulär, nicht ergreifend, nicht gruselig. Er war leer. Ich hatte mich in einem Raum befunden. Die Luft war stickig gewesen. Und ich hatte kaum atmen können. Und ich hatte die leere, graue Zimmerwand angeschaut. Der Raum bestand aus einem einfachen Viereck. Die Wände grau und es gab ein kleines Fenster, rechts von mir, aus dem klares Morgenlicht hineinfiel. Unter dem Fenster stand ein Tisch, davor ein Stuhl. Beides aus dunkelbraunem Holz. Sonst nichts. Nichts passierte. Ich starrte die Wand an, starrte und starrte und die Luft wurde immer dünner, bis ich aufwachte. Einige Minuten blieb ich regungslos liegen, spürte immer noch die Müdigkeit in meinen Gliedern und ich verglich mein Zimmer mit dem Traum Zimmer. Es gab eigentlich keinen so großen unterschied. Außer das meine Wände weiß waren, mein Fenster viel größer und das die Luft, die ich atmete, nicht so stickig war. Kurz linste ich auf meinen Wecker. Es war 6 Uhr, in der früh. Gerade als ich beschloss weiterzuschlafen, hörte ich Pauls Stimme. Sie klang wie immer und für einen kurzen Moment dachte ich, er hätte mich gerufen. Ich kletterte aus dem Bett und torkelte auf meine verschlossene Tür zu. Immer wenn ich aufwachte, fühlte sich mein Gehirn für einige Momente schwammig und voller Matsch an, vor allem wenn ich noch halb am schlafen war. Ich stützte mich an der Wand ab und drückte die Türklinke runter, als Paul schon weiterredete. Er sprach gar nicht mit mir. Erstaunt hielt ich inne. Ich wusste gar nicht das er Freunde besaß. Er mied eigentlich jeden sozialen Kontakt. Oder es war kein Freund, wie ich dachte.

Vielleicht war was mit Pauls Villa. Aber das glaubte selbst ich kaum. Neugierig öffnete ich die Tür einen Spalt breit und lugte hinaus. Bestimmt hatte es irgendetwas mit Pauls komischen verhalten zu tun. Das hier, war viel wichtiger als schlafen. ,,Nein!", fauchte Paul gerade. Ich konnte ihn zwar nicht sehen, aber er war laut genug, dass man ihn durch die ganze Wohnung hörte.

,,Komm nicht...." Er wurde unterbrochen. Leise schlich ich weiter, bis ich an der Küchentür stehen blieb, die ein paar Zentimeter offen war. Paul saß an unserem Esstisch, seine Finger trommelten ungeduldig auf der Holzplatte herum und sein Gesicht wirkte angespannt, beinahe wütend. Außerdem stand vor ihm eine Flasche Wein. Kein Wunder, dass er so rumbrüllte.  ,,Ich sagte, dass du nicht herkommen sollst!" Kurzes schweigen.

,,Wieso?" Spöttisch lachte er auf. ,,Sie will dich nicht sehen. Keinen von uns" Wer war Sie? Pauls Augenbrauen zogen sich zusammen, während er der anderen Person konzentriert zuhörte. ,,Nein, sie will das Charlie nichts passiert" Mein Hirn arbeitete auf Hochtouren.  Ich war noch im Halbschlaf, aber ich wurde wacher und ich dachte nach. Konnte es....Konnte es wirklich sein, dass Sie meine Mutter war? Plötzlich fing mein Herz schneller an zu pochen. Ich spürte so viel Hoffnung, dass mir unheimlich schwindelig wurde. Aber ich hatte mich noch nie besser gefühlt. ,,Bei dir weiß man ja nie", brummte Paul hönisch und grinste verätlich. ,,Nein, wir sehen uns in Schottland. Nicht hier" Er klang jetzt viel netter, nicht so barsch und kalt wie vor ein paar Sekunden. Wieder kurzes schweigen. ,,In Schottland", wiederholte er und verdrehte die Augen. ,,Ich weiß nicht so recht" Pauls Gesicht entspannte sich und beinahe lächelte er. ,,Na gut. Ich verspreche, dass ich Charlie mitnehme. Du wirst ihn wiedersehen. Keine sorge" Und Paul lachte. Fast wäre ich zurückgewichen, so sehr erschreckte ich mich vor diesem Laut.

Laut und kehlig, überhaupt nicht Paul mäßig. Ich hörte ihn so selten lachen. Ich meine nicht dieses kalte, das ich oft genug hörte, sondern ein warmes, helles. Und irgendwie freute es mich. Ich mochte dieses lachen, obwohl es komisch klang. ,,Wir werden bald wiederkommen" Nach einigen Sekunden fügte er kleinlaut hinzu: ,,Hoffe ich" Und ich hoffte es nicht.

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Ich wachte um 12.00 Uhr wieder auf. Blinzelnd sah ich durch mein Fenster, erblickte die graue Wolkendecke und wie es schneite. Aber es interessierte mich nicht ob Schnee fiel, mich interessierte es ob ich das Telefonatgespräch nur geträumt hatte.

Ich war mir nicht sicher. Gähnend tapste ich in die Küche. Halb erwartete ich Paul anzutreffen, immer noch telefonierend, aber er war nicht da. Nur die leere Weinflasche stand auf dem Tisch und ich wusste, dass ich nicht geträumt hatte.

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Der Rest des Tages war langweilig. Ich las, ich grübelte, las, dachte nach, las, beobachtete Paul. Es war Sonntag und Paul verbrachte den ganzen Tag im Wohnzimmer, schaute fern und besoff sich, wie er es immer in Schottland tat. Er wirkte immer noch etwas angespannt, aber nach einer weile löste sich auch das. Er war wieder Paul. Mein Onkel. Mein Freund. Aber ich hielt es nicht mehr aus.

Ich dachte an Sie, fragte mich ob sie wirklich meine Mutter oder ob ich mich täuschte und Sie einfach ein weiteres Familienmitglied war. Die mich kannte, aber ich sie nicht. Am ende des Tages stellte ich fest, dass ich nicht weiterkam. Ich wusste nicht, wer Sie war.

Ich wusste nicht, mit wem Paul telefoniert hatte. Ich tappte völlig im Dunkeln.

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Montag fühlte sich, für mich, wie eine Befreiung an. Die Schule lenkte mich ab. Emily lenkte mich ab. Und Dylan. Und natürlich der Unterrichtsstoff. Bevor die erste Stunde anfing, hatten wir immer ein bisschen Zeit, bis der Lehrer kam und mit der ersten Stunde anfing. Dylan und Emilys Bus kam jeden Tag um halb sieben an, eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn, und ich ging früher los, weil ich gerne früher kam.

,,Heute mal nicht aussgeschlafen?", meinte Emily grinsend und stieß sanft ihren Ellenbogen gegen Dylans Kopf, den er auf seinen Tisch abgelegt hatte. Nach ein paar tagen konnte ich Emily ziemlich gut einschätzen. Nett, fröhlich und wahrscheinlich extrem stur. Dylan war da schwerer. Er sprach kaum, mied Blickkontakt und außerdem schüchterten mich seine Tattos etwas ein. ,,Billy hatte einen Alptraum und ich musste ihm zwei Stunden lang vorlesen" Er warf mir einen kurzen Blick zu und murmelte dann lächelnd: ,,Billy ist mein kleiner Bruder"

,,Billy ist so süß!", kommentierte Emily. ,, Er sieht genauso aus wie Dylan, nur in Mini." Sie beobachtete mich, mit ihren dunklen Augen, aufmerksam und wartete auf meine Reaktion. Also lächelte ich und es fühlte sich gut an. Zufrieden wandte sie sich wieder zu Dylan und fragte: ,,Was musstest du ihm vorlesen?" Dieser verzog das Gesicht und seufzte. ,,Erst wollte er Harry Potter hören,  aber das war ihm dann zu gruselig. Dann musste ich Tintenherz vorlesen, wurde ihm aber zu langweilig. Und das letzte war, glaube ich, Pinocchio" Das war bisjetzt das meiste, was ich jemals aus seinem Mund gehört hatte. Emily lachte und es hörte sich viel schöner an als Pauls grober Laut. ,,Harry Potter? Man liest doch einem sechsjährigen kein Harry Potter vor!" Emily verdrehte die Augen und stieß einen dramatischen seufzer aus. Dylan zuckte mit den Schultern. ,,Also Charlie" Ihre Aufmerksamkeit richtete sich zu mir. ,,Hast du mal bock mit Dylan und mir irgend etwas zu machen? Natürlich nur, wenn du willst"

Alles, wirklich alles fühlte sich gefährlich normal an. Es war zu leicht.

,,Okey"

Guckt mal bei my sweet lavinia rein. Ist die story von meinem Zwilling.
Und ja danke für die votes und kommis.
Sonja :D

Sein Name war CharlieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt