Da war eine roségoldene Kette mit einem glänzenden Onyx-Stein, und eine andere mit einem Turmalin, die sie vor schwarzer Magie schützen sollte. Ihre Silber- und Goldringe, die allerhand übersinnliche Wesen vertreiben konnten. Türkise, die ihr Selbstsicherheit und Energie verliehen, und noch viele andere Schmuckstücke, die für Emmaly in den letzten Monaten an Bedeutung gewonnen hatten.

Anfangs hatte sie nicht an diesen ganzen Humbug geglaubt. Hatte nur den Kopf geschüttelt darüber, dass eine intelligente Frau wie Ona an solchen Unsinn glaubte. Aber es war der Tag gekommen, an dem Emmaly ihrem ersten, übersinnlichem Wesen gegenüber gestanden hatte, das ihr nicht freundlich gesinnt war – einem Ghul, der sich unerlaubt Zutritt zum Post Mortem verschafft hatte. Er hatte dem Mädchen aufgelauert, als es im Getränkelager nach Wasser suchte, und sich aus dem Hinterhalt auf sie gestürzt. Emmaly war keine Chance geblieben, sich gegen den starken Mann zu wehren, und allein der Gedanke an dieses Erlebnis trieb ihr eine kribbelnde Gänsehaut über den Nacken. Erst als der Ghul in tödlicher Absicht an ihren Hals gegriffen und sich die Hand an der Kette mit dem Turmalin versenkt hatte, war Emmalys Chance zum Fliehen gekommen gewesen. Ohne das Schmuckstück von Ona hätte sie nicht einmal drei Tage im Post Mortem überlebt.

Hastig hing sie die Ketten um den Hals und zog sich die Ringe über die Finger. Sie waren ihre Lebensversicherung, ihr Schutz, und als sie den Schmuck im Spiegel betrachtete, dachte Emmaly wieder einmal darüber nach, wie es so weit gekommen war.

Eigentlich hatte sie die letzten elf Monate viel Zeit gehabt, sich einen neuen Job zu suchen, und anfangs hatte sie es auch noch versucht. Besonders nach dem Ghulangriff hatte sich die Angst so fest um Emmalys Kehle geklammert, dass sie in der Nacht kaum mehr ein Auge hatte zumachen können. Das Risiko war einfach zu groß, dass sie eines Tages von einer Schicht nicht mehr zurückkehren würde. Und ihre Mutter würde Zuhause sitzen, ganz allein in ihrem leeren Schlafzimmer, und bis in alle Ewigkeit auf ihre Rückkehr warten.

Aber mit jedem weiteren Wochenende, jeder Trainingsstunde mit Oz und jeder lehrreichen Lektion durch Ona, war sie sicherer geworden. Sie hatte immer weniger Seiten im Internet nach neuen Jobs durchsucht und irgendwann komplett damit aufgehört. Jetzt war das Post Mortem zu einem Teil von ihr geworden. Eve war ein Teil von ihr.

Sie stand auf und nahm den Rucksack von ihrem Schreibtisch, den sie am Morgen dort achtlos hinterlassen hatte. In ihren Arbeitsnächten hatte Emmaly nur wenige Dinge bei sich: einen Geldbeutel, ihr Handy, ein Notizbuch. Letzteres hatte sie in ihrer ersten Zeit im Post Mortem mit allen möglichen Informationen über die Wesen gefüllt. Es war ihr persönliches Sammelsurium des Übernatürlichen, das sie immer dabei hatte, auch wenn sie das meiste davon mittlerweile auswendig wusste.

Und jetzt war wieder die Zeit angebrochen, an all dieses Wissen zu denken und sich an der Hoffnung festzuklammern, dass auch heute Nacht alles gut gehen würde.

Dank dem Herbsteinbruch war es draußen bereits dunkel, als Emmaly das Haus verließ. Die Straßenlaternen warfen nur ein schwaches Licht auf den abgefahrenen Teer, weil ihre Glasscheiben schmutzig und verstaubt waren. Aber das machte dem Mädchen nichts aus, selbst in der tiefsten Dunkelheit hätte sie den Weg zum Post Mortem im Schlaf gefunden. Und fürchten tat sie sich auf der Straße schon längst nicht mehr - wie auch, wenn sie sich gerade freiwillig auf den Weg an einen viel gefährlicheren Ort machte?

Und trotz allen Warnungen, allen Befürchtungen und Risiken, fühlte das Mädchen sich fast geborgen, als sie endlich die Tür zu dem heruntergekommenen Gebäude öffnete, und in den Staub der vermeintlichen Verlassenheit trat.

Die Musik, die aus der unteren Etage drang, war dumpf und leise, von der Straße aus war sie nicht zu hören gewesen. Aber mit jedem Schritt, den Emmaly auf der alten Treppe Tat, wurde sie lauter, bis sie das Mädchen schließlich völlig umgab. Sie öffnete die Tür, und der Raum, in dem in wenigen Stunden unzählige Menschen tanzen würden, war von einem Paar altmodischen Kronleuchtern hell erleuchtet.

Post MortemWhere stories live. Discover now