Kapitel 3

35 3 0
                                    


Über die letzten Monate hatte Emmaly sich an den Wochenenden eine Routine zugelegt, von der sie niemals abwich.

Sie schlief nur drei bis vier Stunden nach ihrer Schicht im Post Mortem. Dann bereitete sie Frühstück für sich und ihre Mutter zu, aß mit ihr, und verzog sich wieder ins Wohnzimmer, um für die Schule zu lernen.

Emmaly hatte als Schülerin nie über dem Durchschnitt der Klasse gelegen, weil sie sich für die wenigsten Fächer begeistern konnte. Aber seit ihre Mutter krank war, hatte das Mädchen sich reingehängt, um im Stoff mitzukommen. Und bereits nach kurzer Zeit hatte sie sich von einer durchschnittlichen Drei auf eine 1,45 gesteigert. Sie tat es nicht, um an den anderen vorbeizuziehen, nicht einmal um irgendwann einen großartigen Job lernen zu können – sie tat es, weil man guten Schülern keine Fragen stellte. Es war nicht ungewöhnlich, wenn die Mutter einer Einserschülerin nicht zu den Elternabenden auftauchte, weil es ja eh nichts Wichtiges zu besprechen gab. Niemand machte sich Sorgen, niemand fragte sie nach Familienproblemen. Mit guten Noten konnte Emmaly einfach in der Masse verschwinden, unkontrolliert und unbeachtet.

Das war es wert, ihre Mittage und Nachmittage vollends der Schule zu opfern, und Stoff in ihren Kopf zu zwängen, für den sie sich nicht im mindesten interessierte. Da passierte es schon ab und zu, dass die fleißige Lernerin den Kopf hob und sehnsüchtig auf die Uhr starrte, ob es denn endlich Zeit für das Abendessen wurde.

Um siebzehn Uhr begann Emmaly damit, zu kochen. Meistens verbrachte sie gut fünfzehn Minuten im Internet, um ein neues Rezept zu suchen, bevor sie in der Wohnung alle Zutaten zusammensuchte, das Radio einschaltete und die Töpfe auf den Herd stellte.

Sie hatte es schon immer geliebt, zu kochen, und es früher gern für ihre Eltern getan. Dann hatte sie eine ganze Weile damit aufgehört, als ihr Vater gegangen war. Und vor etwa einem Jahr hatte Emmaly eines Abends plötzlich wieder Lust darauf gespürt und erneut mit dem Kochen angefangen. Sie hatte die ganze Trauer und Wut über ihre Situation in einen Topf geworfen und ein wunderbares Drei-Gänge-Menü daraus geschaffen. Seitdem gab es jeden Abend am Wochenende ein aufwendiges Mahl, das sie pünktlich um 18:30 Uhr mit ihrer Mutter in deren Schlafzimmer zu sich nahm, während im Fernsehen Talkshows liefen, über die sie sich lustig machen konnten.

Danach spülte Emmaly die Töpfe und Teller, räumte die Küche auf, und verschwand zurück in ihr Zimmer. Ihre Mutter glaubte, dass sie den Abend entweder mit Lernen oder dem Schauen von Serien verbrachte - sie hätte nicht weiter davon entfernt liegen können.

Auch heute schloss Emmaly leise die Zimmertür hinter sich, um endlich die Vorbereitungen für die Nacht treffen zu können, wie sie es immer tat. Und wie jedes Mal schlich sich langsam dieser unbeschreibliche Zauber, die Aufregung der bevorstehenden Herausforderungen unter ihre Haut, und begann dort, angenehm zu kribbeln.

Zuerst schlüpfte sie in ihre bequemste Jogginghose und zog einen schwarzen Kapuzenpullover über. Es war vollkommen egal, wie sie damit aussah, im Post Mortem würde sie sich eh umziehen und schminken – eher ging es darum, auf der Straße so wenig wie möglich aufzufallen. Niemand sollte auf die Idee kommen, ihr unpassenderweise zu folgen oder sie anzusprechen.

Leider musste Emmaly sich selbst eingestehen, dass sie die wahrscheinlich schlechteste Lügnerin des Planeten war, und deshalb war es besser, wenn ihr niemand Fragen stellte, bei denen sie nicht die Wahrheit sagen konnte.

In einem abgeschlossenen Kästchen auf ihrem Schreibtisch bewahrte sie den Schmuck auf, den Ona ihr zu Beginn ihrer Arbeit im gefährlichsten Nachtclub der Welt geschenkt hatte. Nicht aus Nettigkeit, oder weil sie wollte, dass ihre Schülerin so gut wie möglich aussah – jedes Teil in dem Schmuckkästchen war zu ihrem Schutz gedacht.

Post MortemDonde viven las historias. Descúbrelo ahora