Der Vogel am Fenster (JJP) [GOT7]

Blumen im Kopf

,,Vielleicht sollte ich einfach weitermachen'', murmelte er und starrte gedankenverloren in eine Ecke.

Der Vogel kam jetzt nicht nur einfach so, Tag für Tag und Abend für Abend, ab einem gewissen Punkt hatte er sich nämlich offenbar dazu entschieden, Jinyoung mit allerlei Pflanzen zu versorgen. Manchmal lag bereits etwas auf seinem Fensterbrett wenn er erwachte, egal wie früh, und oft war vom Vogel keine Spur.

Er nahm nicht mal wahr, wo er hinsah; er dachte so viel nach, dass seine Sicht beinahe schwummrig wurde.

Es war absurd. Hatte der Vogel sein Nest in der Nähe? Wollte er Sammlungen anlegen? Er hatte absolut keine Ahnung.
Das seltsamste jedoch war, dass er mit jeder Blume oder jedem Kraut das das kleine Wesen ihm brachte mehr das Gefühl bekam, sie zu erkennen. Dabei waren ihm Pflanzen immer herzlich egal gewesen - als er mit Jisoo zusammen war, hatte sie mal gemeint, er solle ihr keine Blumen mitbringen, sondern ihr Leben. Also hatte er das auch gelassen.
Frauen...

Die Tage zogen sich und es wurde öde, die Hitze stieg dermaßen ins Unerträgliche, dass er kaum sein Zimmer verließ und den Ventilator durchgehend am Laufen hatte.
Ganz nebenbei wusste er, dass er eigentlich längst nach Hause gehen könnte, doch...wie lange war er dort nicht mehr gewesen? Es war fast, als konnte er sich kaum an sein eigenes Zimmer erinnern. Er wusste, sein Zimmer im Studentenheim war geräumt worden...

...genauso wie...

er blinzelte die Gedanken beiseite, aber dieses fiese Flüstern in seinem Kopf blieb.

Genauso wie das der anderen. Als wäre es klar gewesen, dass er nicht wiederkam, so wie sie nie wieder einen Fuß in die Universität setzen würden. Nicht, dass Yugyeom oder Bambam bereits mit dem Studieren angefangen hatten.
Er verzog das Gesicht als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen; die Gedanken an ihre Gesichter, als sie ihre ersten Collegebroschüren aus dem Briefkasten fischten, setzte ihn beinahe unter Strom.
Ihre Stimmen jedoch hallten nur noch weit aus der Ferne.
Jinyoung drehte sich zur Seite.

Irgendwann, dachte er, muss ich wieder hoch kommen. Irgendwo bin ich euch das schuldig, oder nicht?

,, Ich meine, ich weiß, ich muss irgendwann weitermachen, ob ich einen Plan von meinem Leben habe oder nicht. Letzteres ist der Fall, offensichtlich - aber ob ich hier keinen Plan habe oder dort ist ja wohl egal.''

Er wusste, dass ein weiterer Grund für sein Bleiben der war, dass seine Eltern sich so in Arbeit stürzten, dass sie gleichzeitig mit der Panik kämpfen mussten ihn nicht durchgehend im Auge behalten zu können.
Er war erwachsen, aber so viel wusste er: wenn Menschen um jemanden besorgt sind, zählt für sie kein Alter.
Sie hatten ja nicht einmal versucht zu reden, ihm zu sagen, er solle sich aufraffen, er kannte ihre Gedanken, er sah wie sehr sie mit sich rangen, es ihm nicht schwerer zu machen, und es schien seine Wut auf sich selbst nur um einiges zu vervielfältigen. Er tat das nicht nur sich an, alle hatten mit ihm zu kämpfen, ohne Worte und ohne Aktion, aber das machte es nicht besser.

Wieso bekomme ich das nicht auf die Reihe?

Er hatte den Gedanken oft, egal wie sehr er ihn verdrängte, fast wie ein Gummi, das nur heftiger zurücksprang wenn man es zog. Er wusste, seine Mutter hatte schreckliche Angst um sie.
Mark war wie ein Sohn für sie gewesen, Jinyoungs älterer Bruder neben all seinen Schwestern, sie hatte Yugyeom geliebt und Jaebum...Jaebum hatte sie mit großgezogen, denn auseinander hatte man sie nicht bekommen.
Er sah ihr Gesicht vor sich am Tag der Beerdigung, aschfahl und so leblos als wäre sie diejenige gewesen, die fünf dreizehnstündige Operationen durchgestanden hätte.
Sie hatte sich nicht das Recht gegeben, vor dem Grab eines anderen zu weinen, denn welches Recht hatte sie als Mutter des einzigen Überlebenden? Sie sollte glücklich sein, und Jinyoung wusste dass sie es nicht war.
Ihre Augen schienen zerfallen als sie Yugyeoms Mutter auffing, um sich schlagend und vor Tränen blind, als die Nachricht kam, dass er es trotz all der Bemühungen nicht geschafft hatte.