Doch als ich erfuhr, dass er ein gefallener Engel war, dessen Flügel herausgerissen worden waren, bevor er vom paradiesischen Himmel verstoßen wurde, war es schon längst zu spät, um mich von ihm fernzuhalten.

Mithilfe der dazugewonnenen Erkenntnis schaffte ich es das schwarze Tuch, welches er mir um die Augen gebunden hatte, abzunehmen. Langsam und zitternd bahnten sich meine Hände den Weg zum Knoten am Hinterkopf, ehe ich es zögernd löste. Das Tuch fiel sachte in meine Hand und gab mir meine Fähigkeit Dinge zu erkennen wieder. Wegen ihm verlernte ich das Unterscheiden von Gut und Böse; die klare Linie dazwischen, die existierte, verblasste wegen ihm. Weil ich ihm den Eintritt in mein Leben gewehrte und naiv war. Mich ihm so schnell hingab und mich in einen Handlager des Teufels verliebte. Sie waren egoistisch, sie machten dich von ihnen abhängig und zerstörten dein eigentliches Leben, sodass du keine andere Wahl hattest, als dich an sie zu klammern.

Meinen Traum warf ich weg. Freunde, die ich um mich hatte, warf ich weg. Meine Unschuld warf ich auch weg. All das rieselte wie einfacher Sand durch meine Finger hindurch, sodass ich letzten Endes mit dem endlosen Nichts zurückblieb. Er nahm mir alles, was mir wichtig war und ersetzte sie mit sich selbst, weshalb ich mich so sehr an ihm festkrallte.

Ich schaute auf, in das Gesicht vor mir. Leicht nervös, das Tuch in meiner Hand. Seine Augen verfärbten sich rot und das altbekannte Grinsen war präsent. Ich verspannte mich, wissend, dass dieses Lächeln schon seit langer Zeit meinen Untergang bedeutete.

Wann fing alles an? In der Kneipe?

Oder waren deine Hände auch schon bei unserer ersten Begegnung im Spiel, Taehyung?

Meine Umgebung, meine Realität - sie war finster und verzerrt. Nur er war klar zu sehen.

Wie angewurzelt blieb ich stehen, als er seinen Arm hob und die Hand zu meinem Gesicht streckte. Langsam fuhr er über meine Wange, wobei ich mich noch mehr verkrampfte.

"Tränen stehen dir nicht", säuselte er, als er sie vorsichtig wegwischte.

Ein wenig peinlich berührt schaute ich weg. Ich merkte nicht wie mir die Tränen runterkullerten, doch nun spürte ich die Tränenspuren umso mehr auf meiner Haut, nachdem er sie erwähnte. Sie waren feucht, ließen mich die Kälte an der Stelle spüren, wegen dem Windhauch, der vorbeizog und sie waren erbärmlich.

Mit dem Handrücken wischte ich mir kurz übers Gesicht und erstarrte, als sich statt Tränen Blut auf diesem befand. Meine Augen weiteten sich vor Schreck, als ich erneut drüberfuhr und das gleiche Ergebnis bekam.

"Taehyung was-"

Er war weg.

Und zum ersten Mal bekam ich sie zu spüren: die Einsamkeit tief in meiner Brust sitzend, die sich Schritt für Schritt verbreitete und kalte Spuren hinterließ, sodass es mich fröstelte. Mit ihm ging ein Teil von mir, ich spürte ganz deutlich wie etwas in mir mich verließ. So erklärte ich mir dieses plötzliche, leere Gefühl, welches mein Körper in Beschlag nahm.

Etwas benommen wand ich den Blick von der Ferne ab und senkte den Kopf,- meinen Händen die Aufmerksamkeit schenkend. Sachte drehte ich sie, sodass die Handrücken nach oben zeigten. Das Blut, das sich noch auf meiner rechten Hand befand, hatte ein Muster gebildet, welches ich geistesabwesend und leicht zitternd betrachtete. An einigen Stellen war es schon getrocknet, doch noch immer bahnte es sich den Weg zum Handgelenk und je länger ich draufstarrte, desto deutlicher erkannte ich einen Flügel in dieser wirren, verschmierten Röte.

Mehrere Male blinzelte ich hintereinander, um mich zu vergewissern, ob mein Verstand mir einen Streich spielte und ich mir gegebenenfalls das Symbol der Freiheit bloß einbildete. Aber nein - das tat ich nicht. Es war keine Einbildung. Dieser Flügel war, auch nachdem ich mit der linken Hand über meine müd dreinschauenden Augen rieb, noch immer da. Beinahe die ganze Fläche meines Handrückens bedeckend und in ein dunkles Rot getunkt.

Boy Meets Evil | ᵗᵃᵉᵏᵒᵒᵏ ᵒˢ #wingaward2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt