29 Wolf im Grünen

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Es war erst sechs Uhr in der früh und dennoch war das Thermometer bereits auf achtundzwanzig Grad geklettert. Leise trat Stiles in das in das liebevoll gestaltete Kinderzimmer und an das kleine Bett heran:

„Du musst aufstehen, Engelchen!" flüsterte er und streichelte sanft die verschwitzen weißblonden Löckchen aus der Stirn des Kindes, welches darin schlief.

Das schöne Haar würde sicherlich noch nachdunkeln, wenn Isaac erst einmal größer wäre, dachte Stiles ein wenig wehmütig. Eigentlich schien es ihm sogar so, als sei sein Schopf schon in der kurzen Zeit ein wenig dunkler geworden, seit der Junge bei ihm und Derek lebte. Demnächst würde Stiles eine dieser süßen Locken abschneiden und ins Kinderfotoalbum kleben, damit Isaac später sehen konnte, wie hell sein Haar einmal gewesen war.

Das Kind öffnete die Auge und seine erste Frage war:

„Liam?"

Stiles schüttelte lachend den Kopf:

„Nein, Süßer. Heute kannst du Liam leider nicht sehen. Heute gehen wir doch auf unsere große Reise, erinnerst du dich?"

Bereits seit dem Tag, als sie Isaac als Pflegekind bei sich aufgenommen hatten, waren er und Liam sofort unzertrennlich gewesen und dies war etwas, was Scott und Stiles sehr glücklich machte, denn es setzte eine Tradition fort, die mit ihnen beiden begonnen hatte: Zwei Jungs im selben Alter, miteinander so eng verbunden, wie Brüder! Auch diese beiden würden eines Tages zusammen in die Schule kommen und sie würden dort aufeinander aufpassen, so wie es ihre Väter bereits getan hatten.

„Was Reise?" fragte Isaac skeptisch:

„Das haben Wolf-Daddy und ich dir doch schon erzählt, erinnerst du dich? Wir fahren erst mit dem Auto und dann fliegen wir mit einem ganz großen Flugzeug und dann noch mit einem ganz kleinen und wenn wir da sind, dann besuchen wir liebe Freunde von uns."

Bei dem Wort 'Flugzeug' zeigte sich ganz kurz ein Ausdruck auf Isaacs kleinem Gesichtchen, wie ihn auch ganz normale Kinder haben würden; Neugierde, Aufregung, Freude. Doch Isaac war kein normales Kind, weshalb sich sogleich wieder dieses altvertraute Misstrauen in seine Miene schlich.

Und wer konnte es ihm schon verdenken, denn dieses Kind hatte in seinem jungen Leben bereits mehr Furchtbares durchgemacht, als manch Anderer in einem ganzen Leben. Das Jugendamt hatte Isaac kurz vor seinem zweiten Geburtstag von seinem Vater weggeholt, weil dieser ihn nämlich auf schlicht unvorstellbare Weise gequält hatte.

In engen oder dunklen Räumen bekam Isaac heute noch Panik, weshalb seine Pflegeväter ihm auch erlaubten, bei Licht und mit offener Tür zu schlafen. Der Grund für Isaacs Angst war jener, dass sein biologischer Vater den Kleinen zur Strafe häufig in eine winzige Kiste gesperrt hatte, wenn dieser angeblich 'böse' gewesen war.

Stiles konnte das immer noch nicht begreifen: Einmal abgesehen davon, dass ein so kleines Kind doch noch gar nicht bewusst irgendetwas Ungezogenes anstellen konnte, denn es probierte sich doch lediglich aus, erforschte spielerisch seine Umwelt und ja, vielleicht geschah dabei manchmal ein Missgeschick, aber wie konnte man überhaupt auf den Gedanken kommen, ein so süßes, wunderbares, kleines Wesen derart zu foltern? Wie brachte man das fertig? Was für ein Monster musste man sein?

Und die psychischen Qualen waenr ja noch nicht einmal das Einzige, was dieses Kind hatte erdulden müssen. Trotz seines jungen Alters hatte er bereits sechs Knochenbrüche erlitten, welche teilweise nicht einmal ärztlich versorgt worden waren, denn der leibliche Vater hatte den Kleinen mehrfach nach Strich und Faden verprügelt und es dann auch noch zu verheimlichen versucht! Wer weiß, ob Isaac überhaupt noch am Leben wäre, wenn da nicht aufmerksame Nachbarn eine Meldung beim Sheriff gemacht hätten?

Wolf im SchneeWhere stories live. Discover now