Überraschend

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Eine Tür knallte. Milan war mit einem Schlag wach. Eindrücke prasselten auf ihn ein: Kräftige Arme, die ihn umschlangen, ein warmer Körper, der ihn von hinten umfing, warme Haut und glattes Bettzeug.

Jules, dachte er und prickelnde Hitze rann durch sein Herz. Jules.

Jules hatte gesagt, er wollte ihn. Bedeutete das, dass er eine Beziehung wollte? Wollte Milan das? Überrascht stellte er fest, dass er es definitiv wollte. Am besten sofort.

Er ist frisch geoutet, wenn überhaupt, mischte sich eine zweifelnde Stimme in seine Gedanken. Klang wie eine Mischung aus Rob und Zebulon, nur nerviger. Der will doch keine Beziehung. Der will sich austoben.

Was genau hatte Jules gesagt? Dass er sich mehr vorstellen könnte. Dass Milan nicht nur eine schnelle Nummer war? Das war doch eindeutig, oder?

Mann, Milan, sagte Rob-Zebulon. So naiv bist du? Ihr habt euch vielleicht vor dreizehn Jahren gekannt, aber jetzt? Du weißt gar nicht, wer er ist. Warum denkst du, dass ihr so perfekt füreinander seid?

Das denke ich nicht, das weiß ich. Alle negativen Gedanken verpufften, als Jules im Schlaf murmelte und sein Atem über Milans Nacken strich. Ich weiß es einfach.

Schritte erklangen im Flur. Richtig, das Türenknallen. Jules' Mitbewohnerin musste zurück sein. Mit einem Ruck ging die Tür auf und ein Schwall kalter Luft huschte über Milans nackte Schultern. Eine weibliche Stimme erklang.

»Juli, Papa hat die Grippe erwischt und wir mussten früher fahren. Kannst du Mira kurz nehmen? Ich wollte ...« Die Frau stockte. Sie riss die Augen auf und das kleine Mädchen, das sie auf dem Arm trug, wäre fast heruntergerutscht.

Die Zeit gefror. Milan richtete sich auf und die Decke rutschte von seinem Oberkörper. Er erkannte die Frau. Die Sommersprossen. Ihre braunen Haare waren kürzer als damals. Aber sein Blick wurde wie magnetisch von dem kleinen Mädchen auf ihrem Arm angezogen. Einem blassen kleinen Mädchen mit blonden Haaren. Ihre kaffeefarbenen Augen musterten ihn. Die Frau starrte ihn ebenfalls an. Milan spürte, dass Jules sich neben ihm aufrichtete. Der Arm, der über seinem Bauch gelegen hatte, zuckte zurück. Nein.

»Elena«, krächzte Jules. Sein Gesicht war noch blasser als das der Kleinen.

Elenas Blick huschte zwischen Milan und Jules hin und her. Ihr Mund klappte immer weiter auf.

»Juli ...«, sagte sie, schien aber nicht zu wissen, wie sie weitermachen sollte.

Milan sprach, ohne es zu wollen. »Deine Frau und deine Tochter, nehme ich an?« Er sah in Jules' schreckgeweitete Augen.

»Milan ...«, begann der und mit einem Mal klang sein Name aus Jules' Mund überhaupt nicht mehr charmant.

»Sind sie es oder nicht?«

»Ja, nur ...« Jules' Adamsapfel hüpfte. Er schaute, als fände vor seinen Augen ein blutiges Massaker statt.

»Alles klar.« Milan glitt aus dem Bett, scherte sich nicht darum, dass Jules' Frau ihm auf den Schritt starrte, und zog seine Hose an. Den Rest seiner Sachen packte er einfach so. Enttäuschung und Schmerz ließen seine Kehle zuschwellen und bissen in seine Brust.

»Milan!«

»Du beschissener Hurensohn«, krächzte Milan. »Ich dachte echt, du meinst es ernst«, brachte er noch hervor, ehe Sprechen unmöglich wurde.

Die Tür knallte hinter ihm zu. Erst auf der Straße kam er wieder halbwegs zu sich. Verwirrt blinzelte er ins trübe Morgenlicht und registrierte das Rauschen der vorbeifahrenden Autos. Seine nackten Fußsohlen standen in einer Pfütze auf dem Gehweg. Eisiges, graues Wasser quoll zwischen den Zehen hervor.

»Scheiße«, murmelte er, was der Situation nicht mal annähernd gerecht wurde. Er zog sich an wie in Trance. Die Vorbeieilenden, die auf dem Weg zur Arbeit waren, warfen ihm fragende Blicke zu. Zwei Kerle, die offensichtlich die Nacht durchgemacht hatten, johlten, als er das Shirt über den bloßen Oberkörper streifte. Unwichtig.

Er machte, dass er wegkam. Nicht, dass Jules ihm noch hinterherlief. Würde er ihm hinterherlaufen? Wahrscheinlich hatte er genug damit zu tun, seiner Frau den nackten Kerl in seinem Bett zu erklären.

Scheiße. Nie im Leben hätte er damit gerechnet, dass Jules, ausgerechnet Jules, so etwas abzog. Dass der seine Frau betrog, dass der ... dass der ihm etwas vorspielte und von Gefühlen redete, die nicht mal da waren ...

Ich hab doch gesagt, dass du ihn gar nicht kennst, sagte Robulon in seinem Kopf. Robulon. Klang wie ein Kampfroboter.

Der Jules von damals hätte so etwas nie gemacht, dachte er.

Mag sein, aber der von heute? Hat sich verändert. Genau wie du. Du bist weich geworden und er skrupellos.

Milan hetzte die Straßen entlang. Er winkte dem ersten Taxi, das vorbeifuhr und stieg ein. Auf dem Weg zu seiner Wohnung starrte er wie betäubt aus dem Fenster. Der Geruch nach Ledersitzen und schalem Alkohol bereitete ihm Übelkeit. Der Taxifahrer beschwerte sich, dass er die ganze Nacht über besoffene Touristen herumkutschiert hatte. Milan nickte abwesend. Und starrte. Und starrte.

Als seine Wohnungstür hinter ihm zuschlug, sank er zu Boden wir ein nasser Sack. Der Jeansstoff scheuerte an seinen Klöten und seine Füße waren schockgefrostet, aber er hatte es nicht anders verdient. Er war ein Vollidiot.

Milan - Dichte Dichter 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt