Ein Gespräch

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Es war eiskalt und windig. Frostige Luft schnitt in Milans Gesicht und selbst seine dicke Lederjacke konnte die Kälte nicht abhalten. Gut. Er wollte leiden. Und die Minus-Temperaturen halfen seiner Konzentration. Er brauchte jedes bisschen davon, wenn er Jules gleich unter die Augen treten wollte.

Seine schockgefrosteten Finger vertippten sich zweimal, während er die Nummer wählte. Er beobachtete, wie die letzten Sonnenstrahlen vom Kopfsteinpflaster verschwanden und den Schatten Platz machten. Noch erstrahlte die rote Ziegelmauer vor ihm in hellem Licht, aber in einer Viertelstunde würde auch sie sich verdunkeln.

»Jules Wosniak.« Allein die Stimme sandte heiße Schauer durch Milans Körper.

»Ich bin's, Jules.« Er zögerte. »Milan.«

»Oh. Oh!« Ein Scheppern, dann war Jules zurück. »Sorry, hab mein Handy fallen gelassen, ich meine ... Hi.«

»Hi.« Milan lächelte, trotz allem. Es tat gut, Jules' Stimme zu hören. »Wie lange arbeitest du noch? Hast du danach Zeit?«

»Danach ... Ja.« Er hörte das Lächeln. »Ja, habe ich. In einer halben Stunde bin ich hier fertig, schätze ich.«

»Dann warte ich hier.«

»Hier?«

»Im Hof.« Milan sah an der lichtgebadeten Ziegelmauer empor. Das grüne Logo darauf war gigantisch. »Vor deiner Firma. Schicker Laden.«

Fünf Minuten später schwang die Tür auf und Jules schoss heraus. Seine schlanken Beine steckten in dunklen Jeans und seine Haare waren ein wildes Nest. Er sah unwiderlehlich aus. Als er Milan erblickte, grinste er.

»Hey.« Seine Bartstoppeln glänzten und Milan musste einen Kloß herunterschlucken. »Ich dachte nicht, dass du ... Schön, dich zu sehen.«

»Dich auch.« Milan löste sich von der Wand, an der er gelehnt hatte. Die kleine Rauchergruppe, die in einer windstillen Ecke des Hofs stand, sah sie neugierig an. Jules winkte ihnen zu.

»Gehen wir«, sagte er.

Milan schlug den Kragen seiner Jacke hoch. »Wohin?«

»Wohin du willst. Du wolltest mir etwas erzählen, oder?«

»Ja. Will ich. Vielleicht trinken wir erst mal einen Kaffee?« Und schauen, ob du mir gleich sagst, dass ich ein Arschloch bin und du mich nie wieder sehen willst.

»Kaffee klingt gut. Um die Ecke ist ein kleines Café, sollen wir da hin?«

»Ja. Gut.« Der Kloß in Milans Hals schwoll zu Tennisballgröße an. Verdammt. Er wollte das nicht tun. Und Jules hatte die Unverschämtheit, bei Tageslicht noch besser auszusehen. Er hatte ganz vergessen, dass die dunklen Augen mit winzigen Goldsprenkeln durchzogen waren. Und die leichten Fältchen, die sich bildeten, wenn er lächelte ... Unter Jules' Augen lagen tiefe Schatten, die Milan ebenfalls nicht aufgefallen waren.

»Schläfst du schlecht?«, fragte er.

»Hm? Oh, sieht man es mir an?« Jules' Blick zuckte über das Kopfsteinpflaster vor ihnen. »Nichts weiter, nur ... Ich zocke wohl zuviel. Kommt mit dem Job. Wenn ich da weiter mitreden will, muss ich wenigstens die neuesten Spiele probieren.«

»Ein hartes Los.« Milan war überzeugt, dass Jules ihm nicht die ganze Wahrheit sagte. Er dachte daran, dass er sich anscheinend erst vor kurzem geoutet hatte ... Wenn er es überhaupt getan hatte. Vielleicht war er einfach kurzentschlossen in die Manobar marschiert und hatte beschlossen, ein neues Leben anzufangen.

»Mja, ich mag die großen Games, aber noch lieber mag ich die kleinen, seltsamen. Ich wünschte, dafür hätte ich mehr Zeit. Aber du kennst das ja bestimmt.« Jules überlegte. »Scheiße, sind wir echt so erwachsen geworden?«

Milan - Dichte Dichter 1Where stories live. Discover now