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Seufzend stieg der Angesprochene vom Deckel der Toilette und öffnete die Tür. 

»Nichts. Alles gut.«

Zufrieden grinste das Mädchen vor ihm und ging wieder in die Tür, aus der sie gekommen waren. Kurz blieb Mike noch im Gang stehen und war versucht an der Tür am Ende des Ganges die Klinke nach unten zu drücken, da er dort die Wohnungstür vermutete, doch er spürte den fordernden Blick seiner Entführerin auf sich und folgte ihr. 

Er hatte sich dieses Zimmer vorher noch gar nicht so genau angesehen, doch es war eigentlich recht schön. Vermutlich war es auch das einzige Zimmer hier, dass nicht so ein beklemmendes Gefühl in ihm auslöste. Gerade aus stand das Bett, in dem er aufgewacht war. Die Handschelle hing noch immer an dem linken Pfosten und er fragte sich schon, ob sie ihn wieder wie einen Hund versuchen würde anzuketten. 

Die Wände waren weiß, doch waren unzählige Regale an den Wänden befestigt, auf denen Blumen standen, die diesen Raum nicht ganz so leblos erscheinen ließen. Einige von ihnen sahen schon ziemlich bräunlich aus. Wenn Mike eine Ahnung von Pflanzen hätte, würde er vermuten dass sie schon abgestorben waren. Aber andere sahen wirklich schön aus. Hauptsächlich waren es irgendwelche grünen Pflanzen, dessen Namen er nicht kannte, doch zwischen ihnen standen auch farbenfrohe Blumen mit riesigen Blüten und auch ein paar Kakteen und kleine Steinpflanzen. Hinter dem weiß angestrichenen Holzbett stand ein alt wirkender Schrank, der im oberen Teil durch Glastüren verschlossen wurde. Mike hatte, als er zu sich gekommen war, schon gesehen dass sich hinter den Türen unzählige Bücher aneinander reihten und fragte sich immer noch, ob sie wirklich jedes einzelne von ihnen gelesen hatte. Ihm fiel jetzt erst auf, dass das Zimmer nach rechts hin viel weiter ging und er machte ein paar Schritte in diese Richtung. An der linken Wand war ein Fernseher befestigt, dessen Halterung allerdings nicht sehr vertrauenswürdig wirkte und darunter stand ein kleiner Schrank mit noch mehr Regalbrettern voller Büchern. In der Mitte des Raumes stand ein kleines Sofa, das aussah wie aus diesen Werbungen von Antiquitätenhändlern, die Gegenstände aus den 60er Jahren verkauften. Es hatte eine altwirkende blaue Farbe, die aussah, als würde sie abblättern und passte generell überhaupt nicht in das farbliche Konzept dieses Raumes. In der rechten Seite seines Blickfeldes war nichts. Einfach nur eine weiße Wand. Hatte sie etwa keine Bilder zum aufhängen, oder wollte sie einfach nicht? Jeder hatte doch Bilder, die ihn an gute Zeiten, alte Freunde und aufregende Tage erinnern. Deswegen hingen sie sich so viele Leute in ihre Wohnungen. Um sich an diese Momente erinnern zu können. Warum tat sie das nicht? 

Anscheinend machte es der Jüngeren nichts aus, dass er das Zimmer begutachtete, denn sie blieb einfach stehen und beobachtete ihn. Er sah einfach so schön aus. So lange hatte sie davon geträumt und jetzt stand er vor ihr. In ihrem Zimmer. Sie würden noch so viele wundervolle Momente hier drinnen erleben. Sie freute sich jetzt schon so unglaublich darauf, doch wusste sie einfach nicht wie sie das Ganze jetzt beginnen sollte. In ihren Gedanken war genau bei dieser Stelle ein Riss. Was hatte sie sich gedacht, wie es jetzt weiter gehen würde? Er war bei ihr und...und was? Erwiderte direkt ihre Gefühle? Sie war zwar verliebt und wusste, dass er das Selbe irgendwann auch spüren würde, doch wusste sie ganz genau, dass dies noch etwas Zeit in Anspruch nehmen würde. Und gerade diese Einsicht verunsicherte sie gerade noch mehr. Sie wollte ihn doch eigentlich zu nichts zwingen und jetzt standen sie hier. Gerade hatte sie ihm verweigert die Wohnung zu verlassen und sicherlich würde es nicht das letzte Mal sein, dass er sie das fragte. Doch es würde nicht bei der Fragerei bleiben, das wusste sie genau. Und dann müsste sie ihm wehtun, damit er blieb.

Sie biss sich leicht auf die Unterlippe und Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln. Sie hatte sich das alles so viel einfacher vorgestellt. Warum konnte er es nicht einfach akzeptieren und musste ihr und sich selbst damit so weh tun? 

Mike bekam von alle dem gar nichts mit. Er war mittlerweile vor einem der beiden Fenster stehen geblieben und schaute verdutzt auf die Straße unter diesem. Der Beton war aufgeplatzt und sah nicht gerade neu aus. Zu dem versperrte ein großer Laubbaum seine Sicht auf alles, was dahinter lag. Aber wenn hier eine Straße war, so waren sie sicher noch in der Stadt. 

Erst jetzt kam ihm sein Flug nach Italien in den Sinn. Er hatte ihn verpasst, das hieß wenn er erstmal wieder draußen war musste er sich einen Neuen buchen und das ließ ihn die bereits vorherrschende Leere in seinem Geldbeutel noch deutlicher spüren.

Als er sich wieder umdrehte und das Mädchen vor sich etwas genervt ansah drehte diese sich weg und ging links aus der Tür. Etwas perplex stand Mike nun da und rieb sich den Nacken.

Was sollte das hier eigentlich? Er konnte diese gesamte Situation einfach nicht ernst nehmen. Müsste mal als Entführer nicht eigentlich brutal und aggressiv sein? Warum hatte sie ihn einfach hier stehen lassen? Er verstand das alles nicht. 

Als er das Geräusch einer sich schließenden Tür vernahm trat auch er ein paar Schritte nach vorne und sah in den Gang. Niemand mehr da. Hatte sie gerade die Wohnung verlassen oder war sie einfach nur in einen anderen Raum gegangen? 

Zum ersten Mal seit er zu sich gekommen war griff er nach seinem Handy in seiner Hosentasche, doch es war nicht da. Empört blickte er hinter sich und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Wo hatte sie es hingetan? In den Schrank neben dem Bett? Zwischen den Büchern? Oder vielleicht doch unterm Fernseher? Er war hin und her gerissen, ob er sich zu erst auf die Suche nach seinem Handy begeben sollte, oder doch die Wohnung begutachten sollte. Wenn sie wirklich gegangen war, dann könnte er doch einfach gehen. War sein Handy da wirklich noch so wichtig?

Kurze Zeit stand er einfach nur unentschlossen im Raum und schwieg. Ihn würde es sicher weniger Zeit kosten einfach kurz nachzusehen, als jetzt hier zu stehen und darüber nachzudenken, ob er gehen oder noch nach seinem Handy sehen sollte. Sein Blick schweifte über die Möbel, die um ihn herum standen und er ging instinktiv zu dem Schrank, mit dem instabil aussehenden Fernseher darüber. Egal wie das hier ausging, von einem heruntergefallenen Fernseher wollte er ganz sicher nicht erschlagen werden, also versuchte er etwas Abstand von der Stelle zu halten, auf welche der Fernseher abstürzen würde.

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