Ein Brief, den du nie lesen wirst.

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Du hast mich gesehen, bevor ich dich gesehen habe. An diesem Tag damals im Mai, in den Gängen der Schule, hat dieser Blick in deinen Augen gelegen- als würdest du nur darauf warten, dass ich etwas bestimmtes tun oder sagen würde. Als würdest du schon sehnlichst auf diesen Moment hinfiebern. Es hatte mich damals schon beunruhigt. Dieses freundliche, zurückhaltende Lächeln, mit dem du mich ansahst. Wie unangenehm es dir anscheinend war, dass ein Junge dir an einer Tür den Vortritt ließ, obwohl es sich nun einmal so gehörte. Dabei weiß ich mittlerweile ganz genau, wie sehr du dich darüber gefreut hast. Deine braunen Augen fixierten mich, als ich dir durch die Tür folgte. Ich weiß noch, wie ich darüber nachdachte, was für eine schüchterne Person du doch seist, da du so wenig redetest. Du wusstest doch ganz genau, wie du dich verhalten musstest, damit ich dich so wahrnahm, oder?  Du kamst mir so vor, wie ein ganz normales Mädchen. Selbst wenn ich fand, dass du nicht besonders viel Selbstbewusstsein hattest. Diese nächtlichen Gespräche über Skype, mit dir und deiner Freundin. Ich sehe sie mittlerweile ganz anders. Unsere Konversationen in der Gruppe. Wir fragten uns so private Dinge. Es war mir so vorgekommen, als wolltest du das alles gar nicht wissen. Als würdest du die Antworten auf deine Fragen und die Fragen der anderen Beiden eigentlich gar nicht wissen wollen. Wenn ich so darüber nachdenke, dann kommt es mir so vor, als hättest du das alles geplant. Ich kann es gar nicht oft genug schreiben. Wie kann man sich nur so unglaublich in einer Person täuschen?  Dabei dachte ich doch tatsächlich ich würde dich kennen. Schließlich erzählte ich dir meine Geheimnisse. Hätte ich das alles nur schon vorher gewusst. 

Aber gut, fange ich dort an, wo es interessant wird. Dort, wo für mich der Verlauf meiner Geschichte unvermeidbar wurde. Dort, wo ich anfing dir zu vertrauen.

Es war zwar erst 8Uhr, doch durch die warme Jahreszeit, war es bereits angenehm draußen. Die letzte Nacht war für uns beide sehr kurz gewesen. Nachdem in der Gruppe niemand außer dir geantwortet hatte, schrieb ich dir im Privatchat. Es war ein interessantes Gespräch. Ich hatte die Illusion, dass ich deine Gedanken und Gefühle etwas besser verstand. Ich hatte dir auch von meiner Situation erzählt. Ich hatte das Gefühl, dass meine Geheimnisse gut bei dir aufgehoben wären. Im Unterricht verdeckten deine braunen, gelockten Haare dein übermüdetes Gesicht. Wir schrieben auch im Unterricht.
Das verwirrte mich etwas, da du sonst immer so gut erzogen wirktest. Nicht diese Art von Mädchen, dass im Unterricht nicht aufpasste um mit einem Jungen zu schreiben. Du sahst immer mal wieder zu mir nach vorne und lächeltest. Du hattest mir in dieser Nacht mehr oder weniger gezwungenermaßen davon erzählt, dass du etwas für mich übrig hattest. Natürlich nahm ich es einfach so hin und das, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt eine Freundin hatte. Was hätte ich den deiner Meinung nach tun sollen? So wie du es beschriebst, hatte ich das Gefühl es wäre okay für dich, dass ich nicht das Selbe empfand. Du warst wohl einfach nur eine sehr gute Schauspielerin.

Aber natürlich konnte ich dieses Geständnis nicht einfach vergessen. Obwohl dies wahrscheinlich jeder normale Mensch hoffen würde, der eine Abweisung erhielt, bin ich mir bei dir ,was das angeht, nach wie vor nicht so sicher. In deinem Kopf hattest du diese Möglichkeit sicher in den tiefsten Abgründen vergraben, so dass sie für dich gar nicht existierte oder gar in Erwägung kam. Wahrscheinlich sahst du mich an und halluziniertest von einer glücklichen Beziehung. Wie auch immer eine glückliche Beziehung bei dir aussehen würde. Wahrscheinlich gab es so etwas in deiner Welt gar nicht.

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