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Bevor du dich auf eine Reise der Vergeltung begibst, hebe immer zwei Gräber aus.

Mit einem tiefen Atemzug, wie nach einem schlechten Traum, der endlich sein Ende gefunden hatte, fuhr Jyn hoch und geriet ins Stocken. Was ging hier vor sich? Verständnislos begannen ihre Augen in dem weißen Raum umherzuwandern, ohne den Kopf dabei zu drehen, was die Tatsache nicht besser machte, dass sie auf einem Obduktionstisch lag. Unwillkürlich tastete sie ihren Brustkorb, den Bauch und die Kopfhaut ab, um sich zu vergewissern, nicht aufgeschnitten worden zu sein. Das hätte ihr gerade noch gefehlt, lebendig aufgeschnitten und von nun mit einer Y förmigen Narbe gezeichnet zu sein, die nicht mal klein sein würde.

Zur großen Erleichterung, die ein Mensch verspüren konnte, gab es weder Schnitte noch irgendwelche Nähte die Jyn auf ihrer Haut fühlen konnte und es fiel ein weiterer Stein von ihren Schultern, als sie die Gewissheit besaß, dass ihre Haare nicht entfernt worden waren, was bedeutete, die Schädeldecke war ihr ebenfalls nicht aufgeschnitten worden.

Eines, was sich als kleine Unannehmlichkeiten herausstellte, die ihr erst jetzt klar wurde, nachdem ihre Befürchtungen zum Glück nicht wahr geworden waren, war schlicht weg, dass sie keine Kleidung trug. Bis auf dieses Tuch, mit dem sie bedeckt worden war, hatte sie nämlich nichts an.

Ewig wollte Jyn jedoch hier nicht verbringen, wickelte sich kurzerhand das Tuch um den Körper und machte sich auf die Suche nach dem Schrank, in dem sämtliche Habseligkeiten der Personen gesammelt wurden, bis diese an den nächsten Angehörigen übergeben wurden.

In dem Schrank, in der hintersten Ecke des Raumes befanden sich zahlreiche Plastiktüten mit Namen, von A bis Z war einiges vertreten, aber ihrer fehlte. Weder unter R noch B selbst unter S war nichts zu finden. Na klasse. Ihre Schlüssel waren somit schon mal weg. Und etwas Richtiges zum Anziehen müsste sie ebenfalls noch finden, was nicht all zu schwer sein dürfte, da sie sich im Augenblick im untersten Stockwerk eines Krankenhauses befand und was gab es im Krankenhaus. Richtig, Arbeitskleidung.

In der Kleidung, die vorne und hinten nicht sitzen wollte, wanderte Jyn zunächst orientierungslos durch die zahlreichen Flure bis sie das altbekannte Plingen einer aufgehenden Fahrstuhltüre hörte und ihre Suche ein Ende nahm. Nach Hause. Nur noch nach Hause, in der Badewanne legen und überlegen, wie es in den kommenden Tagen weitergehen sollte. Bis vor kurzen hatte sie ihr Leben noch gemocht, mittlerweile nicht mehr.






Ein schriller Schrei durchhalte den Flur im Erdgeschoss, als Jyn den Fahrstuhl verließ und anschließend die Schilder an der Wand überflog, daraufhin nach rechts schaute, um zu erfahren, wer für diesen Lärm verantwortlich war. Eine rothaarige Frau Mitte dreißig in der OP Bekleidung des Krankenhauses.

"Jetzt haben Sie Ihre Sachen fallen lassen. Gab es einen Grund dazu? Dennoch, freut mich Sie zu sehen Doctor Palmer. Wie lebt es sich so mit Stephen?", die Antwort interessierte Jyn allerdings nicht sonderlich und winkte daher im selben Zug, wie sie gefragt hatte, ab, "Anstrengend, ja. Wäre nichts Neues..... Wow, Sie sind so bleich, wie ich es üblicherweise bin, sogar noch bleicher. Ungewöhnlich bei Ihnen. Bei mir üblich, bei Ihnen definitiv nicht."

"Du..... Sie..... tot....", stammelte Doctor Palmer und schaute sich entgeistert im Flur um, als suche sie nach Hilfe, wobei es eine gute Minute dauerte, bis sich die Ärztin einigermaßen wieder gefangen hatte, "Axisfraktur. Es ist unmöglich. Sie wurden für tot erklärt. Drei Ärzte mussten dies bestätigen, weil Stephen..... wie können Sie hier stehen? Vor drei Tagen hat man Sie gefunden und..... Stark war hier......"

"Wann haben Sie das letzte mal geschlafen? Ausreichend geschlafen?", genau genommen, war es ihr auch dieses mal vollkommen gleich und wie Jyn selbst feststellte, was für ihre Verhältnisse ein wenig untypisch war, "Muss etwas her sein, wie es aussieht. Sie können mir einen Gefallen tun. Atmen Sie."

Wenn sich die Palmer immer so verhielt, ganz ehrlich, Kopfschuss. Hilft ungemein. Wie konnte eine derartige Frau Ärztin werden? Man würde meinen, jeder Patient bringt sich lieber selbst um, als sich von ihr behandeln zu lassen.




Als Jyn endlich vor ihrem Apartment stand und sich gegen die Türe lehnte, dann das Operationsbesteck aus ihrer Tasche holte, welches sie aus dem Krankenhaus hat mitgehen lassen, um die Türe zu öffnen, bemerkte sie, dass diese offen war. Super. Demnach war ganz stark davon auszugehen, eine leere Wohnung vorzufinden beziehungsweise eine so gut leere Wohnung. Wie viel schlimmer konnte ein Tag demnach noch werden?

Ganz genau.

"Jeder, der hier nicht wohnt, raus", erledigt vom Fußmarsch hierher, nahm sich Jyn eine Wodkaflasche aus dem Küchenregal, während Tony mit zwei Anzugträgern in der Wohnung stand und von ihrem Anblick den Mund öffnete, aber nicht wusste, was er sagen sollte, "In Ordnung. Ich weiß, dass wir beide dieselbe Sprache sprechen Stark. Wie es bei Ihnen zwei aussieht, weiß ich nicht, ist mir auch egal. Sie haben hier nichts zu suchen also.... Abflug. Jetzt."

"Du bist tot.... zumindest solltest du es sein", erwiderte Tony, nachdem er den beiden Anzugträger, welche sich Anwälte herausstellten, gesagt hatte, es sei wohl das Beste, wenn diese doch gingen, "Wer ist dafür verantwortlich?"

"Wir haben also Tag der lebenden Toten. Erst die Palmer, die beinahe einen Myokardinfarkt erleidet, als sie mich sah und jetzt kommst du mit, ich sei tot", dieser absurde Scherz wurde von Mal zu Mal besser, weshalb Jyn einen Schluck nahm und mit der Flasche zur Türe deutete, "Mir ging es nie besser und jetzt hau ab."

"Du lagst drei Tage zusammen mit weiteren Toten in der Leichenhalle. Genickbruch. Keine zweiundsiebzig Stunde später tauchst du hier auf, als sei nichts gewesen und wir unterhalten uns. Wie kann das sein?.... Wie bitte? Was hast du gerade zu mir gesagt?", ungläubig, das gehört zu haben, was Jyn gerade zum ihm gesagt hatte, verstummte Tony und hob die Hand mit ausgestrecktem Finger, "Wir kennen uns seit acht Jahren, ich stand vor deiner Leiche und du sagst mir jetzt, ich soll mir nichts, dir nichts abhauen? Du siehst zwar aus wie Jyn, hörst dich jedoch nicht so an. Was willst du damit bezwecken? Die letzten Menschen loswerden, den du hast? Bravo, du bist auf den besten Weg dorthin....."

"Hast du es bald? Du sollst gehen", unterbrach Jyn Tony kühl, der sie darauf anschaute, als könne er es nicht fassen, dass gerade sie in diesem Tonfall mit ihm redete und das ohne jeglichen Ausdruck im Gesicht, "Ich habe nicht geringste Ahnung, was du dir da einreden willst und es nicht von meinem Interesse, denn ich will nur meine Ruhe. Also geh bitte."

Das Bitte hatte Jyn nur aus Höflichkeit angehängt, weil vielleicht würde Tony dann eher verschwinden. Menschen konnten vielleicht nerven oder hartnäckig sein, wie ein Krebsgeschwür.

Nachdem Tony freundlicherweise das Apartment endlich verlassen hatte, begann Jyn allmählich zu nicken, rutschte mit zittrigen Atem sowie dem Rücken am Küchenblock zu Boden und krallte die Fingernägel tief in ihre Beine hinein, die sie hoch an die Brust zog.

Wie es in Alice so schön heißt:
Wahnsinn ist keine Frage des Geisteszustandes. Es ist ein Ort.
Von damals bis heute ihr Lieblingsbuch. Jedes mal, wenn sie es von nun an aufschlägt, würde sie Geschichte auf eine ganz neue Weise sehen.






Atlas

„Machen wir ernst. Die alten Zeiten sind vorbei. Ich habe eine Nachricht, die Sie übermitteln werden und ich weiß, dass Sie es können, ganz gleich, was behauptet wird. Eine Nachricht für den toten Mann", gab Jyn Markham nüchtern zu Verständnis, zog eine Glock hinten aus Hose, warf diese achtlos auf den Tresen und stützte sich, mit den Arminnenseiten nach vorne, an der Kante ab, „Zwanzig Millionen. Zwanzig Millionen, damit er mich ausbildet. Jemand meint ein Kopfgeld auf mich aussetzen zu müssen, bitte, gerne aber nicht ohne sich den Folgen bewusst zu sein. Der Auftrag war nicht geschäftlich, sondern persönlich und dagegen bin ich allergisch. Brock wählte seinen Weg, wie ich jetzt den meinen wähle. Diesen. Übermitteln Sie die Nachricht. Freitag ist Deadline. Bis dahin soll er sich entschieden haben. Mir egal wie, machen Sie es einfach. Angenehmem Tag wünsche ich."





So wie jede Geschichte zwei Seiten hat, so hat auch jeder Mensch zwei Seiten.
Eine, die wir der Welt zeigen, und eine Andere, die wir in unserem Inneren verbergen. Eine Dualität, beherrscht vom Gleichgewicht von Licht und Dunkelheit.
Jeder von uns ist zu Gutem und zu Bösem fähig.
Doch jene, denen es gelingt, die moralische Grenze zu verwischen, haben die wahre Macht.

✔a.k.a. Part I - Infinity War✔Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon