Bald nicht mehr

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„In ihrem Wartezimmer liegt Kinderspielzeug." Es platzte aus mir heraus, kaum hatten wir uns hingesetzt. Gott, warum war ich so dämlich? Aber ich hatte es angestarrt. Eine Murmelbahn. Bauklötze. Malbücher. Die ganze halbe Stunde lang hatte ich sie angestarrt und war jedes Mal, wenn ich blinzelte, kurz davor gewesen, in Tränen auszubrechen.

Die Frau lächelte mich sachte an. „Das stimmt. Es kommen auch oft Eltern mit ihren Kindern zu uns."

„Ich weiß", beeile ich mich zu sagen, „tut mir leid. Ich – ich bin durch den Wind, ich rede Unsinn, tut mir wirklich leid." Das letzte Wort ist nur noch ein hohes Quietschen.

Sie griff über den Tisch nach meiner Hand. Es fühlt sich warm an. Ich verziehe das Gesicht, in der Hoffnung, dass ich damit zu mindestens ungefähr ihr Lächeln erwiderte.

Sie fing an zu reden.

„Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland illegal. Aber er wird nicht strafrechtlich verfolgt, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Sie sind maximal 12 Wochen schwanger, dieses Gespräch hat stattgefunden und Sie sehen diese Schwangerschaft als eine absolute Notlage an, die sie nicht bewältigen können. Letzteres habe nicht ich zu entscheiden. Sie müssen mir hier keine Gründe nennen oder mich von irgendetwas überzeugen. Meine Aufgabe ist es, Sie über die Möglichkeiten aufzuklären, die Ihnen zu Verfügung stehen."

Sie erzählte mir davon, dass uns staatliche Maßnahmen zustanden, dass wir Förderungen bekommen würden, mit deren Hilfe wir es, wenn wir das wollten, schaffen könnten.

Ich glaubte ihr, das tat ich wirklich. Wir würden es schaffen.

Aber nicht gut.

Nicht genügend.

Was war ein Notstand? Wenn man selbst noch ein Kind war und zur Schule ging? Wenn man ohne Partner dastand? Oder wenn man, wie wir, gerade Anfang zwanzig war, noch studierte und knappe dreißig Quadratmeter zum Leben besaß?

War diese Entscheidung egoistisch? Hatten nicht schon zahlreiche Eltern ihre Kinder unter tausend Mal schlimmeren Verhältnissen großgezogen?

Und wenn ich es zur Adoption freigab – wer garantierte mir dann, dass es eine richtige Familie finden würde? Wer garantierte mir, dass ich nicht eines Tages verantwortlich für die Hölle sein würde, die es wegen mir durchleben musste?

Ich versuchte mich wieder auf Frau zu konzentrieren. Sie erklärte mir gerade, dass ich im Grunde genommen zwei Möglichkeiten hatte, diese Schwangerschaft abzubrechen: durch eine medikamentös eingeleitete Fehlgeburt oder operativ durch eine Absaugung.

Der Gedanke, dass dieses Kind Stück für Stück aus mir herausbluten würde, war unerträglich. Also war wenigstens diese Entscheidung schnell getroffen.

„Soll ich den Schein und die restlichen Unterlagen holen?"

Ich drehte meinen Kopf zurück zur Frau. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich mich irgendwann abgewendet und aus dem Fenster geguckt hatte.

Ich nickte.

Sie nickte.

„Diesen Schein nehmen Sie dann mit zum Termin. Ich gebe Ihnen auch eine Liste mit Praxen und Kliniken mit, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen", fuhr sie fort, während sie aufstand, „aber vergessen Sie nicht, sie müssen mindestens noch drei Tage nach diesem Gespräch warten."

Sie sagte es nicht, aber es schwang unweigerlich mit.

Drei Tage Zeit, um sich umzuentscheiden.

Unter meinem HerzenUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum