Kapitel 4【Amy】

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"Also, das ist wirklich das letzte Mal gewesen, dass ich den Handywecker in deiner Gegenwart benutzen werde" Ich quetschte mich regelrecht durch das graue Shirt, als wir in die Umkleidekabine der Turnhalle stürmten und schließlich die Beine in die Hand nahmen, um wenigstens nicht allzu viele Minuten Verspätung unter unserem Namen im Klassenbuch stehen zu haben.

Blake schnaufte verächtlich. "Hoffentlich auch das letzte Mal, dass mir Cyndi Lauper im Halbschlaf die Ohren vollkotzt. Mal ehrlich, ist dein Geschmack wirklich in den Achtzigern hängengeblieben oder bilde ich mir das nur ein?"

"Das ist nicht Cyndi Lauper!"

In der Turnhalle wartete ein äußerst verärgerter Mr. Miller auf uns und hielt uns einen von Herzen kommenden Vortrag über die 'Jugend von heute' und die Respektlosigkeit gegenüber seiner Person. Ja, einen echten Schmarotzer hatten wir da als Sportlehrer.

Wie arrogant er dort in seinem abgewetzten blauen Trainingsanzug stand und dazu ärgerlich den Kopf schüttelte: "Und das Haargummi haben wir offensichtlich auch vergessen."

Blake sackte wie ein nasser Sack in sich zusammen, doch glücklicherweise trat unser Freund Lucky an sie heran und reichte ihr ein pinkes Haargummi.

"Woher hast du das?"

"Alicia möchte, dass ich ihr die Haare flechte, also ..." Luckys Augen strahlten nahezu, während sich seine blassen Lippen zu einem Lächeln formten.

Beide Geschwister zeichneten sich deutlich von der Menge ab, denn ihre unnatürlich hellen Haare und der blasse Teint ließen sie wie Vampire wirken.

Jedenfalls dauerte Mr. Millers Ärgernis kürzer an, als ich erwartet hatte und wir fanden uns auch schon in einem frevelhaften, unzufriedenen Team wieder, welches den harten Ball durch die mehr als stickige Halle prellte. Auch wenn mir Sport hin und wieder etwas Freude bereitete, war es das Spielen um die Wette überhaupt nicht. Mal ehrlich, es brachte gar nichts. Dieses trostlose Hinterherrennen, um im nächsten Moment, wenn es die Jungs ja denn mal zulassen würden, den Ball, in den überaus hoch geratenen Korb zu werfen und ihn entweder überraschend zu treffen - zum Jubel der Menschheit versteht sich - oder wie erwartet zu verfehlen und ein lautes Grölen der männlichen Mitspieler zu kassieren.

Wobei ich ehrlich sein musste, dass mir Letzteres öfter passierte und ich hatte wirklich nichts gegen männliche Mitspieler. Wirklich nicht.

Mein Platz fand sich des öfteren in der hintersten Ecke wieder, doch ich war ja nicht die Einzige, also überspielte ich gekonnt die Tatsache, eine schlechte Note zu bekommen.

Irgendwie hatte jedes Mädchen Probleme damit, sich zwischen den Jungs zu behaupten. Dasselbe galt auch für Gruppenarbeiten oder Klassensprecherwahlen, denn dabei ähnelten die Jungs wilden Tieren und wir schweigsamen Vulkanen, die jede Sekunde auszubrechen drohten und ihnen am liebsten an die Gurgel gehen würden, mit den Worten: "Was denkst du eigentlich, wer du bist? Sei für eine Sekunde mal still, hat dir das niemand beigebracht!?"

Im Endeffekt blieben die meisten von uns still.

Aber das galt nicht für alle. Die Menschen, die sich nicht unterkriegen ließen und tapfer voraustraten, ja zu ihnen wollte ich gehören. Aber auch nach Jahren der mühsam errichteten Neujahrsvorsätze geschah nichts Bedeutsames, was für Wochen anhielt - vielleicht eher ein paar Tage. Zu diesen Menschen gehörte Blake. Für keine Sekunde verließ sie den ihr gewährten Posten im vorderen Mittelfeld.

So zogen sich die zwei Sportstunden wie ein Kaugummi unter einer abgeknatterten Schuhsohle - lang und fad, wie eklig. Und die nach Erdbeerdeo duftende Umkleide konnte auch nicht dazu beitragen, den Tag zu etwas Besserem zu machen. Ich sollte nicht zu schnell urteilen, der Dienstag folgte auf Montag, was bedeutete, zwei Fünftel der Schulwoche geschafft zu haben. Oder anders formuliert: zehn Stunden Unterricht lagen nun hinter uns, doch - verfluchter Mist - auf uns warteten noch fünf Stunden Mathematik mit unserem Lebensphilosophen Mr. Betts und der Entstehung seiner geliebten Gartenkresse, drei Stunden ultra langweiliges Tippen auf kaputte, vergilbte Klaviertasten mit dem ständigen Gospelsingsang als Begleitung, und die übrige Scheiße, genannt Unterricht.

Die angenehme Brise wehte mir über die Schultern, als wir durch das nasse Gras der Wiese schlurften und uns schließlich an die überdachten Holztische setzten, um gemeinsam zu frühstücken. Das taten wir eigentlich jeden Tag, doch manchmal machte uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung.

"Hmm, ich dachte, wir kriegen mehr Ärger", murmelte Blake, während sie eine Flunsch zog und den Schokoriegel aus ihrem Rucksack befreite. Schwups, mit einem Happen war er auch schon im Mund.

Gleichzeitig packte ich meine rote Brotdose hervor und stellte sie vor mich. Der grüne Apfel strahlte mir schon entgegen, weswegen ich nicht länger zögerte und genüsslich hineinbiss.

Als mein Gegenüber das bemerkte, blinzelte sie zweimal und brummte fassungslos: "Ist das jetzt dein verdammter Ernst?"

Wir beide hatten, nun ja, etwas verschiedene Ansichten, was das Thema Ernährung und Gesundheit anbelangte. "Ein Apfel pro Tag und du ersparst dir den Gang zum Arzt."

Mein wissender Blick schien sie dermaßen zu stören, denn ihre Augenbrauen zogen sich zu einer Tom-Cruise-Monobraue, immer dann, wenn sie das Wort 'Apfel' auch nur hörte.

"Ich sag dir jetzt mal was, meine Liebe" Ihr gespieltes, oberflächliches Lächeln entging mir nicht. Ich ahnte Schlimmes, oh je! Was hatte ich nur getan?

"Das da", sie nickte zu meiner Hand, "ist nichts. Ich kenne dich, nach einer Stunde hast du sowieso wieder Hunger."

"Niemals", herausfordernd nahm ich nochmals einen Happen, grinste bis über beide Ohren, um die Lächerlichkeit dieser Ansage zu unterstreichen. "Der hält Stunden an."Mit so etwas konnte sie mich nicht einschüchtern, im Gegenteil: Ich fand es sogar irgendwie süß, wie sie sich anstellte, um mich mit ihrer Meinung zu überzeugen.

Meine dagegen schien sie wenig zu kümmern. Verträumt fuhr sie mit den Fingerkuppen über den Tisch und betrachtete mich weiter provokant aus dem Augenwinkel. "Außerdem: Das mit dem Arzt stimmt ja so gar nicht, denn das ist bei mir komischerweise immer der Fall." Mit übertriebenem Gezappel faltete sie die Hände ineinander und sah hinauf in den Himmel. "Was für ein Zufall, ich habe eine Apfelallergie!"

Wa...? 1-0 für Blake. Ihre gestellte Stimme dabei unterstrich beschämend gut die Lappalie.

Ich machte große Augen. "Ach was, das gibt's?"

"Es gibt alles, aber keine Menschen, die freiwillig jeden Tag einen Apfel essen würden."

Mütterlich fuhr sie durch meine Haare und verstrubbelte diese. "Und jetzt entschuldige mich, die Cafeteria ist gerade so leer. Hast du vielleicht noch ein paar Dollarchen für mich, geliebte Gefährtin?"

Mit den Augen rollend drückte ich ihr etwas Kleingeld in die Hand und sah ihr noch eine ganze Weile nach, während sie wie ein kleines Kind mit einem Lolli zur Cafeteria rannte. Es war wirklich Rennen, jetzt hatte sie komischerweise die Puste dazu. Ach, manchmal war sie einfach so-.

"Danke, geehrter Daren" Oh Gott, der nächste Idiot.

Er atmete dramatisch ein. "Danke, dass du uns aus dieser misslichen Lage befreit hast", seine Stimme bebte gekünstelt, "W-wir wären umgekommen."

Mit einem aufgeblasenen Grinsen im Gesicht stolzierte er zu mir und gesellte sich für meinen Geschmack etwas zu nahe heran. Mein Verstand sagte mir aber: Lass ihn dort sitzen, ignoriere ihn. Ihm wird schon langweilig werden.

I Don't Know WhyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt