Kapitel 6【Blake】

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Das allseits bekannte Lokal Casa del Gozo genoss den Ruf als beliebtester Rückzugsort vieler Studenten. Sobald die Inhaberin Lucía einem Feldwebel gleich zu den Tischen hetzte, sprudelte aus ihr nichts anderes als pure Lebensfreude.

"Tía, es hat schon wieder jemand auf die Klobrille geschissen!"

Hat sie das gerade wirklich vor den Gästen gesagt oder bilde ich mir das ein?

Wir zwei sahen uns stumm an. Dann hörten wir Gebrabbel hinter verschlossenen Türen. Zwei Hardcore-Divas diskutierten darüber, wie sie das Opfer finden und zur Sau machen sollten.

"Immer diese asozialen maricons...", schimpte Lucía, nachdem sie die Klotür hinter sich zuknallte und uns entdeckte. "Oh, Amy, Blake, wie sehr ich euch vermisst habe!"

Die Freude ist ganz meinerseits, denke ich, als sie uns um die Arme fällt und mir mit ihrer ungewaschenen Hand über die Wange strich.

Obwohl die Gäste jetzt mit einem noch verdutzteren Blick in unsere Richtung gafften, bremste sie das keinesfalls und drückte noch fester zu.

Nun ja, bis Amy einen erstickenden Laut von sich gab, löste sie sich jedenfalls auch endlich wieder.

"Mariana, notierst du bitte die Bestellung unserer zwei Stammgäste", deutete sie auf ihre dreizehnjährige Nichte.

Diese hatte die Arme in die Taille gestemmt und beäugte uns kritisch "Klar doch, Tantchen."

"Eigentlich wollten wir dich schon vor Tagen besuchen, aber irgendwie..."

Amy fiel keine passendere Ausrede ein, also ergänzte ich: "Wir hatten keine Zeit, weil die Schule so anstrengend ist. Das ist wirklich ätzend momentan mit den vielen Hausaufgaben".

Ich setzte mein Gesicht für besonders schwere Strapazen auf und erwartete die mitfühlende Antwort einer spanischen Temparamentbombe.

"Habt ihr mich mal gefragt", keifte sie unbeeindruckt, "jeden Tag in ein streng-katholisches Kloster gesteckt zu werden ist auch nicht die feine englische Art."

Dabei streiften ihre Augen unbewusst die von Amy, welche sich natürlich wieder angesprochen fühlte.

"Mo-ment", unterbrach ich sie, um eine britische Naturkatastrophe zu unterbinden, "wir haben Hunger und sind hergekommen, um deine tolle Paella zu verspeisen, wenn du also bitte-"

"Keine Paella."

"Hm?"

"Keine Paella!"

"W-wieso nicht?", fast schon betrübt ließ ich den Kopf sinken.

"Weil da Fleisch drinnen ist und ich mich nicht von Fleisch ernähre, hast du das wieder vergessen?"

"Oh nein, wie konnte ich dieses Wehwehchen nur vergessen!" Nun missbrauchte ich die besonders überhebliche Nora Medray Stimme. "Dann für mich bitte eine Paella mit extra viel Fleisch, schließlich sind die Tiere meines Erachtens nicht umsonst gestorben." Ich hörte, wie sie verständnislos die Nase rümpfte. "Und für meine geliebte Seelenverwandte bitte einfach ein veganes...", meine Augen huschten unauffällig über das Menü, "Chili C-Chorizo, was auch immer das sein mag."

"-vegetarisch, Blake. Vegetarisch", korrigierte mich Amy. 

"Eine vegetarische Chorizo?" Ein glockenklares Lachen Mariana seits ertönte. "Was soll das sein?"

"Der Kunde ist König, Mariana", meldete sich Lucia wieder zu Wort und ergänzte herb: "Aber das wirst du noch lernen, wie auch zum Beispiel Anstand von ihnen zu halten."

Verblüfft starrte sie in das runde Gesicht ihrer Tante.

"Okidoki", notierte sich die Kleine trotzig und stapfte in die Küche.

Lucia seufzte tief und ließ den Kopf hängen, sodass ihr haselnussbrauner Bob locker über die Schultern fiel. "Anstregend, diese Teenager von heute"

Sie wischte ihre verschwitzen Hände erschöpft an ihrer schwarzen Schürze ab, auf der in geschwungener Schrift stand: Kiss the Cook.

Ich für meinen Teil würde an letzter Stelle statt dem 'O' noch ein beherztes 'C' ergänzen, aber das ist von Person zu Person unterschiedlich. Die Leute hier sollten schließlich etwas zu lachen haben, abgesehen von den ständigen Diskussionen zweier Drama-Queens.

Lucía bemerkte meinen Blick. "Hat mir Alexandro geschenkt!"

Neugierig glitten meine Augen durch die Reihen auf der Suche nach dem riesigen Charmeur. Dieser konnte nicht genug von seiner kecken Flamme ablassen. Auch Lucía warf hin und wieder verstohlene Blicke zu ihm, während er mit anderen Frauen redete.

Dieser war es auch, der uns einst ganz willkürlich auf der Straße angesprochen hatte. Wegen seinem Akzent hatte ich zuerst überhaupt nicht verstanden, um was es überhaupt ging. Angeblich sollte es nett gemeint sein, aber ich verstand nur, dass er Lust auf ein spontanes Gangbang hatte und geigte ihm vor versammelter Mannschaft ordentlich die Meinung. So leicht zu haben war ich nun auch nicht, obwohl mein unbeabsichtigt tiefgeratener Ausschnitt da wohl anderer Überzeugung war. Egal, sein Gesichtsausdruck: Unbezahlbar!

Hinterher tat es mir dann irgendwie leid, als mir Lucía, die die amerikanische Sprache eindeutig besser beherrscht, erklärte, dass er uns in ihr Lokal einladen wollte. Zu dieser Zeit war es gerade erst eröffnet worden und kaum jemand fühlte sich dazu verpflichtet, dem hilflosen Paar eine Chance zu geben.

Amy war diejenige, die mich schließlich überzeugte und herschleppte. Als ich dann die Paella auch nur roch, war es schon um mich geschehen und mein zweites Zuhause trug den Namen "Casa del Gozo".

"Apropos: Ich sollte ihm mal über die Schultern schauen, sucht euch doch schon einmal einen Platz."

Freundlicherweise stellte uns Mariana stumm eine Wasserflasche, sowie zwei Gläser auf den Tisch und nickte nur, als wir uns bedankten.

Soweit Lucia aus der Hörweite war, zischte Amy mit barschem Unterton: "Das war eben überhaupt nicht nett, was du da gesagt hast."

"Bitte, können wir einfach nur...", ich machte eine kleine Pause und ließ mich in das schwarze Ledersofa der Lounge fallen, die eigentlich für weit mehr als nur zwei Leute bestimmt war, "einfach nur mal einen entspannten Nachmittag haben. Ohne unsere Eltern oder sonst jemanden."

Sie überlegte. Dann rieb sie mit Zeige- und Mittelfinger an ihrer Schläfe und seufzte tief. "Ich glaube, ich muss mit dir über etwas reden."

Meine Hände berührten die gekühlte Glasflasche. "Achja, über was?"

"Clancy hat Gestern etwas über Daren gesagt, was mich...was mich etwas verwirrt hat..."

"Amy, der Junge war betrunken. Da entpuppt sich doch jeder als Moralapostel, nimm es dir nicht zu Herzen."

"Nein, das ist es nicht."

Ich kicherte. "Hat er dich für 'ne Hure gehalten?"

"N-E-I-N. Hör mir doch verdammt noch mal zu!", blaffte sie, haute mit der Faust auf den Tisch. Überrascht über ihre Reaktion, atmete sie einige Male ein und aus, nippte an ihrem Glas, bevor sie weiter ansetzte "Clancy meinte, dass Daren berechnet sei...und nicht freiwillig mit ihm befreundet wäre. Total komisch eben..."

Ich stöhnte. "Hab ich dir doch gesagt, er war hackedicht. Wahrscheinlich hat er dich mit seinem Psychiater oder Was-weiß-ich-Wem verwechselt. Aber das machen ja die Meisten, also kann es dir ja egal sein."

"Queridas, hier das beste Essen aus South Carolina", unterbrach uns Alexandro hochkonzentriert, als er einen Teller nach dem anderen auf unseren Tisch stapelte. "Guten Appetit wünsche ich."

I Don't Know WhyWhere stories live. Discover now