2. Der Unbekannte

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„Hallo?" rufe ich, nachdem ich die Tür hinter mir zugezogen habe.
Keine Antwort.
Mum muss wohl noch bei der Arbeit sein. Es kommt in letzter Zeit öfter vor, dass sie so spät abends noch nicht zu Hause ist, da sie in den letzten Wochen viele Neuzugänge bekommen hat. Sie betreut temporär Jugendliche, die in einem schlechten Umfeld leben und bringt auch gelegentlich welche mit nach Hause, wenn es wirklich sehr schlimm aussieht und diese rund um die Uhr bewacht werden müssen.
Nein, ich habe keine Angst um mein Leben.
Deshalb hab ich quasi, obwohl ich Einzelkind bin, immer mal wieder Geschwister in verschiedenen Altersklassen.

Ich lege den Schlüssel auf die Kommode neben der Treppe, die sich gleich neben der Haustür befand, und gehe weiter in die Küche.
Ich öffne den Kühlschrank, in dem eine kleine Schüssel mit einem Zettel dran steht.

Tut mir leid, dass ich schon wieder nicht zum Abendessen da bin.
Am Wochenende gehen wir beide zusammen essen. Versprochen.
Hab dich lieb
Mama

Ich hoffe nicht Chinesisch. Von den Nudel musste ich das letzte Mal danach die ganze Nacht kotzen.

Ich nehme die Schüssel und stelle sie in die Mikrowelle. Dann gehe ich wieder in den Flur, um meine Schuhe auszuziehen und meine Jacke aufzuhängen.

Gerade als die Mikrowelle piept, klingelt es an der Tür.
Hin- und hergerissen zwischen der Liebe zum Essen und der Neugier, wer jetzt noch bei uns klingelte, entscheide ich mich dann doch erstmal an die Tür zu gehen.

Als ich sie öffne steht dort ein Junge, er muss ungefähr in meinem Alter sein, und guckt mich mit seinen grünen Augen durch seine dunkelblonden, fast braunen, zerzausten Haare an.

„Hallo?" sage ich.
Er guckt mich nur an.
Bisschen komisch der Typ.
„Kann ich dir irgendwie helfen?" frage ich weiter.
Er hebt seinen Kopf ein Stück an, guckt erst über meinen Kopf hinweg, das ihm nicht wirklich schwer zu fallen scheint, da er locker ein Kopf größer als ich ist, dann mustert er mich.
Sein Blick wandert von meinen zerzausten Haaren, es war ein sehr anstrengender Tag, über mein weißes T-shirt und die enge high-waisted Jeans mit Löchern bis zu meinen verkrampften in weißen Socken mit blauen Ankern versteckten Zehen.
Er neigt den Kopf ein wenig zur Seite.

„Kannst du mich bitte nicht so scannen?"
Er sagt immer noch nichts.

„Ähm.. also.. ist die Polizei hinter dir her und du musst dich irgendwo verstecken?" versuche ich die angespannte Situation aufzulockern. Ich lache ein bisschen hysterisch.
Ich kann mit so welchen Situationen definitiv nicht umgehen.

Plötzlich piept die Mikrowelle erneuert und ich fahre zusammen.

Er funkelt mich an, dreht sich um und verschwindet im Schatten der Straßenlaterne.

Das war jetzt komisch.

Ich runzele die Stirn, schließe die Tür wieder, gehe zum Spiegel der über der Kommode hing und schaue in das Gesicht eines Mädchens, das von hellblonden, langen, geglätteten Haaren, die bis unter die Brust gingen, umgeben ist.
Sie hat eine Stupsnase, auf der ein paar Sommersprossen zu sehen sind, und große Augen. Meiner Meinung nach zu groß für das Gesicht.
Nun ja, immerhin sind meine Augenbrauen gelungen.

Bevor die Mikrowelle ein drittes Mal piepen kann, nehme ich die Schüssel heraus, nur um sie danach gleich wieder reinzustellen, da das Essen wieder kalt geworden ist.
Ich gucke auf die Uhr am Backofen gleich daneben. 23:15 Uhr.

Ich muss wohl noch ein paar Minuten warten bis ich endlich meine heiß geliebte Lasagne essen kann.
Also setze ich mich an den Esstisch und nehme mein Handy in die Hand, um die eingetroffenen Nachrichten zu lesen.
Unteranderem ist eine von Mum dabei.

22:43
Hallo mein Schatz,
ich fahre jetzt los.
Bitte vergiss nicht sauber zu machen. Du bist heute dran ;)

Wenn sie dann losgefahren ist müsste sie eigentlich gleich hier sein.

Ich stehe also auf und räume die Zeitungen, die verstreut auf dem Tisch liegen, weg.
Da meine Mutter eh immer schon alles sauber hielt weiß ich nicht, wie auch an meinen anderen „Sauber-mach-Tagen", was ich sonst noch aufräumen könnte, also belasse ich es dabei und kann mich dann auch mal endlich meiner Lasagne widmen.

Don't do it again. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt