Das Waisenhaus

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Sie standen vor einem relativ großen dunklen Gebäude, das schon einige Jahre älter zu sein schien. Die Fassade musste dringend wieder gestrichen werden und auch sonst sah das Haus beinahe etwas verfallen aus. Während Severus noch schaute war Mr Alconwhitt bereits vorausgegangen und hielt nun die große, schwere Eingangstür aus Eichenholz für ihn auf. Severus beeilte sich nachzukommen und schlüpfte nach dem Mann von Jugendamt durch die zuschwingende Tür.

Mr Alconwhitt war bereits auf eine Tür gleich rechts neben dem Eingang zugegangen und klopfte jetzt an. Während sie auf das „Herein" warteten schaute Severus sich schüchtern um. Es herrschte eine beinahe bedrückende Stille, die alles zu verschlingen schien. Es war nicht die ruhige, angenehme Stille, wie wenn er nachts als einziger wach war um sich ins Wohnzimmer zu schleichen und dort auf dem Teppich vor dem Kamin heimlich zu lesen. Nein es war eine bedrohliche Stille. Eine Stille, wie sie nicht in einem Ort voller glücklicher, spielender Kinder hätte herrschen sollen. Ängstlich rückte er näher an Mr Alconwhitt heran, der nun seine einzige Verbindung zu seinem alten Leben darstellte, die einzige Konstante an diesem vollkommen fremden Ort. Direkt gegenüber dem Eingangsportal führte eine ausladende Treppe aus zweitklassigem Marmor hinauf ins zweite Stockwerk. Das schon etwas marode wirkende breite Holzgeländer war mit Schleifspuren übersät, wo vermutlich über Jahre hinweg Kinder darauf hinuntergerutscht waren. Links und rechts von der Eingangstür führten Türen in ihm unbekannte Räume. Der Boden war aus dem gleichen Stein wie die Treppe und von den hundert Schuhen, die schon über ihn gegangen waren, zerkratzt und abgetreten. Als er seinen Blick hob sah er über sich die hohe Eichendecke, welche von schweren Holzbanken gehalten wurde. Die große Halle war zugig und Severus fröstelte ein wenig. Es war später Herbst und hier drin musste eigentlich dringend geheizt werden. Es gab keinerlei Einrichtung oder ähnliches. Das störte Severus nicht, er war schon immer ein Verfechter des Schlichten gewesen. Aber das Wichtigste, und das konnte ihm nicht entgehen, fehlte. Es waren die Kinder. Schon die Totenstille hatte ihn irritiert und jetzt wusste er, was falsch daran war: Es fehlten die Kinder. Wo waren die Massen von tobenden, schreienden Kindern wie es sie an einem Ort wie diesem geben sollte?

Erschrocken wurde er aus seinen Gedanken gerissen als das erwartete „Herein" ertönte. Es wurde von einer streng, etwas nasal klingenden Frauenstimme ausgesprochen. Severus trat hinter Mr Alconwhitt in das Zimmer, welches im Gegensatz zu der Eingangshalle eine niedrige Decke hatte, sodass jener beinahe mit dem Kopf an die dunklen Eichenholzbalken stieß. Hinter einem großen unordentlichen Schreibtisch, auf dem sich Unmengen von Papieren stapelten saß eine streng, aber auch müde aussehende Frau und schrieb mit einem Füllfederhalter etwas, was wie ein Formular aussah. Severus Augen registrierten sofort die Bücherregale an der Wand hinter der Frau und sein Blick glitt neugierig über die Titel der Bücher und Ordner. Etwas enttäuscht musste er feststellen, dass es sich lediglich um Ordner mit Dokumenten, Akten und Finanzwirtschaftslexika handelte. Jetzt blickte die Frau auf und sah ihn beinahe gebieterisch über den Rand ihrer Brille an. Ihre Haare waren zu einem strengen Knoten zurückgesteckt und sie trug ein hochgeknöpftes, schon etwas verschlissenes schwarzes Kleid. Severus schätzte sie auf um die 55 Jahre.

„Guten Tag, Mr Alconwhitt", grüßte sie den Herrn vom Jugendamt, „wie ich sehe haben sie mir einen weiteren Fall mitgebracht." Sie seufzte. „Ein weiteres Maul zu stopfen. Noch mehr Arbeit." Sie warf Severus einen säuerlichen Blick zu. Dieser lief leicht rot an und senkte den Blick. Er wollte dieser Dame nicht zur Last fallen. Außerdem mochte er nicht, wie sie in seiner Gegenwart über ihn als eine unangenehme Bürde sprach. Er war das zwar von seinem Vater gewohnt, doch dies hier war eine vollkommen Fremde. „Ich grüße sie, Ms Dragster", antwortete Mr Alconwhitt höflich. Die Frau, Ms Dragster, schien sich jedoch jetzt zusammenzureißen und erhob sich um hinter dem Schreibtisch hervorzukommen. Sie trat vor den Jungen und reichte ihm etwas pikiert die Hand. Als ob er etwas für seine Lage könnte. „Wie heißt du, mein Junge?", fragte sie ihn. Er wusste nicht recht, wie er sich gegenüber ihr verhalten sollte. Er wollte eigentlich, dass sie ihn mochte. Er wollte doch nur von den Menschen gemocht werden! „Severus", nuschelte er schließlich. „Wie bitte, mein Kind?", ihre Stimme klang schon wieder leicht genervt. Severus räusperte sich. „Severus Snape", brachte er schließlich hervor. Die Dame nickte und kehrte hinter ihren Schreibtisch zurück um seinen Namen in eins der Formulare einzutragen, welches sie aus den dunklen Tiefen ihres Schreibtischs hervorzog. Schließlich wischte sie einen Stapel Papiers von einem Ordner, auf dem etwas wie getrockneter verschütteter Kaffee klebte. Sie blätterte eine Weile in den Dokumenten bis sie anscheinen fand was sie gesucht hatte und ein Blatt aus dem Ordner hervorzog. „Du kannst auf Zimmer 45 einziehen.", meinte sie. „Der Junge der dein Zimmernachbar ist hat bisher alle nach ein bis zwei Tagen verschreckt. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sich ein passender Freund für ihn findet." An Mr Alconwhitt gewandt sprach sie weiter: „Ich hoffe, dass er dann aufhört diese... seltsamen Dinge zu tun. Außerdem", sie verzog das Gesicht, „würde ein bisschen Gesellschaft ihn vielleicht davon ablenken, alle zu terrorisieren." Dann wandte sie sich wieder an Severus: „Aber keine Sorge, mein Lieber", sagte sie mit einem zuckersüßen falschen Lächeln, „Du wirst dich sicher prächtig mit ihm verstehen. Und nun, geh, geh, ich und der liebe Mr Alconwhitt hier haben noch wichtige Dinge miteinander zu besprechen, die nichts für kleine Jungen wie dich sind." Mit einem weiteren Lächeln das nicht an ihre Augen reichte fuhr sie ihm in einer Geste, die wohl liebevoll vor Mr Alconwhitt wirken sollte, durch die schulterlangen schwarzen Haare.

Durch eine Tür, die Severus bisher nicht bemerkt hatte kam ein Mädchen von etwa 20 Jahren herein. „Das ist Lucy", erklärte Ms Dragster. „Sie wird dich auf dein Zimmer bringen und dir das Wichtigste zeigen." „Mach's gut, mein Junge", meinte Mr Alconwhitt. Severus nickte ihm mit einem für einen neunjährigen erstaunlichen Ernst zu und folgte dann Lucy, die ohne ein Wort durch die Tür, durch die zuvor Severus und Mr Alconwhit eingetreten waren, verschwunden war.

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Versuchung der DunkelheitWhere stories live. Discover now