Prolog - Gefangen

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Ich nahm genügend Anlauf und landete ohne große Mühe auf der Mauer. Ich spähte durch die Gegend, ob sich in der Nähe noch eine Wache aufhielt, doch alles war ruhig. Ich sah kurz in den sternenklaren Himmel und genoss die frische Kühle auf meiner Haut.

Wenn ich jetzt abspringe, mache ich mich strafbar., fuhr es mir durch den Kopf. „Ich tu es für meine Familie!" nuschelte ich, atmete tief durch und sprang von der Mauer hinunter.

Zum ersten Mal befand ich mich auf dem königlichen Grundstück. Jetzt musste alles ganz schnell gehen!

Ich stieß mich von der Mauer ab und hechtete über die Wiese auf das Schloss zu.

Obwohl das nicht mein erster Raub war, hatte ich furchtbare Angst. Normalerweise hatte ich andere Räuber ausgeraubt, manchmal auch Touristen oder Händler. Das ich den Kronprinzen ausraube, das war was ganz Neues für mich. Endlich erreichte ich das Gebäude.

Auch wenn ich noch nie hier gewesen war, kannte ich das Schloss in und auswendig, dank der Karte von Mirko.

Ich lief zu der Ostseite des Gebäudes und sah nach oben. Tatsächlich, dort war ein kleiner Haken – perfekt für mein Seil!

Ich nahm meinen Rucksack ab und kramte das Seil heraus, band einen Knoten und warf das Seil hinauf zum Haken. Ich traf schon beim ersten Wurf.

Ich überprüfte, ob das Band standhaft genug war und es auch richtig am Haken hang, dann kletterte ich hinauf.

Im ersten Stock guckte ich durch das dunkle Fenster, ob sich niemand drin befand, öffnete es dann und sprang hinein.

Die Schatzkammer befindet sich im Keller. Hoffentlich sieht mich keiner. Wenn mich jemand trotzdem sieht, wird er hoffentlich keinen Verdacht schöpfen.

Ich tappte durchs dunkle Zimmer und achtete darauf, keinen Lärm zu machen.

Bald darauf kam ich bei der Tür an, drückte die Klinge herunter... Verdammt. Ich rüttelte weiter an der Tür, vielleicht klemmte sie ja nur. Nichts regte sich. Verdammt!

Ich schlich wieder zum Fenster und kletterte hinauf in den zweiten Stock. In dem Zimmer brannte Licht, doch es befand sich da drinnen keine Person. Meine Chance!

Eilig huschte ich durchs Zimmer auf die Tür zu und öffnete sie. Dann befand ich mich im Flur, wo sich zum Glück keine Menschenseele aufhielt. Trotzdem versuchte ich mich so unauffällig wie möglich zu verhalten und schlenderte gemütlich den Gang entlang zur Treppe.

Kurze Zeit später war ich im Erdgeschoss, doch dort war lauter Trubel. Mehrere Menschen hielten sich vor dem Speisesaal auf, tranken Sekt oder redeten miteinander.

Es gab nur einen Eingang zum Keller und den konnte ich nur erreichen, wenn ich es an den Personen vorbeischaffte. Ich nahm all meinen Mut zusammen und lief zielstrebig auf die Menge zu. Wenn ich Glück hatte, bemerkte mich keiner. Wenn ich Glück hatte, würde mich keiner anspre- „Hier, ein Sekt für dich. Möchtest du vielleicht noch ein Stück Kuchen? Es ist genug für alle da!" War ja klar... Ein junger hübscher Mann drückte mir ein Sektglas in die Hand und lächelte mich höflich an.

„Nein, danke. Vielleicht später. Ich muss jetzt auf die Toilette." entgegnete ich und reichte ihm das Glas zurück. „Ähm, zu den Toiletten geht es aber da lang." Er zeigte hinter mich. „Ah, wirklich. Vielen Dank für die Info." Ich machte mich langsam aus dem Staub. War ja klar, dass ich kein Glück hatte. Erst war die Tür abgeschlossen und jetzt kam ich nicht an diesen Menschen vorbei.

Vielleicht ist das ein Zeichen zu gehen. Ich habe echt Glück, dass ich noch nicht festgenommen wurde., meinte eine Stimme in meinem Inneren. Ich wollte sogar auf sie hören und nun endgültig verschwinden, als mich der Typ wieder ansprach: „Sind Sie neu hier, oder warum kenne ich Sie nicht?" Ich drehte mich nicht um. „Wie lautet denn ihr Name?" Mist, ich musste irgendetwas sagen! „Ähm, hallo... Ich rede mit Ihnen." Natürlich tat ich dann genau das, was ich nicht tun sollte: Ich rannte so schnell, wie ich nur konnte. „Hey! Stehen bleiben!" Ich hörte, wie der Mann mir hinterher lief. Ich sprintete einfach weiter. Egal wohin. Ich hoffte nur, dass dieser Alptraum bald ein Ende nahm. Doch das tat er nicht. Ich hatte die komplette Orientierung verloren und befand mich dann irgendwann in der Sackgasse.

Ich betatschte voller Verzweiflung die Wand ab, in der Hoffnung, einen Geheimgang zu finden – leider ohne jeglichen Erfolg.

„Hey, ist das nicht die Räuberschwester?!" Dem Mann waren zwei weitere Typen gefolgt, wovon einer mich leider erkannt hatte.

„Was? Bist du dir sicher? Wir müssen sie unbedingt zum Chef bringen!" meinte der Andere. „Nein! Bitte nicht!" flehte ich und sank auf die Knie. „Ich habe nichts gemacht! Wirklich nicht! Bitte lasst mich gehen!" Doch die beachteten mein Flehen nicht. Stattdessen packten mich die beiden Typen jeweils an einem Arm und der Kerl, der mir gerade eben den Sekt angeboten hatte, zischte: „Ich verlasse mich auf euch, dass sie wohlbehalten bei Florenz ankommt. Ich komme bald nach." Die Männer nickten und trugen mich hinauf in den ersten Stock, in das Büro des Kronprinzen.

Es war das erste Mal, dass ich ihn gesehen hatte. Er hatte wirklich wunderschöne, dunkelblonde Haare, eine schöne Statur und wütend funkelnde Augen. Jedenfalls hatte er jetzt wütend funkelnde Augen.

„Ich arbeite gerade, seht ihr das denn nicht?!" fauchte er. „Ähm, Sir. Wir haben dieses Mädchen hier ge..."

Der Prinz stand von seinem Schreibtischstuhl auf und betrachtete mich eingehend. „Wir vermuten, es ist die Räuberschwester."

„Räuberschwester?" wiederholte der königliche Nachfolger. Anscheinend hatte er noch nie was von mir gehört, was mich aber auch nicht wunderte. Sein zukünftiges Volk war ihm vollkommend egal. Er liebte es, Menschen zu quälen und umzubringen. Jeden Freitag fand im Thronsaal die Todesstunde statt, wo Menschen, egal was sie verbrochen oder angestellt hatten, brutal umgebracht werden. Von ihm. Ich war noch nie dabei gewesen, doch es sprach sich immer im ganzen Dorf herum. Jeder fragte sich, warum der König dies zuließe und was passierte, wenn der jetzige Prinz zum König wurde. Ich vermutete, dass wir Hungersnöte erleiden würden, sowie Krieg und alles Schlechte.

Jetzt stand ich also vor ihm.

„Sie wollte die Schatzkammern ausrauben." log der eine Typ, der mich am Arm festhielt. So ein elender Lügner! Klar, ich hatte es vorgehabt, die Schatzkammern auszurauben, aber der Typ hatte mich nicht dabei erwischt.

„Wirklich. Gut, sperrt sie in den Kerker. Ich habe gerade keine Zeit für sie." Mit diesen Worten setzte sich der Kronprinz wieder hin und die Männer schleiften mich die Stufen zum Kerker herab. Dort warfen sie mich in eine Zelle und verschwanden lachend.

Die gescheiterte RäuberschwesterWhere stories live. Discover now