Meine erste Begegnung mit IHM

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Weihnachten. Oder zumindest bald. Zimtgerucht liegt schwer in der Luft, vermengt sich mit dem köstlichen Geschmack des Glühweins mit 'Feenstaub', den der Verkäufer draufgestreut hat. Im Hintergrund hört man ein Blasmusikquartett Weihnachtslieder vom Goldenen Dachl herunterträllern, mit dem angeregten Stimmengewirr des Christkindlmarktes wetteifern.
"Anna", stuppst mich meine Freundin Jessy an: "Sandro und David sind gleich da."
"Mh", nehme ich zur Kenntnis, nippe an meinem Becher - vorsichtig, der Wein ist, wie sollte er es auch anders sein, glühend heiß.
Mal sehen, wer dieser David ist... Fesch soll er sein, laut Jessy... Ich zucke mit den Schultern, schaue mich um, lasse meinen Blick auf jedem der umliegenden Stände kurz ruhen, suche nach irgendetwas Interessantem. Bei einer Auslage voller Armbänder, Ketten und dergleichen bleibe ich hängen. Eventuell wäre ja was dabei für meine Mama? Aber ich bin zu weit weg, als dass ich wirkliche Details erkennen könnte.
"Du", meldet Jessy sich wieder: "Da drüben sind sie", und geht ihnen entgegen. Im ersten Moment sehe ich inmitten der grauen, einförmigen Besuchermasse kein bekanntes Gesicht, folge meiner Freundin notgedrungen, bis ich irgendwann Sandros typische, braunschwarze Snapback erspähe. Gleich hinter ihm, das muss dann wohl David sein. Gut gebaut, kräftige Schultern, die auf einen Sportler hindeuten, ein süßes Gesicht, eingemummelt in die Kapuze einer schweren, dunkelblauen Winterjacke. Und ein Lächeln im Gesicht, so als könnte es ewig währen und so, als würde ihm die eisige Kälte überhaupt nichts ausmachen... Okay, so auch ganz wieder nicht, denn auf der Spitze seiner Nase entdecke ich, ebenso wie auf seinen Wangen einen leichten Rotstich. Fesch ist eigentlich kein Ausdruck, obwohl Jessy sonst immer zu Übertreibungen neigt...
"Hi", trällert diese nun, schließt erst Sandro, dann David in eine schnelle Umarmung. Und nun fällt deren Blick auf mich.
"Ahm, hi", versuche ich Blickkontakt in Richtung David, dessen grüne Augen unverzüglich antworten.
"Hallo", setzt er zu einem Händeschütteln an, während ich auf eine Umarmung eingestellt war, hastig meine Pläne ändere, den Glühwein in die andere Hand gebe und seine ergreife. "David", stellt er sich vor. "Anna", erwidere ich: "Anna-Christina um genau zu sein." Er grinst: "Schöner Name...Wirklich!" Bevor er meine roten Wangen sieht, flüchte ich mich in eine knappe Umarmung mit Sandro.
"Ja...", stammle ich: "Ahm...", schaue hilfesuchend zu Boden und in alle sonst noch möglichen Richtungen, nur nicht in seine.
"Hey, da drüben gibt's Glühwein mit 'Feenstaub'. - Wollt ihr welchen?", rettet mich meine Freundin aus der misslichen Lage.
"Mh, ja", meint Sandro etwas zögerlich.
"Ist er das?", deutet David fragend auf die Tasse in meiner Hand.
"Jep."
"Darf ich mal probieren?"
"Ah...ja...hier", reiche ich ihm die Tasse.
Er nimmt sie mit beiden Händen entgegen, schaut mich über den Rand hinweg unentwegt an, während er einen kleinen Schluck nimmt.
"Mmmh...süß", ist er überrascht, gibt ihn zurück: "Aber ob ich jetzt den Glühwein gemeint habe, oder nicht, lasse ich jetzt offen..."
Ich lächle unsicher, bin froh über die zwischen uns durchmarschierende Jessy, übersehe aber nicht den vielsagenden Blick, der da von Sandro in Richtung David wandert, welcher jedoch eher abwehrt, als zustimmt...
Zurück an unserem Stehtisch fragt meine Freundin in die Runde: "Will jeder von euch einen?" Die zwei Jungs nicken. "Du nicht noch einen Anna?", schaut sie in meinen Becher. "Ja, doch", bestelle ich, kippe den letzten Schluck hinunter. "Gut, die Runde geht auf mich." Damit verschwindet sie in der Masse.
"Wie geht's in der Schule?", beginnt Sandro mit etwas Small-Talk.
"Gut, gut... Und bei euch?", lasse ich meinen Blick kurz Davids kreuzen.
"Ganz in Ordnung", meint dieser.
"Hm", setzt Sandro an: "Italienisch will nicht so ganz...aber sonst..."
Eine unangenehme Stille macht sich breit, wartet, gebrochen zu werden, aber nicht wirklich jemand will den Vorschlaghammer in die Hand nehmen, womit mir diese glorreiche Aufgabe zufällt und mich an David wenden lässt: "Bist du das erste Mal hier am Christkindlmarkt?"
"Ja, eigentlich schon."
"Und wo gehst du sonst hin?", schlage ich versuchsweise die Augen auf.
"Hm, mal hier, mal da..."
"Aha..." Er hat es überhaupt nicht mitbekommen!
"Hab ich es richtig gelesen, dass hier dann noch ein Perchtenlauf sein soll?", bringt sich Sandro ein.
"Ja...glaube da was gehört zu haben", antworte ich, zücke mein Handy: "Wart, ich schau schnell nach..." Nachrichten nein..., Bilder - ja - WhatsApp, ah, da ist ja das Plakat für heute Abend. Ich lege es auf den Tisch: "Ja, hier steht's."
"19.00 Uhr Perchtenlauf - 'Nordketten Pass' ", liest David vor, schaut auf die Handyuhr: "Das ist ja bald", schaut mich an, abschätzend, fragt allgemein: "Wollen wir hingehen?"
"Gerne", kommt es von Sandro und mir fast gleichzeitig zurück.
Er kichert: "Na dann."
In diesem Moment kommt Jessy zurück, balanciert mit einiger Mühe vier Becher voller Glühwein vor sich her, schlängelt sich durch die Menge.
"Warte, lass dir helfen", eilt Sandro ihr entgegen, nimmt ihr zwei Stück ab.
"Danke", greife ich nach meiner Tasse, nippe.

Die Blasmusiker verstummen. Schellen und Glocken hallen durch die Straße. Ein Ankünder ergreift das Mikrofon: "Werte Gäste des Christkindlmarktes Innsbruck! Begrüßen Sie nun zusammen mit mir den 'Nordketten Pass' mit ihrer alljährlichen Perchten- und Feuershow!" Wilde Rockmusik setzt ein. Das Klappern von Schellen und Klingen der unzähligen, kleinen Glocken wird fast ohrenbetäubend laut - obwohl wir doch ein gutes Stück weg sind vom Geschehen.
"Kommt, das schauen wir uns an", meint David, löst sich vom Tisch, auf dem inzwischen insgesamt sechst geleerte Becher stehen, lässt seinen Blick wohl nicht ganz unabsichtlich lange auf mir ruhen. - Eigentlich so lange, bis ich ihm folge, wir einige Schritte gemacht haben. Jessy und Sandro schließen sich uns irgendwann auch an.
Gerade noch finden wir einen Platz direkt hinter dem Absperrzaun, können auf Tuchfühlung gehen mit den in dunkles Fell gekleideten, mit wüsten Masken geschmückten Kreaturen. Sie tanzen wie ein unkoordinierter Haufen betrunkener junger Männer um das riesige Feuer in der Mitte, lassen ihre Schellen klappern, blassen in Hörner, werfen gelegentlich irgendwelches Zeug in die Flammen, sodass sie rot und grün brennen. Irgendwie ist es doch faszinierend, auf seine ganz eigene, unbeschreibliche Art und Weise.
Da fühle ich plötzlich kräftige Arme, die sich von hinten um mich legen, sich anspannen, mich zurückreißen, zurückbringen in die Realität, wegbringen von dem Teufel, der im vollen Lauf gegen den Zaun kracht, der sich ob der Wucht kräftig durchbiegt, den Perchten schlussendlich aber doch zurückprallen lässt.
Geschockt drehe ich mich um, schaue in Davids überraschtes, verdattertes Gesicht, der sich offenbar erst jetzt bewusst wird, was er getan hat, schnell seine Arme von mir löst: "Ich...ahm...also..."
"Danke", lächle ich ihn an, wende mich wieder dem Spektakel zu, taste hinter mir nach seinen Händen. - Er versteht und legt sie wieder um mich.
Und dass ich genau jetzt das Bild im Kopf habe, einen ganzen Korb quiek-lebendiger Schmetterlinge zu verschlucken, schreibe ich ganz sicher nicht ihm zu...nein...überhaupt nicht...

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