10 Eine Sache der Ehre (Harper)

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„Und wozu ist jetzt genau diese komische Pipette da?", fragte mich Cloe irritiert.

„Ein Gärröhrchen. Das benutzt man zur Herstellung von Alkohol oder ähnlichem, dadurch gelangt nämlich kein Sauerstoff an die Zellen, die folglich keine Atmung, sondern stattdessen Gärung durchführen müssen", erklärte ich ihr, während ich vertieft auf den Versuchsaufbau vor mir starrte.

„Aha", antwortete sie mir nicht gerade überzeugend vorgemacht, dass sie es verstanden hatte. Naturwissenschaften waren einfach nicht so ihr Ding: Sie konnte zwar aus dem Stehgreif einen zehnseitigen Aufsatz über jedes Zeitalter der Geschichte schreiben oder Fremdsprachen wie ein Muttersprachler sprechen, allerdings kapierte sie nicht viel von Komplexen, Energieumwandlung, Gravitationskraft oder anderswertigen wissenschaftlichen Bereichen.

Warum sie dennoch hier war? Sie war in der Schülerzeitung unserer Schule und hatte freiwillig den Auftrag übernommen, einen Artikel über unsere Forschungsarbeiten für den kommenden Sciencewettbewerb zu schreiben. Ihre Begründung für diese unverständliche Freiwilligkeit war gewesen, dadurch möglicherweise etwas dazu zu lernen, es als eine Art Nachhilfe in Naturwissenshaften sah, und mehr Zeit mit mir verbringen konnte. Aber ich wusste, das war lediglich eine Ausrede für den wirklichen Grund: Dieser war nämlich ein äußerst netter, sommersprossiger und intelligenter Typ, der zufällig Mitglied im Scienceclub war.

Bisher hatte mir Cloe ihre offensichtlichen Gefühle für ihn noch nicht gestanden, doch mal ehrlich, jeder Blinde mit Krückstock sah, dass sie bis über beide Ohren in ihn verknallt war. Und wie es der Zufall wollte, war auch dieser genannte Typ nicht gerade abgeneigt gegenüber ihr. Jeder, der die beiden anschaute, bemerkte das, bloß sie nicht, deshalb versuchte ich immer wieder dezente Andeutungen auf beiden Seiten zu machen ...

„Na, wie sieht es bei dir aus, wie hoch ist dein Alkoholwert?", fragte mich Miles, ein mittelgroßer Junge mit einem niedlichen Sunnyboylächeln inklusive Sommersprossen.

„So ungefähr bei zehn Prozent", schätzte ich beim Betrachten des Alkoholteststreifens. Andere mussten einen Alkoholtest am Wochenende auf dem Weg nach Hause von einer eskalierten Party machen, während wir Sciencegeeks ihn für unsere Studie über Ethanolwerteinfluss auf Zellen benutzten.

Da keine Antwort folgte, drehte ich mich zu ihm um. Den jetzigen Anblick hätte man herbeisehen müssen: Miles stand neben Cloe und war mit ihr in ein reges Gespräch versunken, währenddessen beider Münder ein schüchternes Lächeln zierte. Kein Wunder, dass wir keiner zuhörte, wenn beide in den jeweils anderen vertieft waren.

„Und wie weit bist du mit deinem Artikel?" Niedlich, wie er zwanghaft versuchte, ein Gesprächsthema mit ihr zu finden, um sie mit seinen graublauen Augen unauffällig verknallt anstarren zu können.

„Eigentlich ganz gut, eine Headline habe ich schon, habe nur ein Problem, wie ich eure Forschung beschreiben soll, wenn ich sie nicht einmal richtig verstehe", antwortete sie verlegen.

„Kein Problem, die werde ich dir natürlich erklären", lächelte er ihr verliebt zu. Ich ergötzte mich derweilen abwechselnd an dem amüsierenden, gleichzeitig zum Dahinschmelzen kitschigen Schauspiel und meiner perfekt gelungenen Versuchsdurchführung.

„Harper, würdest du mal ganz kurz herauskommen, da will dich jemand sprechen", teilte mir Nick, ein Blondschopf eine Klassenstufe unter mir, von der Seite aus mit.

Ich wendete meinen Blick von meinem Experiment ab. „Wer denn?" Er lächelte darauf nur peinlich berührt und deutete nach draußen. Wie ich diese Heimlichtuerei hasste.

„Ich geh mal kurz vor den Raum", gab ich den beiden Turteltäubchen Bescheid. Sie bemerkten mich selbstverständlich nicht. Ich verdrehte die Augen: Wenn sie jetzt schon so abgelenkt voneinander waren, wie wäre es erst, wenn sie richtig zusammen wären?

Nerd vs. Athlete - Geek vs. Player I : Liebe auf den nicht ganz ersten BlickWhere stories live. Discover now