Kapitel 1 【Blake】

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Wochenende, ich brauche dich!

"Nein", antwortete Amy mit einem dreisten Lächeln auf den Lippen und stichelte hörbar mit etwas Hohn in der Stimme weiter, "Jetzt bist du wenigstens wach."

Ich überschlug mich beinahe vor Aufregung und brachte einige Atemübungen hinter mich und verschaffte mir etwas Ablenkung, indem ich nach draußen blickte.

Von den Dachrinnen tropfte Nieselregen hinein und hinterließ unübersehbare Pfützen, die die Heizung hinab rannen und einen kleinen Teil des sandfarbenen Laminats aufquellen ließen. Straßenlaternen erhellten die dunklen Gassen, welche draußen auf uns warteten und jeden Langfinger nach einem Sommerschlussverkauf zufriedenstellen konnten, was nicht allzu selten passierte, denn wir fielen einem solchen auch einst zum Opfer.

Ein allseits bekanntes Glucksen zog mich wieder in den Vordergrund. "Ziehst du dich auch an oder brauchst du dafür noch ein Glas?"

Irgendwann werde ich sie umbringen. Oder nein, als beste Freundin darf man ja so was nicht... Deshalb beschloss ich, sie einfach mitten in der Natur auszusetzen. Weit weg, in einem fremden Land ohne Wasser und Klo. Sie müsste sich dann von Insekten ernähren und ich würde ihr dabei genussvoll mit einem riesigen Teller Nachos zusehen - mit Käsesoße versteht sich.

Manchmal fragte ich mich, ob ich mit solchen Gedanken alleine war.

"Lass mich einfach!" Ich schüttelte müde den Kopf und gab mir alle Mühe, mir diese Antriebslosigkeit auszutreiben, was auch nur bedingt klappte.

Ohne großartig übertriebene Anstalten zu machen, nahm ich die Anziehsachen, schmiss meine Schlafkleidung ebenfalls unter ihr Bett, stockte kurz, als ich Nachbar Theo winkend bei sich auf dem Balkon erwischte. Dann zeigte er einen Daumen nach oben in unsere Richtung, worauf ich schief grinsend meinen Mittelfinger hob und im Augenwinkel erkannte, dass auch Amy nur in Unterwäsche dastand. "Jetzt haben wir auch noch Zuschauer, mach endlich das Fenster zu."

Auch sie zuckte erschrocken zusammen. Schließlich verdeckte sie uns etwas mit dem Vorhang und entschuldigte sich für das merkwürdige Verhalten ihres Nachbars, ein Witwer mit einem sichtlich großen Interesse für siebzehnjährige Mädchen und das dereinst erschossene Wild, nun ausgestopft als Präparat, tief in Theos Keller.

"Der Typ ist echt eklig", lachte ich trocken auf und verschwand im Badezimmer. "Ach scheiße, jetzt müssen wir uns wieder die Schminke teilen."

Amy zog sich ein grünes Top über ihre schlanke Silhouette und lugte durch den Türrahmen zu mir. "Wir haben Zeitdruck und du denkst noch ans Schminken?"

"Dann kommen wir eben zu spät." Sachte zog ich mir einen Lidstrich und bemühte mich dabei meine tiefen, dunklen Augenringe zu ignorieren, "Die paar Minuten können wir uns auch sparen, ich hab nicht mal gefrühstückt."

Ohne vernünftiges Frühstück aus dem Haus gehen oder nicht einmal auf dem Weg zu einem sein, ja das wäre der Beginn der Hölle für mich.

Bei Amy dagegen war das ganz anders: sie verzichtete beinahe schon gezwungen auf ihren morgendlichen Snack. Einmal hatte ich verständnislos zu ihr gesagt, dass ich vor Bauchweh und Übelkeit sterben würde, aber sie meinte nur, dass es bei ihr genauso wäre, nur, dass es eben am Essen lag.

"Brötchen haben wir sowieso nicht. Mein Gott, wenn Mom und Dad einmal nicht da sind."

Was für Brötchen? Einen fast verbrannten Toast mit einem halben Glas Nutella und ich bin glücklich!

Nebenbei muss ich erwähnen, dass unsere beiden (!) Kochkünste meiner Meinung nach miserabel sind, deshalb habe ich auch keine allzu großen Erwartungen. Amy und ich bevorzugen es sowieso eher außerhalb Essen zu gehen, zum Beispiel bei Lucía.

Augenblicklich erschien Amy neben mir. Sie schnappte ihre pinke Zahnbürste und begutachtete aufmerksam mein Kunstwerk. Dafür, dass es in Eile erschaffen war, konnte ich wirklich zufrieden mit dem Ergebnis sein.

"Mach dir doch nicht so einen Stress dadurch, der blöde Mr. Miller meckert so oder so."

Unser Sportlehrer würde, wenn es einen Preis für das Kommandieren und Meckern gäbe, eine Goldmedaille gewinnen. Zweimal in der Woche präsentierte er uns äußerlich wirkend kindgerechte Spiele, doch in Wahrheit erschienen sie mir wie Foltermethoden. Ich hasste Sport wie die Pest.

"Es geht mir doch nicht darum", entgegnete sie und war nun dabei ihre blonde Mähne zu bändigen, während ich dafür wegen mangelnder Haarbürste meine Finger verwendete, "Ich bin noch nie zu spät gekommen. Weißt du, wie schlecht sich das in unserer Bewerbung macht?"

Da hab ich sowieso schon verkackt, dachte ich und ließ das Ganze unkommentiert. Dad hatte recht, manchmal war Schweigen wirklich Gold.

Schließlich hechteten wir wie zwei Verrückte in die Küche, schnappten unsere Schultaschen, die an der weißen Küchentheke angelehnt waren, und warfen sie lässig, wenn auch unbequem über unsere Schultern.

Amy verzichtete, wie bereits erwähnt, auf ihren Happen Brot, während ich mir einen Schokoriegel aus dem Kühlschrank zugutekommen ließ und nach der Flasche Cola griff, die eigentlich für ihren Vater, Harper, bestimmt war. Dieser plante sowieso im neuen Jahr eine Diät zu beginnen, da konnte er genauso gut auch jetzt damit anfangen.

Ich steckte die Flasche in die Seitentasche meines schwarzen Stoffrucksacks und blickte zu meiner Freundin, die sich hektisch ein Körnerbrot mit dem selbst gemachten Sellerie-Nuss Aufstrich ihrer Mutter, Madison, beschmierte. Ich musste zugeben, dass dieser nicht ganz so schlecht schmeckte, doch als sie den unreifen Apfel dazu steckte, überdachte ich noch einmal ihren angeblich existierenden Geschmack.

Hastig schloss sie die Haustür ab und rannte mit mir durch die schönsten Straßen Greenville Citys, die wir leider, leider links liegen lassen mussten.

Obwohl ich Joggen überhaupt nicht leiden konnte und es auch nicht gewöhnt war, machte ich, meiner Meinung nach, eine erstaunlich gute Figur.

Okay seien wir ehrlich, nach etwa drei Minuten schleppte ich triefend nass hinter Amy her - bemüht dabei, nicht den Anschluss zu verlieren.

"Warte, ich - oh Gott", schniefte ich und stützte mich geschafft an meinen Oberschenkeln ab, "brauch eine Pause, sonst fall ich um."

Verzweifelt kam Amy ein paar Schritte zu mir zurück und stöhnte ebenfalls angestrengt, fuhr sich über die verschwitzte Stirn und tastete dessen Wärme mit der Handfläche ab.

Ein dröhnender Motor überraschte uns in der Niederlage, kam näher auf uns zu, heulte auf. "Ich glaub', ihr braucht 'ne Mitfahrgelegenheit."

I Don't Know WhyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt