Sieben

28.3K 1.9K 87
                                    

„Caja, Caja wach auf. Alles gut, es ist alles gut.“ Nichts. Nichts ist verdammt nochmal gut. Da pulsiert viel zu viel in meinem Körper, da tut viel zu viel weh, um sagen zu können, alles sei gut. Ich liege auf einer dunkelledrigen Couchlandschaft und das von vorhin – Halluzinationen? - scheint wie weggeblasen. Wie viel Zeit wohl verstrichen ist? Minuten? Stunden? Tage? Nein, dann hätte ich mehr Hunger. Obwohl ich den ehrlich gesagt seit Tagen nicht mehr verspüre. Da ist Leere, ja, aber es stört mich nicht sonderlich. Die Stellen, also alles, an meinem Körper die schmerzen lenken mehr Aufmerksamkeit auf sich. Casper sitzt neben mir, der Ausdruck sehr neutral. Er sagt nichts, zunächst. Er hat eine Wasserflasche in der Hand und lässt sie zwischen den Fingern hin und her wandern. Mir wird schwindelig von so viel Bewegung.

„Trink was.“ Obwohl er mir hilft, scheint er gar nicht interessiert an meinem Befinden. Gut, er weiß es ja eh, aber dieser Blick, mit dem er mich mustert scheint so unglaublich leer. Das Wasser schmerzt, meine Brust schmerzt und meine Wangen tun weh. Heulen bringt nichts, das lässt ihn eh kalt. Und ich bin es leid, nach seinem Mitleid zu flehen. Wie lange bin ich schon von Zuhause weg und wie oft war er in dieser Zeit gnädig? Ja, er hat mir das Leben gerettet, als er mich aus dem Wasser zog. Aber erstens wäre ich lieber ertrunken und zweitens hätte er das niemals tun müssen, wenn er mich nicht entführt hätte. Die Gründe sind mir immer noch schleierhaft. Zufall? Ich kann es nicht verstehen. Ich weiß nur eins: Er wird mich nicht sterben lassen. Sei es, weil er Spaß daran hat, mich zu demütigen, oder einfach aus Angst vor den Konsequenzen. Mord wird doch bestimmt härter bestraft, als Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Und wenn ich nicht sterben darf, dann muss ich versuchen zu leben. Es ist schier unmöglich weiterhin in dieser Lage zu existieren. Ich muss hier weg. Doch wenn ich mal realistisch bleibe, dann wird eine Flucht unmöglich, solange Casper lebt. Er würde mich einholen binnen Minuten. Und ich will mir nicht ausmalen, was dann geschieht. Zumindest sollte ich bewaffnet sein, wenn ich hier raus komme. Er sitzt immer noch neben mir und hält die Flasche fest. Mein Plan ist irrsinnig und wird wohl nicht funktionieren, aber er ist eine Chance. Ruckartig fahre ich hoch und das Wasser ergießt sich über mein Oberteil. Casper verkneift sich einen bösen Kommentar und stellt die Flasche auf den Couchtisch.

„Ich hole dir ein sauberes Shirt“, murmelt er nur und steht auf. Ich höre es auf einer Treppe poltern und weiß, dass der Moment gekommen ist. Jetzt, genau jetzt. Meine Beine tun schon nach wenigen Metern laufen weh, aber ich kann jetzt nicht anhalten. Das Wohnzimmer ist riesig, ich brauche ein Messer. Humpelnd schleppe ich mich an einem großen Tisch und einem Aquarium vorbei und schaffe es in die angrenzende Küche. Mein Trommelfell vibriert, mein Kopf dröhnt. Ich höre es laut knallen, als ich die Schubfächer aufreiße, bis ich endlich die lange Schneide finde. Der Griff in meiner Hand ist fremd, aber er vermittelt mir ein kühles Gefühl der Sicherheit. Als ich mich umdrehe, bleibt mir das Herz stehen. Casper steht unmittelbar hinter mir. Die Knie leicht gebeugt, die Hände vor gehalten. Er war so kurz davor. Ich keuche laut auf und stolpere einige Schritte nach hinten. Das Messer in meiner Hand abwehrend vor mir, versuche ich meine Angst zu unterdrücken.

„Caja...“, flüstert er und will auf mich zugehen, aber ich spanne den Arm an und hole aus. Er kann der Klinge ausweichen, schafft es aber mit dem Fuß meinen Magen zu treffen und mich nach hinten gegen die Küchenzeile zu schubsen. Das Messer, das locker dreißig Zentimeter lang ist, rutscht mir aus der Hand und landet auf den Fliesen. Einen Atemzug lang rührt sich niemand, bis wir uns beide auf die Erde stürzen. Meine Rippen brennen, die Luft wird schwach. Er schlägt meinen greifenden Arm weg und zieht mich nach hinten. Er will über mich rüber klettern und das Messer holen, aber ich ramme ihm meinen Ellbogen in die Körpermitte.

StockholmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt