Verkleidung

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Verkleidung

„Hast du unseren Nachbarn eigentlich schonmal gesehen?“

„Welchen?“ Meine Frau schaute von ihrer Zeitung und sah mich über den Frühstückstisch fragend an. Ich weiß, ein wenig untypisch, aber bei uns ist sie eben die Zeitungsleserin.

Ich nickte Richtung Fenster, direkt hinter unserem kleinen Garten stand dieses alte, ziemlich verwahrlost aussehende Haus. Bröckelnde, schon mehr oder weniger vergilbte Fassade, die Fensterläden waren immer verschlossen, soweit ich mich erinnern konnte und im Garten wucherte das Unkraut.

Meine Frau drehte den Kopf, es war eigentlich klar, welche Nachbarn ich meinte, die anderen traf man alle hin und wieder mal vor der Haustür oder sah sie im Garten.

„Ich wäre mir nicht einmal sicher, ob da überhaupt noch jemand lebt. Hatte nicht irgendjemand erzählt, in dem Haus wohnt nur so ein alter Mann? Vielleicht ist er ja gestorben und verrottet jetzt auf seinem Schaukelstuhl.“ In solchen Momenten fragte ich mich immer, ob ich sie damals auch geheiratet hätte, wenn ich in die Zukunft sehen könnte. Bei dem Gedanken musste ich irgendwie schmunzeln. Ich sah sieh an, sie las wieder in ihrer Zeitung, wie es aussah, den Wirtschaftsteil. Nochmal untypisch. Dann trank sie ihren letzten Schluck Kaffee, naja, sie schlürfte ihn, und legte die Zeitung weg.

„Ich muss dann, tschüss Schatz“, sagte sie und stand hastig auf.

Kein Abschiedskuss, nicht einmal ein kitschiges „Hab dich lieb“, sie ging einfach. Aus unserer Beziehung ging irgendwie die Luft raus, sie hatte sich für die große Karriere entschieden, Kinder waren bei uns überhaupt nie Diskussionsthema gewesen. Na gut, ich hatte als Schriftsteller auch nie wirklich Zeit. Im Gegensatz zu ihr aber leider auch keinen Erfolg.

Mein Blick wanderte nachdenklich wieder zu dem Haus nebenan. Ich müsste eigentlich auch arbeiten, aber ich habe heute einfach keinen Antrieb. Ich hörte die Garagentür, wenig später fuhr der silberne Mercedes meiner Frau die Straße entlang.

Ich überlegte, wen ich nach dem Mann nebenan fragen könnte, jetzt meinte ich auch, mich erinnern zu können, wie jemand, als wir hier frisch eingezogen waren, einmal nebenbei erwähnt hatte, dass nebenan „so ein seltsamer Rentner“ wohnen sollte.

Ich trank auch meinen Kaffee aus, entschloss mich, mich an die Arbeit zu machen. Auf halbem Weg aus dem Zimmer blieb ich dann aber stehen, was soll´s, ich hatte eh keine Lust, jetzt was zu machen, also räumte ich erst noch die Teller und die Kaffeetassen in die Spülmaschine.

Oben vor meinem PC lenkte mich dann wieder ständig der Gedanke an das Nachbarhaus ab. Ich sah es die ganze Zeit im Augenwinkel durchs Fenster, wenn ich auf meinen Bildschirm starrte. Nach zwei Stunden gab ich es auf. Alles, was ich in meinen Rechner tippte, las sich schlechter als die Hausaufgaben eines Viertklässlers.

Ohne viel darüber nachzudenken, stellte ich mich ans Fenster, öffnete es, um ein wenig frische Luft zu bekommen und betrachtete wieder dieses... Geisterhaus nebenan. Mein Zeitgefühl verschwand ein wenig, ich musste eine halbe Ewigkeit dagestanden und die grünen Fensterläden angestarrt haben, die wirklich schon immer zu waren, seit wir hier wohnten, wenn ich so drüber nachdachte.

Irgendwann kam eine Frau aus dem Haus auf der anderen Straßenseite in den Garten und schien die hecke zu stutzen oder so ähnlich.

Die müsste den Typen nebenan doch bestimmt schon einmal gesehen haben...

Wie hieß sie nochmal? Verdammt, wir hatten nie besonders viel Kontakt mit den Nachbarn. Es hatte damals so eine Art kleine Willkommensfeier für uns gegeben, aber mit den meisten aus der Straße habe ich seitdem nicht mehr geredet. Meine Frau war da noch schlimmer, ich wette, die wüsste nicht einmal, wer von den Nachbarn Kinder hatte und wer nicht.

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