Fünftes Kapitel

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„Was Du sprichst, das halt.

Gebrochenes Versprechen

ist gesprochenes Verbrechen." – Friedrich Rückert

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Es brauchte nicht einmal 24 Stunden, bis mich die nächste Nachricht erreichte. In Mayfield haben mich in einem Monat nicht so viele Menschen kontaktiert wie jetzt. Widerwillig fischte ich mein Handy aus der Regenjackentasche und sah auf das Display. Dr. Hobbs. Ich runzelte die Stirn. Seit wann schreibt er denn schon um drei Uhr in der Früh? Trotz oder vielleicht gerade wegen dieses Überraschungseffekts machte ich die Nachricht auf, während ich mir einen Schluck von meinem Espresso genehmigte.

Dr. Codie Miller, Oberärztin der Pathophysiologie

Station 12B, OST, St. Richmond Hospital, Braxton

Bitte gehen Sie zu ihr. Miller ist eine ehemalige Studienkollegin von mir und wird sich um Sie kümmern. 15:00-16:00, heute!

Ich wusste, dass Dr. Hobbs schon immer sehr zielstrebig in seinem Tun gewesen war, doch dass er so schnell seinen Worten Taten folgen ließ, hätte ich bei bestem Willen nicht gedacht. Zum einen war ich froh, denn es wurde mir erneut bewiesen, dass Dr. Hobbs eine gute Seele war, die ihr Versprechen immer einhielt. Zum anderen wollte sich dadurch meine Laune aber nicht heben. Ich wollte unabhängig sein und meinen eigenen Weg gehen. Durch diese Aktion wurde mir dabei leider nur verdeutlicht, dass ich niemals ein normales Leben führen könnte. Es war einfach hoffnungslos. Und dass ich jetzt regelmäßig ins Krankenhaus gehen müsste und sich wieder alles im Kreis drehen würde, anstatt alle Sorgen zu vergessen und neu durchzustarten, machte es nicht wirklich besser.

An meinem Kaffee nippend versuchte ich mich, auf heute einzustellen. Ich ließ meinen Blick schweifen und beobachtete durch die Fensterscheibe die zwei Frauen, die noch immer am Tisch saßen und redeten. Obwohl es allem Anschein nach ein etwas ernsteres Gesprächsthema war, grinste manchmal eine von ihnen. Die haben bestimmt keine allzu großen Sorgen. Je länger ich ihnen zusah, desto trauriger wurde ich. Wieso konnte ich nicht so ein unbeschwertes Leben haben wie sie? In diesem Moment blickten sie zu mir hinüber. Ich vergaß vollkommen, dass ich sie nur indirekt von dem Fenster aus sah und wandte meinen Kopf rasch zu meiner nun schon leer getrunkenen Tasse. Meine Verlegenheit war kaum zu übersehen. Aber nach einigen Augenblicken packte mich die Neugier und ich schaute wieder zu der Reflexion. Beide lächelten. Es war, als würden sie genau wissen, dass ich sie beobachtete, und im passenden Winkel hinüberschauen. Ich wusste nicht genau, was ich machen sollte, und deswegen spiegelte ich ihr Verhalten. Ich grinste, so gut es ging, zurück. Doch das Lachen verflog bald wieder aus meinem Gesicht, als ich bemerkte, dass sie lediglich Augenkontakt mit der Bedienung aufgesucht und dies erfolgreich gemeistert hatten. Dieser kam auf der Stelle zu ihnen hinübergehuscht und fragte nach weiteren Wünschen. Nachdem sie die Rechnung verlangt und gezahlt hatten, nahmen sie ihre Mäntel und verließen das Restaurant. Ich sah ihnen noch nach, bis sie die Kreuzung überquerten und wurde rot. Ein solches Missverständnis war mir seit langem nicht mehr unterlaufen und obwohl es keiner mitbekommen hatte, war mir die ganze Situation äußerst peinlich. Ohne auf den Kellner zu warten, nahm ich wie beim letzten Mal einen 10 Dollar Schein aus meiner Hosentasche und legte das Geld auf den Tisch. Dann zog ich mir meine Regenjacke wieder an und verschwand so schnell wie möglich.

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Der hellgraue, fast weiße Nebel wanderte meinen Rachen hinunter und beruhigte mich. Für zwei Fauxpas in zwei Tagen – wenn man den Ankunftstag nicht mitzählte – und das noch im selben Restaurant müsste man fast schon einen Preis dafür bekommen. Und der Gewinner der wöchentlichen Fehltritt-Meisterschaft ist: Ben Nolan. Herzlichen Glückwunsch. Den ganzen Weg über machte ich mir Gedanken darüber, ob ich überhaupt noch einmal einen Fuß ins Timetravel setzen sollte. Mag sein, dass die Kunden dort jedes Mal in eine andere Zeit hineinversetzt wurden, aber mir kam es so vor, als wäre ich der einzige, der in der tristen Gegenwart steckenblieb. Wieder nahm ich einen Zug. Jetzt stand ich am Fenster, schaute zu der verblassten Außenfassade des gegenüberliegenden Gebäudes, und lauschte der leisen Stimme, die aus dem Radio kam. Am I wrong for saying that I choose another way? Irgendwie musste ich daraufhin schmunzeln, obwohl ich nicht wusste, warum. Wahrscheinlich war das auch die Antwort: Ich wusste es nicht. Die Zigarette zwischen meinen Fingern wurde immer kleiner. Als ich tief einatmete, glühte das verbrannte Ende kurz in einem bedrohlichen Rot, bevor es wieder die Farbe der Wolken annahm, die gerade am Himmel vorbeizogen. Regen. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ich fühlte mich wie einer dieser Personen in diesen Hollywood Filmen, die alles verloren hatten oder bei denen alles schief lief. Der Unterschied lag nur an der Zukunft. In Hollywood Filmen wurde immer alles wieder gut. Das wusste man einfach. Aber die Realität sah anders aus. If you tell me I'm wrong, I don't wanna be right.

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⏰ Last updated: Dec 29, 2017 ⏰

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