Rule one| Friday Night

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Aber ich wollte das nicht länger. Sei seine Stimme noch so schön, ich konnte ohne sie leben. Ich wollte doch auch ohne sie leben. Ich wollte nicht einfach nur von ihm benutzt werden, wie es ihm gerade beliebte. Egal, wie schön seine Stimme klang, ich hatte Gefühle und war nicht länger dazu bereit, mich herumschubsen zu lassen.

Dafür hatte ich die Regeln doch überhaupt aufgestellt. Damit ich nicht länger herumgeschubst wurde. 

Und die erste meiner Regeln besagte, dass ich verdammt nochmals nicht ran ging, wenn er mich anrief. Er rief mich nur an, wenn er betrunken und einsam war. Wenn er niemand anderen hatte, als mich. Ich war nicht bereit, weiterhin ein Lückenbüsser zu sein. Er konnte sich ruhig jemand anderen suchen, den er ständig anrufen konnte, wenn er alleine war. 

Das Klingeln brach ab, sodass ich aus meinen Gedanken gerissen wurde. Perplex starrte ich den Screen noch eine Sekunde an, bis ich begriff, dass sich wohl die Mailbox eingeschaltet haben musste, da ich es einfach durchklingeln lassen hatte.

Ein Seufzen entkam meinen Lippen. Ich fühlte mich seltsamerweise schlecht.

Ich war nicht ran gegangen, das war meine Regel gewesen, die hatte ich erfüllt. Aber was musste er nun wohl denken? Er war sicher verwirrt, immerhin ging ich immer beinahe sofort ran, wenn er mich anrief. 

Nur dieses Mal nicht. Nicht mehr.

Ich legte mein Handy zurück auf den Esstisch und umrundete dann diesen, um in die Küche zu gelangen. Meine Kehle fühlte sich unfassbar trocken an, ich brauchte etwas zu trinken. Ich hatte allerdings gerade mal ein Glas hervorgeholt, dass ich gerade auffüllen wollte, als mein Handy wieder zu klingeln begann.

Ich zuckte bei dem plötzlichen Geräusch zusammen und hielt für einen Moment die Luft an, bevor ich überlegte, ob ich es wieder einfach durchklingeln liess, mir ein Glas Wasser gönnte, oder ob ich-

Durchklingeln lassen. Ich hatte Regeln aufgestellt. Nichts mit rangehen, ich würde gar nicht ran gehen. Ich würde kein einziges Mal mehr rangehen, wenn er anrief. Er rief nur an, wenn er betrunken und allein war, das hielt ich mir wieder vor Augen. Ich war nur ein Lückenbüsser für ihn. 

Und das wollte ich nicht mehr sein, also musste ich ihn loswerden, also würde ich Scheisse noch eins nicht an dieses verdammte Handy gehen und den Anruf annehmen!

Wieso war es aber so schwer, dem Drang zu widerstehen?! Ich wollte rangehen. Ich wollte seine Stimme hören, ich wollte, dass er herkam.

Aber irgendwie wollte ich es auch nicht. Ich wollte nicht schon wieder verletzt werden, wenn er am nächsten Morgen wieder einfach verschwunden war. Es tat weh, in einem leeren Bett aufzuwachen, wo ich doch in Gesellschaft eingeschlafen war. Ich fühlte mich benutzt und weggeworfen, wie ein Spielzeug, dass nicht mehr gut genug war.

Und dennoch wollte ich ihn in meiner Nähe wissen. Freitag war der einzige Abend in der Woche, in der er überhaupt erreichbar war. Anfangs hatte ich ihn angerufen an anderen Tagen. Er ging nicht ein einziges mal ran. Keine SMS, kein Anruf. Nur Freitags rief er mich an. Und ich wollte die Gelegenheit, ihm nahe zu sein, nicht einfach verstreichen lassen, 

Aber ich wollte auch nicht verletzt werden. Das Problem war nur, dass ich beides nicht auf einmal haben konnte. Entweder ich würde ihn weg stossen oder mich verletzen lassen.

Ich seufzte tief, stellte das Glas auf der Küchenanrichte ab und bewegte mich mit grossen Schritten zurück zum Esstisch, um das Handy aufzugreifen und beinahe wütend auf den Screen zu starren.

Er.

Er konnte mich mal! "Ich bin nicht dein Spielzeug", murmelte ich leise vor mich hin, ehe ich tatsächlich, fast schon aggressiv das rote Tastenfeld antippte und das Klingeln so abrupt verstummte.

Doch kaum war es verstummt, fühlte sich mein Herz schwerer und schwerer an. Ich hatte ihn tatsächlich weggedrückt, hatte meine Regel befolgt und dennoch stellte es mich nicht zufrieden.

Gott, wieso war ich nur so pathetisch? Ich sehnte mich nach einer Person, die mir nur Schmerz zufügte, versuchte ihr zu widerstehen und scheiterte dabei kläglich. Die Wahrheit war, dass ich ihm schon viel zu sehr verfallen war, um ihn einfach aus meinem Leben zu verbannen und ihn ignorieren zu können. Ich liebte seine sanften Berührungen auf meiner Haut, liebte seine Stimme, liebte alles an ihm und was er mit mir anstellte, solange er da war.

Aber umso mehr schmerzte sein Verschwinden am folgenden Morgen. Und diese Schmerzen wollte ich nicht immer wieder haben, selbst wenn ich doch vorbereitet auf sie sein müsste. Es war jedes Mal wie ein Schlag ins Gesicht, wenn die Seite neben mir leer und kalt war.

Wieder durchbrach das Klingeln die Stille in meiner Wohnung. Ich schluckte leer und starrte mit ausdrucksloser Miene auf den Screen. Wieder er.

Wieder die zwiegespaltenen Gefühle, die in mir tobten. Mein Verstand sagte mir, dass ich nicht einmal daran denken sollte. Ich sollte mir meine Regeln vor Augen halten, ich sollte ihn ignorieren, um den Schmerz zu vermeiden. Wenn ich immer nur unter ihm war, würde ich nie über ihn hinwegkommen. 

Mein Herz aber machte mir Hoffnungen; was wenn es diesmal nicht so war? Wenn er diese Nacht blieb, sodass ich morgens tatsächlich neben ihm aufwachen würde? 

Und selbst wenn nicht, was waren die Schmerzen schon, im Vergleich zu den atemberaubenden Gefühlen, die er in mir auslöste, wenn er da war? Er löste Dinge in mir aus, die niemand sonst auslösen konnte, liess mich gut fühlen, da konnte ich den Schmerz doch eigentlich verkraften?

Hin und her gerissen musterte ich die beiden Buchstaben, die mir sagten, wer anrief, kaute dabei wieder auf meiner Unterlippe herum und seufzte schwer. 

Ich war wirklich pathetisch. Und vermutlich auch verdammt masochistisch.

Diesmal ging ich ran.

New Rules [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt