Kapitel 6

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Ich blieb vor der Haustür stehen und runzelte die Stirn. War Mary etwa doch schon da? Aber das konnte nicht sein, denn ihr Auto war nirgends zu sehen. Außerdem vergaß sie nie, die Tür zu schließen. Die Tür, die ich anstarrte, stand jedoch einen Spalt offen. Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich schaute mich beunruhigt um.

Langsam öffnete ich die Tür, immer auf der Hut, dass jeden Moment irgendjemand hervorsprang und mich niederschlug.

Ich schloss die Tür hinter mir und machte das Licht an. Mein Blick schweifte durch den Flur, welcher aussah, wie immer. Ich ging weiter ins Haus und lugte ins Wohnzimmer, in welchem die kleine Tischlampe leuchtete, bei welcher ich mir sicher war, dass ich sie ausgemacht hatte. Schließlich blieb mein Blick an einer Silhouette, welche am Fenster stand.

Diese Person kam mir so bekannt vor. Ich trat ungeachtet aller Konsequenzen weiter ins Wohnzimmer hinein und konnte den Blick nicht von der Person vor mir nehmen. Meine Schritte hallten Laut in dieser Stille wider. Langsam drehte sich die Gestallt um und mir fuhr der Schock in die Glieder, als ich sah, wer dort vor mir stand. Das konnte nicht sein.

Wie war das möglich?

„Sher..Sher...Sherlock.", presste ich heraus.

Der Consulting Detective schaute mich mit diesen Augen an, die ich so vermisst hatte.

„Wie hast du? Wieso bist du? Wie ist das möglich?", meine Stimme war nur noch ein flüstern und ich traute mich nicht den Blick von ihm zu nehmen, aus Angst, er wäre im nächsten Moment wieder verschwunden.

Langsam kam er auf mich zu. Ich hatte Angst. So schreckliche Angst, dass er sich in der Sekunde, in der ich ihn berührte, auflöste und verschwandt. Ich wollte nicht, dass dies eine meiner Illusionen war. Ich wollte nicht, dass er verschwand! Reflexartig trat ich einen Schritt zurück, woraufhin Sherlock mich verwirrt ansah.

Stumm starrten wir uns an. Keiner brachte ein Wort heraus und keiner bewegte sich.

War dies wirklich Sherlock? Ich konnte mir dies einfach nicht vorstellen. Wie sollte dies möglich sein? Prüfend betrachtete ich den Mann vor mir und versuchte Details zu finden, die nicht zu Sherlock passten. Doch alles war so, wie ich es in Erinnerung hatte.
Mir stiegen Tränen in die Augen. War es letztendlich nicht total egal, wie er es geschafft hatte? Ich begann mich über mich selbst zu ärgern. So lange Zeit hatte ich gehofft, dass er zu mir zurückkommen würde und jetzt, wo es passierte, zweifelte ich, ob er wirklich bei mir war.

Entschlossen machte ich den ersten Schritt auf ihn zu und ehe ich auch nur überlegen konnte stürmte ich auch schon auf ihn zu und schloss ihn in eine feste Umarmung.

„Ich habe dich so vermisst.", schluchzte ich in seinen Mantel, während er langsam seine Arme um mich schloss und mir sanft den Rücken streichelte.

„Alles ist gut, John. Jetzt ist alle wieder gut. Ich bin wieder da."

Ich schluchzte erneut auf, als ich die tiefe sanfte Stimme meines Freundes hörte.

„Bitte sag mir, dass das kein Traum ist. Dass ich nicht gleich aufwache und du wieder fort bist."

„Ich bin es wirklich. Sieh mich an John. Ich bin wirklich hier."

Ich schaute hoch in sein Gesicht. Konnte die Trauer auch in seinen Augen sehen. Ich legte eine Hand an seine Wange. „Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich vermisst habe?", flüsterte ich, während ich näher mit meinem Gesicht, dem seinem kam.

„Nicht so sehr, wie ich dich vermisst habe.", flüsterte Sherlock und kam mir mit seinem Gesicht nun ebenfalls entgegen. Die Luft zwischen uns war wie elektrisiert, als wir uns immer weiter mit unseren Gesichtern einander näherten. Es fehlten nur noch millimeter, bis sich unsere Lipppen treffen würden, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und Mary im Wohnzimmer stand.

Wir sprangen auseinander, doch sie hatte trotzdem gesehen, was vor sich ging und es war nicht schwer zu erraten, was passiert wäre, wäre sie nicht eben in diesem Moment hereingekommen.

Ihr Gesichtsausdruck zeigte erst Verwirrung, dann Ungläubigkeit und zuletzt Wut.

„Ich wusste es. Die ganze Zeit über sagst du mir, dass nichts zwischen euch war! Sagst, dass dieTräume nichts zu bedeuten haben! Und jetzt finde ich dich hier mit ihm in unserer Wohnung! Und versuch nicht herunterzuspielen, was gerade passiert ist! Ich weiß, was ich gesehen habe!", rief sie erbost.

„Mary ich...", begann ich, doch ich wurde von ihr unterbrochen.

„Nein! Ich will nichts von dem hören, was du mir erzählen willst! Pack deine Sachen und verschwinde! Ich will dich nie wiedersehn!"

„Aber..."

„Geh! Und lass mich in Frieden!", schluchzte sie.

„Du hast ein Stunde, um deine Sachen zusammenzupacken und zu verschwinden!"

Mit diesen Worten drehte sich meine Freundin, naja jetzt wohl eher Exfreundin, um und verschwand durch die noch immer offenstehende Haustür.

Seufzend vergrub ich mein Gesicht in den Händen. „Oh je. Was habe ich nur angerichtet? Was mache ich jetzt nur?", murmelte ich vor mich hin, „Das ist momentan alles so verwirrend. Ich weiß gar nicht was ich machen soll."

Beruhigend strich mir Sherlock über den Rücken.

„Wenn du willst, kannst du wieder zu mir ziehen.", antwortete er mir und schaute mich fragend an.

„Du meinst... Du wohnst wieder in der Bakerstreet?", fragte ich ungläubig.

Sherlock grinste, als er meinen überraschten Gesichtsausdruck sah.

„Ja. Ich bin gestern hingefahren und habe bei Mrs. Hudson geklingelt und sie gefragt, ob es möglich wäre, wieder bei ihr einzuziehen."

„Die arme Frau!"

„Ja sie hat mich ziemlich geschockt angestarrt, hat angefangen herumzuschreien und danach loszuweinen."

Ich musste grinsen:"Mein Gott, Sherlock du kannst sie doch nicht einfach so erschrecken!"

„Was hätte ich denn sonst machen sollen?", verteidigte er sich.

„Keine Ahnung. Was hat sie denn gesagt?", fragte ich und musste über das fehlende Feingefühl des Detektivs schmunzeln.

„Als erstes hat sie mir eine Strafpredigt darüber gehalten, ob ich eine Vorstellung davon hätte, was ich dir angetan habe. Danach fing sie wieder an zu weinen und hat mich umarmt. Als ich sie dann gefragt habe, ob ich wieder einziehen dürfte, hatte sie nichts dagegen. Naja fast nichts." Nun grinste er.

„Was war ihre Bedingung?", fragte ich interessiert.

„Keine Leichenteile im Kühlschrank? Keine Schüsse auf die Wand? Kein Geigenspiel mitten in der Nacht?"

„Nein. Jetzt wo du mich fragst, ist das wirklich merkwürdig, dass sie das nicht verlangt hat.", er lachte.

„Was war es dann?", fragte ich ungeduldig.

„Dass du auch wieder einziehst.", sagte er mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht.

„Oh.", war das einzige, was ich herausbrachte.

Gute Mrs. Hudson. Sie war einfach die beste.

„Wollen wir jetzt deine Sachen zusammenpacken, bevor Mary wiederkommt und beschließt einen von uns zu erschießen?", fragte Sherlock lachend. Zustimmend nickte ich. Bei dem Gedanken an Mary bekam ich wieder ein schlechtes Gewissen. Es war doch alles anders, als sie dachte. Ich musste das unbedingt mit ihr klären.

„Ach. Noch was. Was hat es eigentlich mit diesen Träumen auf sich, die Mary erwähnt hat?", fragte Sherlock und riss mich somit aus meinen Gedanken.

Ich merkte, wie mir das Blut in die Wangen schoss.

„Nichts. Gar nichts!", antwortete ich etwas zu schnell. Der Consulting Detective sah mich etwas skeptisch an.

Um ihn daran zu hindern, weitere peinlichen Fragen zu stellen, fragte ich schnell: „Wollten wir nicht packen?"

Eine Weile schaute er mich noch fragend an. Dann löste er sich aus seiner Starre und ging ins Schlafzimmer, um die Koffer zu holen. Gerade, als ich dachte, ich hätte ihn abgelenkt und er würde nicht weiter darauf eingehen, rief er: „Das mit den Träumen musst du mir später aber noch genauer erklären!"

Ach du Scheiße.


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