Kapitel 4

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Nachdem wir uns beide ein wenig beruhigt hatten, begann sie mir auch schon eine kleine Rede darüber zu halten, dass ich mich doch melden sollte, doch ich versuchte sie zu beschwichtigen.
Ich konnte einfach nicht kommen oder mich melden. Ich konnte schlich und ergreifend nicht. Immer wieder war ich kurz davor gewesen zum Telefon zu greifen oder vorbei zu kommen, doch jedes Mal hatte ich innegehalten und hatte es letztendlich doch nicht getan.
Ich wollte mit dem ganzen abschließen und weiterleben, was jedoch so gut, wie gar nicht klappte. Heute jedoch, hatte ich aus irgendeinem Grund das dringende Bedürfnis hier her zu kommen.

„Kann...kann ich sie noch mal sehen? Die Wohnung?", fragte ich nach einer längeren Pause, in der wir nur da saßen und uns anschwiegen.

„Ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht, sie wieder zu vermieten.", meinte meine Mrs. Hudson, als wir die 17 Stufen zu der ehemaligen Wohnung hochstiegen.

Sie öffnete mir die Tür und als ich eintrat, stiegen mir erneut Tränen in die Augen.

Alles sah noch genauso aus wie früher. Sogar die alten Experimente Sherlocks standen noch auf dem Küchentisch.

Ich setzte mich in seinen Sessel, an dem noch immer sein Geruch zu kleben schien und atmete tief den vertrauten, herben Geruch des Detektivs mit geschlossenen Augen ein.

Ich stellte mir vor, wie er ins Zimmer kam und mich fragte, was ich denn in seinem Sessel zu suchen hatte.

Doch nichts geschah. Kein Sherlock. Wie denn auch? Er war tot.

Jetzt war es endgültig zu viel und mir liefen die Tränen das Gesicht hinunter, während Schluchzlaute meinen gesamten Körper schüttelten.

Eine Hand begann vorsichtig meinen Rücken zu streicheln und als ich aufsah, erkannte ich Mrs. Hudson, welche mich mitfühlend anschaute.

Ich stand auf und umarmte sie, während mir weitere Tränen das Gesicht herunterliefen. Es war so schrecklich unfair. Sherlock konnte einfach nicht tot sein. Ich wollte dies einfach nicht wahr haben. Es konnte nicht so sein. Ich hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und klammerte mich nur noch mehr an Mrs. Hudson fest. Diese stand einfach nur ruhig da, hielt mich in den Armen und gab mir Sicherheit und Halt, etwas, das ich schon seit langer Zeit nicht mehr gefühlt hatte. Nicht einmal bei Mary. Bei ihr fühlte ich mich direkt schuldig und traute mich daher auch nicht, mehr als das nötigste von Sherlock zu erzählen. Doch bei meiner Vermieterin, welche mich schon seit langer Zeit kannte und zu einer echten Freundin geworden war, konnte ich meine Gefühle zeigen. Sie durfte sehen, wie gebrochen ich war und, dass es mir kein bisschen besser ging. Hier musste ich nicht heile Wlet spielen. Hier durfte ich sein, wie ich wirklich war.

Nachdem der Tränenschwall endlich versiegt war, löste ich mich von der alten Dame und wischte mir mit den Händen über das nassgeweinte Gesicht.

„Sie wissen gar nicht, wie viel Sie ihm bedeutet haben.", sagte Mrs. Hudson traurig.

Doch. Das wusste ich. Ich hatte es nur zu spät gemerkt. Und viel zu spät, wie viel er mir bedeutet hat.

Diese kurzen Berührungen, die wie zufällig passiert waren, mir aber trotzdem eine Gänsehaut verursacht hatten.

Unsere merkwürdigen Gespräche.

Und diese langen Blicke, die wir uns ab und zu zugeworfen haben.

All dies waren klare Anzeichen für das, was es war.

Doch keiner hatte sich getraut, den ersten Schritt zu machen und als Sherlock es endlich getan hatte, war es bereits zu spät gewesen.

„Ich sollte jetzt langsam gehen. Es ist schon spät.", meinte ich an sie gewandt.

„Wenn Sie meinen.", erwiderte Mrs. Hudson traurig.

„Aber kommen Sie mich bitte bald wieder besuchen."

Ich stimmte zu und verließ mit schweren Schritten mein ehemaliges Zuhause.

Als ich an der Wohnung von Mary und mir ankam, war es bereits Abend geworden.

Ich zog Jacke und Schuhe aus und beschloss direkt ins Bad zu gehen. Das Wasser begann in die Wanne zu plätschern und das Bad füllte sich langsam mit kleinen Dampfschwaden. Vorsichtig ließ ich mich in die Wanne gleiten und schloss genießerisch die Augen. Ich dachte über den mehr als seltsamen Tag nach und schüttelte den Kopf. Warum mussten alle meine Gedanken auch immer bei Sherlock landen.
Egal in welcher Situation ich mich befand, immer kam mir eine Situation in den Sinn, in der Sherlock eine Rolle spielte. Selbst jetzt konnte ich nur über ihn nachdenken.

Damals hatte ich ebenso, wie jetzt, in der Wanne gelegen und mich nach einem anstrengenden Fall versucht zu entspannen. Allerdings hatte ich vergessen die Tür abzuschließen, was zur Folge hatte, dass Sherlock natürlich hereingekommen war und ich beinahe vor Schreck gestorben war. Anstatt jedoch sofort wieder hauszugehen, war Sherlock jedoch im Bad stehen geblieben und hatte mich einfach weiterhin angeschaut. Ich hatte den Blick erwidert und mich gefragt, was in seinem Kopf gerade vorgehen mag. Schließlich hatte er den Kopf geschüttelt, war leicht rot geworden und hatte kurz darauf den Raum verlassen.

Dies war einer dieser Momente, bei denen mir klar geworden war, dass Sherlock und ich keine normale Freundschaft geführt hatten. Da war...mehr gewesen. Etwas, das nicht zu greifen war. Etwas viel tiefgründigeres. Wir beide waren so blind gewesen!

Schließlich erhob ich mich aus der Wanne, ließ das Wasser ablaufen und wollte gerade ins Bett, als mir eine Idee kam. Langsam ging ich zum Schrank im Schlafzimmer, öffnete ihn und holte einen Karton heraus.

Wie oft ich ihn schon geöffnet hatte, wusste ich nicht.

Ich erinnerte mich noch genau an den Tag, an dem Mycroft, ein paar Tage nach der Beerdigung, plötzlich vor der Tür stand und ihn mir gab.

„Ich dachte, das könnten Sie vielleicht haben wollen.", war das einzige, was er gesagt hatte, bevor er gegangen war.

Da hatte er recht behalten. Denn in dem Karton waren Sachen von Sherlock. Sein Mantel, sein Schal und einige seiner Hemden und überall an den Sachen haftete der Geruch meines Freundes.

Keine Ahnung, warum Mycroft dies getan hatte, aber ich war ihm mehr als dankbar dafür.

Ich nahm also ein schwarzes Hemd heraus, verstaute die Kiste sorgfältig im Schrank und legte mich ins Bett, das Hemd eng an mich gepresst, sodass ich diesen wunderschönen Geruch, der wie durchein Wunder immer noch an der Kleidung haftete, wahrnahm und fiel in einen traumlosen Schlaf.

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