7 Kirche und andere Unfälle

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Ich blieb noch eine ganze Weile unter meinem Baum der unerfüllten Hoffnungen sitzen und grübelte nach. Den Kopf an die schartige Rinde gelehnt schloss ich die Augen und rief mir immer wieder ihr Bild in Erinnerung.

Doch irgendetwas stimmte damit nicht. Es war nicht wirklich zu fassen was, aber irgendwas an diesem Mädchen passte nicht zusammen. Waren es ihre fast tänzelnden Bewegungen und die im krassen Gegensatz dazu, hängenden Schultern? Oder ihre abweisende Art, die sich mit dem Klang ihrer Stimme biss? Vielleicht aber, waren es auch ihre Augen, die so tödlich blitzten, obwohl sie so seelenlos wirkten.

Ich wusste es nicht. Und obwohl ich mir das Foto, das ich von ihr gemacht hatte, immer wieder ansah, kam ich des Rätzels Lösung nicht auf die Spur.

Es war zum verrückt werden! Und das schlimmste an der Sache war, dass sie mein Interesse nicht im Mindesten zu erwidern schien. Ach! Was hießt hier schien! Ich war mir zu fast tausend Prozent sicher, dass sie mich auf den Tod nicht ausstehen konnte. Nur warum wusste ich nicht und das fuchste mich.

Denn so, also so richtig, komplett abartig war ich jetzt nun auch wieder nicht. Und auch wenn ich im ersten Moment Probleme mit Mädchen hatte, so verstand ich mich mit den meisten aus meiner Klasse eigentlich ganz gut.

Und wenn ich gar nicht das Problem war? Sondern sie? Vielleicht war sie ja schüchtern. Oder, möglich wäre es ja auch, dass sie auf Mädchen stand.

Genau Noah! Rede dir nur all diesen Mist ein. Ist ja auch viel einfacher, als einzusehen, dass sie dich schlicht nicht mag.

Grübelnd ließ ich mir den Wind um die Nase wehen, strich mit den Händen durch das wuchernde Unkraut, das mich umgab und ließ mir den einen oder anderen Gedanken durch den Kopf gehen. Doch zu einem absolut sicheren Urteil kam ich nicht. Was den Schluss nahe legte, dass sie wohl oder übel, zumindest hin und wieder, meine Nähe würde ertragen müssen. Denn, so hatte ich beschlossen, ich würde noch nicht vollkommen aufgeben. Sie in einem Blitzlichtgewitter ertränken wollte ich aber auch nicht.

Fürs erste jedoch, blieb mein Problem, was ich am Morgen gehabt hatte, allerdings bestehen. Um sie kennenzulernen, musste ich sie sehen. Und gerade das hatte sich ja als Problem herausgestellt.

Weit nach Mittag machte ich mich auf den Heimweg. Textete etwas mit Eros und verabredete mich schließlich mit ihm im Kino, wo ich mich mit Nachos, Popcorn und Gummibärchen vollstopfte.

Der Film, war sterbenslangweilig. Vielleicht auch, weil ich mich nicht für Horrorfilme interessierte, aber vielleicht auch, weil Kim sich in den ungünstigsten Momenten kreischend an ihn klammerte. Ich hielt das Ganze für eine Masche von ihr, die Eros sehr zu genießen schien.

Und so war ich beinahe froh, als ich mich endlich auf den Heimweg machen konnte. Wir waren noch etwas trinken gewesen, doch schwirrte mir unentwegt mein namenloses Mädchen im Kopf herum. Wenn ich doch nur das Foto von ihr dabei gehabt hätte, dann hätte ich es wenigstens Eros zeigen können, vielleicht hatte er sie in der Zwischenzeit ja mal gesehen, doch hatte ich die Bilder über den Tag auf meinen Rechner geladen und so war meine Kamera, nein, leer war sie nicht, aber dieses besondere und so wichtige Bild war nicht mehr drauf.

Ich nahm mir vor, das gleich morgen ins Reine zu bringen, wenn ich ihn in der Kirche treffen würde.

Anders als ich, ging er tatsächlich regelmäßig zu den Gottesdiensten, was ich beim besten Willen nicht verstehen konnte.

Aber wenigstens ein Gutes hatte das Ganze; Ich musste die einschläfernde Leierstimme unseres scheintoten Pastors wenigstens nicht alleine über mich ergehen lassen. Und ich konnte ihm das Foto zeigen. Wollten doch mal sehen, wie nützlich so ein Kirchensonntag letzten Endes werden konnte.

Als ich spät am Abend mit dem Rad nach Hause fuhr, beschlich mich immer wieder dieses seltsame Gefühl, beobachtet zu werden. Ihr kennt das sicher, wenn ihr aus dem Augenwinkel jemanden zu sehen glaubt, und dann doch keiner da ist, wenn ihr hinschaut. Oder ihr Geräusche hört, die ganz alltäglich sind, euch aber die Haare zu Berge stehen lassen. Genau so erging es mir gerade. Hier im Dunkel, auf der nur spärlich beleuchteten Straße, mit den etwas verwohnten Häuser, den vereinzelten Graffitis und den quietschenden Gartentoren.

Und so sah ich mich aufmerksam nach allen Seiten um, doch bis auf den Herren, der nur drei Straßen von uns entfernt wohnte, und der zu dieser Nachtschlafenden Zeit, noch mit seinem Hund unterwegs war, sah ich niemanden. Nicht einmal einen Schatten. Oder doch! Sogar eine Menge, aber keinen, den ich nicht identifizieren konnte.

Schatten, die Bäume waren, huschten an mit vorbei. Autos ließen dunkle Schemen über die Straße huschen, wenn sie an mir vorbeifuhren und hinterließen eine dröhnende Stille, wenn sie wieder fort waren.

Als schließlich eine Katze kreischend aus einer dunklen Einfahrt geschossen kam, wäre ich beinahe von meinem Rad gesprungen, so sehr erschreckte ich mich.

"Jetzt krieg dich mal wieder ein!", schimpfte ich mit mir selbst. Das Herz schlug mir noch immer bis zum Hals und auch mein Puls raste verdächtig, als ich deutlich schneller als zuvor in die Pedale trat.

Ich war überzeugt, dass mich der Horrorfilm etwas zu sensibel gemacht hatte, so dass ich jetzt hinter jedem Busch eine düstere Gestalt lauern sah. Alles Humbug! Und ein Feigling war ich normalerweise nicht;

Trotzdem war ich froh, als ich endlich, wohlbehalten in meinem Bett lag und die Augen schließen konnte.

Das Wetter war immer unbeständiger geworden und inzwischen trommelten dicke Tropfen gegen mein Zimmerfenster. Für meinen Park der Superlative und den Ruheplatz meines zukünftigen Liebesschwures, von unschätzbarem Wert. Für mich allerdings der Alptraum schlecht hin.

Jetzt wusste ich auch wieder, warum ich keine Horrorfilme mochte! Obwohl mein Verstand und mein Gehirn mir sagten, das all diese schrecklichen Dinge, die ich gesehen und gehört hatte, nicht real waren, konnte ich die Schreie, die quietschenden Türen und Ratten nach immer in meinen Eingeweiden spüren.

Und so dauerte es ein paar Stunden, bis ich schließlich eingeschlafen war.

Tja. Und wie sollte es anders sein, wenn man zu spät ins Bett geht und am anderen Morgen wieder früh aufstehen musste? Ich war vollkommen übermüdet, absolut mies drauf und restlos erschlagen.

Mit nur halb geöffneten Augen schlurfte ich ins Bad, wurde auch prompt von Kessy umgerannt und musste dann auch noch meine Mutter nackt unter der Dusche stehen sehen.

Also noch besser hätte jetzt mein Tag gar nicht anfangen können!

Murrend schleppte ich mich mit meiner Zahnbürste bewaffnet nach unten und wollte im Gästebad verschwinden, als mir eine solch überaus abartige Wolke aus diesem entgegenwehte, dass ich rückwärts wieder hinausgeschleudert wurde.

"Kessy! Du hast nicht gespült!", schrie ich durchs Haus und fragte mich im selben Moment, wie sie in der kurzen Zeit, die ich im Bad war, und aus dem sie mir entgegengekommen war, diese Sauerrei hier unten hatte veranstalten können.

Aber wie sie eben so ist, kam sie mir unschuldig wie ein Engel entgegen, schlüpfte ins Bad und betätigte die Spülung.

"So. Fertig", gab sie grinsend wieder und verzog sich wieder in die Küche, wo sie meinem Vater beim Tischdecken half.

Ich hingegen verzichtete aufs Zähneputzen und schlurfte zurück nach oben, wo meine Mutter verkündete, dass ich jetzt duschen könnte.

Nicht, das ich da unbedingt hin wollte, mein Bett wäre mir tausendmal lieber, aber was sollte ich machen! Kirche hieß ja nicht nur meine beste Jeans, dazu ein ordentliches Hemd und schwarze Lederschuhe. Nein. Auch geduscht zu sein, frisch rasiert zu sein und mit gestylten Haaren. Doch wenigstens ein Gutes hatte das Ganze. Die Schuhe waren echt bequem und ich fand mich in dem Hemd beinahe mal gutaussehend. Und auch sonst war ich so zurechtgemacht doch ganz nett anzusehen.

Fand zumindest Kessy, die glücklich strahlend an meiner Hand durch den Gang des Kirchenschiffs hopste und mich auf die Bankreihe zu schleppte, in der wir immer saßen.

Nur, da saß schon wer!

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1309 Worte
01.09.17

✔Unter dem RegenbogenWhere stories live. Discover now