„Sie? Eine Schülerin?" Sein Tonfall klang missbilligend und ich wusste was er sagen wollte. Trotzdem, ich hatte das angefangen, also musste ich das Gespräch auch durchziehen. Irgendwann würde er auf Ava treffen, besser er war vorbereitet.

„Ja, sie heißt Ava und geht in meine Stufe. GPA 3,7 und sie kann das wirklich gut.", versuchte ich mich zu rechtfertigen. Was Unsinn war, denn warum musste ich mich dafür Rechtfertigen? Er wollte das doch. Dad sah mich abschätzend an, dann sah er sich weiter die Börsengänge an.

„Dann wollen wir hoffen, dass dir noch zu helfen ist. Wenigstens verschwendest du kein Geld damit." Ich schürzte die Lippen und verließ die Küche. Den Apfel schmiss ich in den Mülleimer, denn mir war der Appetit vergangen. Die Flasche Wein von gestern stand noch auf der Kommode und ich war geneigt sie leer zu trinken. Normalerweise würde ich auf eine Party gehen, mich betrinken und irgendein Mädel auf der Toilette vögeln, aber leider gab es um diese Uhrzeit nichts, wo ich hin konnte und irgendwie musste ich dieses Gefühl in mir betäuben, wenn meine üblichen Methoden nicht angewandt werden konnten. Doch das würde mich auch nicht weiter bringen und sie würden sich noch mehr aufregen wenn ich heute mit einer Fahne zum Essen ging. Mit Bedauern nahm ich einen Schluck aus der Flasche, ehe ich den Rest im Waschbecken runter spülte. Abgestumpft trugen mich meine Beine  ins Bett und ich schlief mit dem Gefühl nicht genug zu sein ein.

„Liam Schatz, du musst aufstehen, in einer Stunde ist das Essen. Oh und Arthur meinte, dass wir heute dein Spiel sehen wollten, das geht leider nicht, wir können ja nicht vorzeitig das Essen verlassen. Das verstehst du doch bestimmt." Stöhnend drehte ich mich im Bett und sah meine Mum an. Die Augen hatte ich von ihr, aber alles andere ist mir Gott sei Dank nicht vererbt worden. Ihr Gesicht sah dank Botox und diversen anderen Eingriffen wie eine Maske aus, ihr Lächeln wirkte stets gestellt. Merkwürdigerweise erinnerte ich mich aber nicht mehr an ein anderes.

„Das Spiel war gestern", teilte ich ihr mit, während ich blinzelte.

„Ah, wunderbar, dann kannst du heute ja auch länger bleiben, Isabella wollte auch kommen meine ich." Fing das schon wieder an. Mum schien es sich zum erklärten Ziel gemacht zu haben mir eine feste Freundin zu besorgen, eine die ‚unseren Stand gerecht wurde'. Also eine repräsentative Funktion hatte. Isabella war ein Jahr jünger und die Tochter eines Geschäftskollegen meines Vaters. Ich weiß nicht ob Mum einfach jedes Zeichen der  Abneigung ignorierte oder sie der Einstellung war, dass jede Beziehung wie ihre ohne Gefühle laufen kann, aber immer wieder kam sie damit an. Und wenn nicht mit ihr, dann mit Ashley, Samantha oder wie sie alle hießen. Aber dabei waren sie doch alle so toll und ihre Eltern hatten wirklich sehr viel Einfluss. Und überhaupt wussten sie wenigstens wie man sich zu Benehmen hatte. Eine ganz tolle Wahl, wirklich. Und für die Firma wäre so eine Verbindung auch wirklich gut. Bla. Bla. Bla.

Statt einer Antwort hob ich nur meine Daumen und ließ mein Kopf zurück ins Kissen fallen. Aus Erfahrung wusste ich, dass Diskutieren Schwachsinn war, also sparte ich mir die Nerven und tat was sie verlangte. Aber zum Glück war ich nicht der einzige mit so passionierten Eltern.  Josh hatte ebenfalls regelmäßig das Vergnügen und Noah sogar noch mehr, da seine Mutter nicht wahr haben wollte, dass Noah nicht an dem weiblichen Geschlecht interessiert war. Für uns war das kein Problem, wir kannten Noah schon seit dem Kindergarten, aber seine Eltern bildeten da einen krassen Gegensatz. Um ihm zu helfen streuten wir immer wieder hier und da Gerüchte um eine Freundin, damit er zumindest in der Schule seine Ruhe hatte.

Kyle bildete mit seinen Eltern eine Ausnahme in der Runde. Ihnen wäre es egal wer die Freundin oder der Freund wäre, solange er damit glücklich wäre, beneidenswert, aber wie gesagt, eine Ausnahme. Früher hab ich mir immer vorgestellt wie es wäre wenn sie meinen Eltern wären, während ich von einer Nanny ins Bett gebracht wurde weil meine Eltern nicht die Zeit hatten. 

Im Endeffekt hielt es aber keinen von uns ab, zu holen was wir wollten. Mum ignorierte dies, solange ich mich in ‚unseren' Kreisen anständig benahm. Anständig hieß, dass ich geduscht, rasiert, in einem Smoking und gegeelten Haaren freundlich ältere Damen zu ihrem Tisch begleitete, wir eine perfekte Familie darstellte und steif über unlustige Witze lachten. Dabei tranken wir überteuerten Champagner und kleine Häppchen aßen, die nicht schmeckten, geschweige denn satt machten. Mum würde Dad und mich voller Stolz ansehen und immer wieder verkünden, wie gesegnet sie mit so einer Familie sei, während Dad und ich, in seltener Eintracht, schwiegen.

Krawatte oder Fliege?- Josh

Fliege.- Noah

Fliege.- Jeff

Fliege.- Liam

Habe mich mit der Prüfung in Mathe rausgeredet, Jogginghose ;) -Kyle

Einige Beleidigungen und Verwünschungen folgten, mein Handy vibrierte immer wieder während ich zum Schrank ging und eine Fliege suchte. Kyle schaffte es aber auch immer wieder dieser Sack. Zwanzig Minuten später saß ich fertig angezogen auf dem Sofa neben Dad. Wir beide trugen einen Marineblauen Smoking, da Mum meinte, dass wir dann besser zusammen auf den Bildern aussehen würden. Mum selbst zog sich noch einmal um, da ihr Kleid nicht mit dem Hemd von Dad harmonierte (oder so ähnlich, ich hatte nicht zugehört) und anscheinend war so etwas gleichzusetzten mit einer Katastrophe. „Wie habt ihr gespielt?", fragte Dad und richtete seine Krawatte.

Ich machte meine Manschettenknöpfe um. „Verloren, wie läuft es in der Firma?"

„Gut, Umsatzsteigerung von 5%, hast du eine Freundin?"

„Nein, ich konzentriere mich auf Football und Schule. Fahren wir in Urlaub oder wart ihr?" Dad schnaubte während er sein Einstecktuch faltete. Dumme Frage, als würden wir zusammen in den Urlaub fahren.

„Karibik, zwei Wochen, war sehr schön." Ich nickte bestätigend und bot ihn Hilfe bei dem Tuch an, die er ablehnte. Mum kam die Treppe herunter gewirbelt, dieses mal in einem creme farbenden Kleid.

„Können wir los? Liam, deine Fliege sitzt schief und Arthur, das Tuch... Ach komm, gib schon her. Wunderbar, dann nichts wie los, ich will mir nicht nachher wieder anhören müssen, dass die Smith vor uns da waren. Oh Liam Schatz, gibt es irgendetwas neues was wir wissen müssen?" Ich schüttelte den Kopf. „Gut." Damit stolzierte sie aus der Tür und wir folgten ihr wie dressierte Hunde. Lasset die Spiele beginnen, dachte ich zynisch. Wer hätte ich ohne meine Elternkomplexen sein können?


DeliriumWhere stories live. Discover now