1 + 2 Familie

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"Mom? Dad?", schrie ich durchs ganze Haus. Es war mal wieder zum verrückt werden. Ständig kam hier etwas weg. Legte ich meine Sachen in der Küche ab, tauchten sie in meinem Zimmer wieder auf und wenn ich sie in meinem Zimmer lagerte, fand ich sie auf dem Klo, dem Flur, im Wohnzimmer oder sonst wo wieder, aber diesmal...es war zum schreien.

"Mom! Dad! Wo zur Hölle ist meine Kamera!" Ich rannte förmlich die Treppe hinunter, wo ich meine Eltern allein am Frühstückstisch vorfand.

Meine Mutter trank genüsslich ihren Kaffee und brütete mal wieder über irgendeiner ihrer wissenschaftlichen Arbeiten und Dad studierte voller Inbrunst die Tageszeitung.

"Wo zum Henker ist meine Canon. Nichts kann man in diesem bescheuerten Haus liegen lassen!"

Ich erntete lediglich einen müden Blick von meinem Vater. Meine Mutter hielt es nicht mal für nötig überhaupt aufzublicken, doch antwortete sie wenigstens, wenn auch eher abwesend.

"Wo wird sie schon sein, Schatz."

"Das will ich ja gerade wissen!", seufzte ich genervt und hätte ihr mal wieder den Hals umdrehen können. Immer hatte sie nur ihre Arbeit im Kopf.

"Wo liegt sie denn sonst immer?"

"In meinem Zimmer, auf dem Regal, aber da ist sie nicht!" Also wenn sie was weiß und nicht bald mit der Sprache rausrückt, dann...dann...argh!

"Und wenn sie da nicht ist!" Nervte sie mich weiter und brachte mich an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.

"Mom! Sind wir hier bei Wetten dass, oder was! Jetzt sag endlich wo..."

"Nicht in dem Ton junger Mann!", ging jetzt auch noch mein Vater mit strenger Stimme dazwischen. Sein Blick wanderte von mir zu Mom und von da weiter Richtung Flur und da fiel es mir wieder ein.

Seufzend verdrehte ich die Augen und stürmte zur Garderobe, wo auf der Hutablage meine Tasche mit meiner heißgeliebten Canon Eos, unschuldig neben Kessys buntbedrucktem Sonnendeckel lag.

Ich könnte mich selbst dafür ohrfeigen, dass ich sie hier hatte liegen lassen. Sie war brandneu und gerade erst auf den Markt gekommen. Ein Geburtstagsgeschenk und mir unwahrscheinlich wichtig.

Ich konnte es mir nur damit erklären, dass meine ständig arbeitende Mutter, kaum dass ich gestern aus dem Regen zur Tür hereingekommen war, mit ihrem Gezeter über mich her gefallen war.

Noch immer maulig, immerhin war Sonntag und es gerade mal neun Uhr in der Früh, kehrte ich zu meinen Eltern zurück.

"Lohnt es sich zu fragen, wo mein Zeichenblock ist, oder krieg ich dann auch wieder so eine bescheuerte Antwort?", brummte ich noch immer sauer, doch diesmal sah meine Mutter tatsächlich zu mir auf. Klappte den Ordner, in dem sie geblättert hatte zu, seufzte, nahm einen Schluck aus ihrer Tasse...ihr seht, bevor hier irgendwas passiert, vergehen Jahre... und setzte endlich, nachdem sie ihren Kaffee heruntergeschluckt hatte und meine Nerven schon irgendwo zwischen dem Mars und der Erde gespannt waren, zu einer Antwort an.

"Hast du Kessy schon mal gefragt?"

Wieder entfuhr mir ein genervtes Stöhnen. Ich raufte mir die Haare, umklammerte den Griff meiner Fototasche fester und schrie: "Kessy! Hast du meinen Zeichenblock!"

Doch, wie sollte es auch anders sein...In dieser Familie bekam man auf Fragen nur selten eine Antwort und da war auch meine Schwester keine Ausnahme...antwortete sie nicht.

Schon wieder auf hundertsiebenundneunzigtausend, und mit einem Überschuss an Raketentreibstoff im Blut, wirbelte ich herum und rannte die Treppe hinauf.

✔Unter dem RegenbogenWhere stories live. Discover now