Coming Out

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Es wurde still im Raum, Melina wurde rot und ich sah mich verwirrt um. "Was'n los Leute?", fragte ich lachend. "Die Soße war echt lecker!", verteidigte ich mich. Ein paar Leute lachten und das Gemurmel im Raum ging wieder los. Nur Ju betrachtete uns mit einem seltsamen Blick. Doch dann wand auch er sich ab. Also drehte ich mich wieder zu Melina, welche mich auch mit einem undefinierbaren Blick musterte. Ihre Augen schienen förmlich aus Feuer zu bestehen. Ich zog die Schultern hoch. War sie so wütend? Vorsichtig legte ich eine Hand auf ihren Arm: "Hey, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht bloßstellen oder so. Es kam einfach über mich." "Warum hast du mich denn ausgerechnet abgeleckt? Du hättest ja auch einfach mit dem Finger drüberfahren können und ihn dann abschlecken können." Anders als ich erwartet hatte sagte Melina diese Worte vollkommen ruhig. "Ich...ich weiß nicht. Hab ich dich belästigt?", fragte ich nervös. Melina lächelte. "Überhaupt nicht. Es kam nur etwas überraschend." "Das nächste Mal warne ich dich vor!", versprach ich augenzwinkernd. Wir lachten und widmeten uns wieder den Gesprächen am Tisch. Nach dem Essen setzte ich mich weder an den Schreibtisch und schnitt weiter. Melina setzte sich neben mich und noch ein paar andere Youtuber kamen rein, um ebenfalls ihre Videos zu schneiden. Wieder herrschte Stille, außer an meinem Tisch. Melina und ich unterhielten uns leise und ich zeigte ihr ein paar Tricks, wie man Special Effekte noch besser aussehen ließ. Natürlich lachten wir ab und zu und jedes Mal kam ein einstimmiges "Sch!" zurück. Dann mussten wir nur noch lauter lachen!
Irgendwann hatte ich es trotz unserer Plauderei geschafft, die Videos zu schneiden und zog sie auf die Speicherkarte. Diese gab ich Ramona und Melina und ich verabschiedeten uns für heute.
Wir zogen uns an und verließen das Studio. Doch wir liefen nicht auf direktem Weg nach Hause, sondern machten einen Abstecher in einen Park am Rhein. Dort setzten wir uns auf eine Bank und schauten dem Wasser zu, wie es in der untergehenden Sonne glitzerte. Wir redeten nicht viel, ließen einfach die Umgebung auf uns wirken. Doch plötzlich drehte Melina sich zu mir. "Miri, ich muss dir was sagen.", fing sie an. Überrascht schaute ich sie an und drehte mich zu ihr, um ihr zu zeigen, dass ich zuhörte. "Das Geheimnis trage ich schon echt lange mit mir herum und bis vor kurzem wollte ich es auch nicht wahrhaben. Aber ich habe gemerkt, dass ich mich nur unglücklich mache, wenn ich es nicht endlich jemanden erzähle. Das war auch der Grund warum ich mich gestern mit ein paar Leuten aus der Gang getroffen habe. Ich habe es ihnen erzählt." Ich war etwas enttäuscht, dass ich nicht eine der ersten war, doch ich versicherte ihr: "Du kannst mir alles erzählen!" Melina lächelte, doch dann wurde sie wieder ernst und fuhr fort: "Ich habe ehrlich gesagt etwas Angst. Ich weiß nicht, wie du reagieren wirst." "Hey.", ich nahm ihre Hand. "Wir bleiben Freunde, egal was passiert!" Aufmunternd lächelte ich sie an. Melina atmete tief durch, zögerte kurz und sagte dann: "Ich bin lesbisch." "Echt? Is ja süß!", quietschte ich. "Also erst einmal solltest du wissen, dass ich das echt überhaupt nicht schlimm finde, es dich nicht zu einem anderen Menschen macht, ich es super stark von dir finde, dazu zu stehen und ich hab dich immer noch ganz doll lieb!" Daraufhin umarmte ich sie und spürte richtig, wie ein Stein von ihrem Herzen fiel. Als wir uns wieder lösten fragte ich vorsichtig: "Hast du es deiner Familie schon gesagt?" Melina nickte. "Ja, als ich die letzte Woche Zuhause war." "Wow, wie haben sie reagiert?" "Total super! Sie haben mich immer noch lieb und finden es voll okay!", strahlte Melina. "Schön!" Ich lächelte, denn ich freute mich wirklich für sie. Es gab genug Geschichten von Familien, die ihre Kinder aufgrund ihrer Sexualität verstoßen.
"Uund?", fragte ich nach einer kurzen Pause. "Hast du gerade jemanden im Auge?" Schelmisch grinste ich Melina an. Diese wurde rot und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Ich musste lachen. Es war einfach zu süß, wenn sie sich schämte. "Musst du das jetzt fragen?", stöhnte Melina verlegen. "Na klar! Das ist ja wohl das Spannendste an der ganzen Sache!", protestierte ich lachend. Nun lachte auch sie ein wenig. Dann wurde sie ernster und sah mir direkt in die Augen. Sofort verstummte auch ich und wurde ernst. Mit großen Augen erwiderte ich ihren Blick. "Hör zu Miri...", begann Melina. "Sofort, als ich dich kennen gelernt habe, hast du dich in mein Herz geschlichen. Ich vertraue dir komplett und du hast dich total schnell zu einer meiner engsten Bezugspersonen entwickelt. Ich würde dich wirklich mit meinem Leben beschützen und ich habe keine Ahnung wie du das geschafft hast!" Melina lachte leise. "Aber ich würde es dir gerne noch nicht erzählen, okay? Das ist nicht, weil ich dir nicht vertraue oder mich schäme. Ich brauche einfach noch etwas Zeit." "Na klar.", lächelte ich. "Ich kann warten." "Danke", erwiderte Melina mein Lächeln und drückte kurz meine Hand.
Mittlerweile war es schon recht dunkel und auch etwas kühler geworden, sodass wir uns entschieden, uns auf den Rückweg zu machen. Als wir durch die bereits nächtliche Stadt liefen, sagte ich irgendwann: "Deine Worte vorhin waren übrigens sehr süß. Du hast mich fast zu Tränen gerührt!" Melina lächelte breit: "Ist nur die Wahrheit."
Irgendwann kamen wir bei Melinas WG an und sie fragte mich, ob ich noch mit hoch kommen wollte. Mit einem Blick auf die Uhr lehnte ich ab. Ich musste morgen wieder ins Studio und ich wusste ganz genau, dass wenn ich jetzt noch mit hoch komme, würde ich bei Melina schlafen. Nicht, dass ich was dagegen gehabt hätte, aber ich sollte morgen frisch und munter erscheinen. Schließlich arbeitete ich noch nicht so lange bei Tube One. Melina wirkte enttäuscht und fragte nervös: "Hat das was mit meinem Outing zu tun?" "Nein!", rief ich erschrocken. Ich erklärte ihr die wahren Gründe und sie verstand. Wir verabschiedeten uns mit einer Umarmung und ich lief weiter Richtung Zuhause.
In meiner Wohnung angekommen machte ich mir einen Tee. Auf den letzten Metern war mir doch recht kalt gewesen. Während ich den Tee schlürfte schaute ich noch ein wenig Two and a half men. Dann räumte ich die Tasse in den Geschirrspüler und machte mich bettfertig. Im Bett checkte ich noch meine Nachrichten und schrieb Melina eine Gute Nacht Nachricht. Dann schloss ich die Augen und sank ins Land der Träume.
Am nächsten Morgen weckte mich wie gewohnt mein Wecker. Ich streckte mich und machte mich auf ins Bad. Ich stellte mich unter die Dusche. Dann putzte ich Zähne und ging in die Küche. Gerade als ich die Kaffeemaschine anmachte klingelte es an der Tür. Verwirrt drehte ich mich in die Richtung. Wer klingelte um diese Uhrzeit? Der Postbote? Nein, der tat die Post in den Briefkasten. Aber erwarten tat ich auch niemanden. Nichtsdestotrotz lief ich zur Tür und öffnete sie. Vor mir stand Melina. Überrascht rief ich: "Was machst du denn hier?" Melina hielt eine Bäckertüte hoch: "Ich bringe uns Frühstück mit! Ich dachte, du hättest vielleicht mal Lust auf frische Brötchen und nicht immer diese Aufbackdinger." Ich lachte: "Stimmt! Na dann, komm rein!" Ich trat zur Seite und Melina ging an mir vorbei. Ich nahm ihr die Tüte ab während sie sich Jacke und Schuhe auszog. Dann bereiteten wir zusammen ein schönes kleines Frühstück vor und setzten und schließlich an den Tisch. "Und was hast du heute so geplant?", begann ich unser Gespräch. "Ich komme mit ins Studio. Ich muss mein neues Video schneiden." "Uh, was ist denn?", fragte ich neugierig. "Mein Coming Out..." Ich sah, wie Melina nervös schluckte. Beruhigend legte ich meine Hand auf ihre. "Hey! Deine Community wird das super aufnehmen! Du weißt doch, wie offen und tolerant sie alle sind!" Melina lächelte. "Du hast Recht. Einige werden bestimmt erstmal schlucken, einige vielleicht sogar deabbonieren, aber die meisten werden gut reagieren. Da bin ich mir ziemlich sicher. Ich vertraue ihnen." Ich lächelte. Es war so schön, wie lieb Melina immer über ihre Community sprach. Diese Menschen waren ihr wirklich sehr ans Herz gewachsen! Plötzlich sagte Melina: "Aber ich habe trotzdem Angst. Was, wenn eine riesige Hatewelle kommt?" "Es werden auf jeden Fall Menschen da draußen sein, die dir weh tun wollen, aber eine Hatewelle? Nein, dafür ist dein Coming Out viel zu mutig! Du bist bestimmt eine der ersten Youtuber, die so etwas im Internet veröffentlicht." "Danke!", antwortete Melina und drückte meine Hand. Ich lächelte und den Rest unseres Frühstücks verbrachten wir mit anderen Themen.

Melinas und meine GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt