Kreuzdame - Kapitel 16

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Kapitel 16

Als Sandrine wieder zu sich kam, meinte sie, ihr Schädel müsse explodieren. Sie sah sich um. Daniel saß ihr gegenüber an einem kleinen Bistrotisch in der Nähe der Kasse. Er schlürfte zufrieden Kaffee aus einer roten Tasse.

»Wie spät ist es?«

»Du warst etwa eine Stunde weg.«

»Gregory?«

»Keine Spur.«

Sandrine rechnete kurz. Dann sprang sie auf, griff ihre Handtaschen, einen Salzstreuer und ein leeres Glas vom Nebentisch. Damit verzog sie sich auf die Damentoilette.

Sie schloss die Tür hinter sich ab und starrte in den Spiegel. Ihre Tränensäcke waren geschwollen, die Äderchen in den Augen tiefrot. Ihr Mund war ausgetrocknet.

»Eine Stunde. Ich hatte die doppelte Menge intus.« Sie sah sich finster an. »… ich muss mich beeilen.«

Sie füllte das Glas mit lauwarmem Wasser, schraubte den Deckel des Salzstreuers ab und füllte den Inhalt in das Glas. Mit dem Zeigefinger löste sie die Kristalle auf. Dann trank sie das Gebräu in einem Zug hinunter.

Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Sie stürmte durch eine der Kabinentüren, öffnete die Toilette und übergab sich in mehreren mächtigen Schüben.

Tränen standen in ihren Augen und ihr Hals brannte.

Sie spülte das Glas aus, füllte es mehrmals mit Wasser und trank es in kleinen Schlucken, bis sie sich wohler fühlte. Dann ging sie erneut in die Kabine und schloss die Tür ab.

In ihrer Handtasche suchte sie nach dem Flumazenil und einem schwarzen Täschchen mit einer Einwegspritze. Sie zog die klare Flüssigkeit auf und drückte einmal gegen den Kolben, um die Luft aus der Nadel zu pressen. Das synthetische Imidazobenzodiazepin-Derivat wirkte den K.O.-Tropfen entgegen. Der einzige Nachteil daran war, dass man es sich direkt in die Vene spritzen musste. Sandrine schnallte ihren Gürtel ab, zog ihn über ihren Oberarm fest und dankte Gott für ihre Essgewohnheiten. Ihr Unterarm war dünn und ihre Venen traten wunderbar unter der Haut hervor.

Sie setzt die Nadel an ihre Ellenbeuge und hielt kurz inne.

»Was zum Teufel mache ich hier. Wie ein verdammter Junkie sitze ich hier auf der Toilette uns setze mir eine Nadel. Ich muss wirklich zusehen, dass sich etwas in meinem Leben ändert.«

Sie grinste schief und stach zu. Mit dem Daumennagel zog sie den Kolben der Spritze etwas zurück. Blut füllte den Zylinder. Dann drückte sie sich das Flumazenil langsam in die Vene.

Sandrine zog die Nadel heraus und verstaute sie in ihrem schwarzen Täschchen. Während sie sich den Gürtel wieder umlegte, rieb sie mit einem Taschentuch die Einstichstelle.

Immer wieder ging ihr eine Frage durch den Kopf.

»Was ist schiefgelaufen?« Sie hielt ihre Gedanken an. Die richtige Frage lautete anders. Sie lautete: »Ab wo begann es schief zu laufen?«

Nach zwei Minuten fühlte sie die Wirkung des Flumazenils. Sie hatte etwa eine Stunde Zeit, bevor die Wirkung nachlassen würde. Wie viel von den K.O.-Tropfen noch in ihrem Blutkreislauf unterwegs war, konnte sie nur erahnen. Doch eine Stunde war Zeit genug, um sich in Sicherheit zu bringen und einen Plan auszuarbeiten.

Als sie die Toilette verließ, fühlte sie sich etwas besser. Sie kaufte am Tresen eine Packung Pfefferminz-Kaugummi und schob sich zwei Streifen in den Mund.

»Komm schon, wir müssen hier verschwinden«, fuhr sie den wartenden Daniel an.

Der junge Mann trank seinen Kaffee aus und stand auf.

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