Kreuzdame - Kapitel 2

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Kapitel 2

Februar, in einer namenlosen Stadt eines gesichtslosen Europas

Sandrine blieb Alexandra auf den Fersen. Die Amerikanerin hatte unglaubliche Energien. Eineinhalb Stunden Squash am Stück und keine Anzeichen von Ermüdung. Sandrine hingegen spürte, wie ihre Lungenflügel von innen her an den Rippen kratzten. Das Seitenstechen war unerträglich.

Alexandra bog im leichten Laufschritt um die Ecke in die Damenumkleide. Sie lief am Stand weiter, während sie ihren Spind öffnete und ihren Schläger verstaute.

Sandrine ließ sich auf die Bank sinken, die den Raum in zwei Gänge teilte und rang nach Luft. Ihr Racket hielt sie kraftlos mit beiden Händen zwischen den Beinen.

»Wie machst du das?«, ächzte sie.

Alexandra trank einen großen Schluck Wasser aus einer giftgrünen Sportflasche und grinste breit.

»Immer fit, immer vorwärts. Komm schon, gehen wir duschen«, quasselte sie. Sie hüpfte weiter vor Sandrine auf und ab.

»Kannst du bitte mal stehen bleiben? Mir wird schlecht, wenn ich dir weiter zusehe«, presste Sandrine zwischen den Zähnen heraus.

Alexandra blieb abrupt stehen.

»So besser?«

Sandrine lächelte.

»Danke. Setz dich einen Moment, ich muss mit dir …«

Alexandra winkte mit dem Zeigefinger tadelnd hin und her.

»Du willst Zeit schinden. Komm schon, wir sind alleine. Gehen wir duschen. Du hast versprochen, du siehst es dir an«, antwortet die Rothaarige herausfordernd.

Sandrine schluckte. Sie fühlte sich in der Gegenwart nackter Frauen nicht wohl. All die Bauchnabelformen, Brüste, Becken, Behaarungen und Beine drängten sie dazu Vergleiche anzustellen, die sie unsicher machten. Und Sandrine hasste Unsicherheit in jeder Form. Also sagte sie: »Gibt mir noch ein paar Sekunden, dann komme ich gleich nach und sehe es mir an.«

Alexandra beugte sich so weit vor, dass Sandrine in den Ausschnitt ihres verschwitzten Shirts sehen konnte.

»Feigling«, flüsterte sie. Dann zog sie ein Handtuch aus ihrer Tasche, wickelte das Duschgel darin ein und verschwand im hinteren Teil des Umkleideraums in den Duschbereich.

Sandrine atmete durch. Endlich war sie weg.

Sie sah sich kurz um, griff sich dann die Sporttasche von Alexandra und suchte nach ihrem iPhone. Sie war überrascht, wie viel verschiedene Handtücher die Amerikanerin mit sich herumschleppte.

Sie spürte das Handy und zog es heraus. Dann schob sie die Tasche wieder halb in den Spind. Sie musste schnell sein. Mit flinken Fingern öffnete sie ihre eigene Spindtür, fischte ihr Handy heraus und schaltete es ein.

Sandrine hörte, wie Alexandra das Wasser aufdrehte. Ein gleichmäßiges Rauschen hallte in der Umkleide. Der süßliche Duft von Himbeershampoo füllte den Raum und überlagerte den säuerlichen Schweißgeruch, der allgegenwärtig war.

Sandrine aktivierte ihr Handy und suchte nach der App, die sie auf Alexandras iPhone installieren wollte. Mit schnellem Daumen bereitete sie alles vor, als plötzlich die Tür zu einem der Solarien aufging und eine Frau mittleren Alters nackt heraustrat. Sandrine biss sich auf die Lippen und ließ die rechte Hand sinken. Ihr Blick glitt zur Seite. Während sie sich zu der Frau umdrehte, versteckte sie das zweite Handy hinter ihrem Rücken.

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